Essen. . Die Krise der Anlagenbau-Sparte von Thyssenkrupp lässt den Rückzug des langjährigen Konzernchefs Heinrich Hiesinger in neuem Licht erscheinen.
Als Heinrich Hiesinger unlängst in Brüssel die historische Stahlfusion mit Tata feierte, präsentierte er auch eine Leistungsbilanz seiner mehr als siebenjährigen Amtszeit an der Spitze des Essener Industriekonzerns: Eine neue Konzernstruktur, weniger Schulden, bessere Ergebnisse, eine veränderte Firmenkultur – Hiesinger beschrieb Thyssenkrupp als Unternehmen, das sich tiefgreifend verändert und deutlich gesteigert hat. Nun, nur einen Monat nach dem überraschenden Rücktritt von Hiesinger, stellt sich heraus, dass die Probleme des Konzerns in einigen Bereichen größer sind, als es bislang öffentlich bekannt war.
Der neue Thyssenkrupp-Chef Guido Kerkhoff, der jahrelang an Hiesingers Seite gearbeitet hat, muss einräumen, dass die Ziele für die Konzernbilanz nicht zu halten waren – zu groß sind die Probleme in der wichtigen Anlagen- und Schiffbausparte Industrial Solutions. „Mir ist wichtig, die Dinge beim Namen zu nennen“, sagt Kerkhoff.
Das Eingeständnis liefert jenen Investoren und Aktionären Argumente, die seit geraumer Zeit an der Aufstellung und der Strategie von Thyssenkrupp zweifeln. Als habe er die Nachricht geahnt, rechnet ein führender Manager des US-Hedgefonds Elliott pünktlich zur Mitteilung von Kerkhoff mit dem Management um Hiesinger ab. „Die aktuellen Turbulenzen sind in erster Linie auf frühere Fehlentscheidungen zurückzuführen“, sagt Franck Tuil in einem „Welt“-Interview. „In den vergangenen Jahren ist es nicht gelungen, das Unternehmen nennenswert nach vorne zu bringen, während die Mitarbeiter unter Kostensenkungen leiden mussten und die Wettbewerber davongezogen sind.“ Im Mai war Elliott mit knapp drei Prozent bei Thyssenkrupp eingestiegen.
Beispiele Bayer, Siemens, Continental und Daimler
Auch Lars Förberg, Gründungspartner des Thyssenkrupp-Großaktionärs Cevian, legt den Finger in die Wunde. „Die jüngste Gewinnwarnung von Thyssenkrupp zeigt ein weiteres Mal, dass die bestehenden Strukturen zu komplex geworden sind“, kritisiert Förberg. „Andere deutsche Großunternehmen wie Bayer, Siemens, Continental und Daimler passen ihre Unternehmensführung an und richten ihre Geschäfte fokussiert, unternehmerisch und schlagkräftig aus.“ Vergleichbare Schritte fordert Förberg für Thyssenkrupp.
Planspiele sehen eine schlanke Holding vor – sowie unabhängigere Geschäftsbereiche rund um Aufzüge, Autoteile, Anlagenbau und Werkstoffhandel. Spekuliert wird auch über mögliche weitere Partnerschaften mit bisherigen Konkurrenten. Als Vorbild könnte die Stahlfusion mit Tata dienen. Im Zusammenhang mit der Aufzugsparte wird der Name Kone genannt.
„Hiesinger hat viel geleistet, aber nicht alles geschafft“
Auch über die Ursachen für den Rückzug Hiesingers wird neu spekuliert. Von mangelndem Rückhalt durch die Krupp-Stiftung als Rücktrittsgrund war die Rede. Zumindest habe der größte Einzelaktionär des Konzerns nicht die Unterstützung signalisiert, die Hiesinger wohl erwartet habe, hieß es. Nach der nun korrigierten Gewinnprognose verweisen Insider darauf, nicht nur das Verhältnis zum Großaktionär, sondern auch die Aussicht für Hiesinger, die selbst gesteckten Ziele für die Bilanz möglicherweise zu verfehlen, dürfte bei seiner Entscheidung zum Rücktritt eine Rolle gespielt haben.
Markus Grolms von der IG Metall, der jetzt übergangsweise den Thyssenkrupp-Aufsichtsrat führt, hat kürzlich angedeutet, dass der Konzern vor Herausforderungen steht. „Hiesinger hat viel geleistet, aber nicht alles geschafft“, sagte Grolms – und fügte hinzu: „Manager können wegrennen. Unsere Leute in den Werken und Verwaltungen können das nicht.“