Essen. . Nach Vorstandschef Hiesinger tritt auch Aufsichtsratschef Lehner zurück. Die Führungskrise bei Thyssenkrupp verschärft sich – und das hat Gründe.

Es war noch Konzernpatriarch Berthold Beitz, der Ulrich Lehner zu Thyssenkrupp geholt hatte. Und noch vor wenigen Monaten, im Dezember vergangenen Jahres, demonstrierte Lehner als Aufsichtsratschef Einigkeit mit dem Großaktionär vom Essener Hügel. Glücklicherweise habe Thyssenkrupp viele langfristig orientierte Aktionäre und mit der Stiftung einen starken Ankeraktionär, sagte er – und: „Wenn die Stiftung mit unserer Arbeit nicht zufrieden wäre, dann würde ich nicht hier sitzen und auch Herr Hiesinger nicht.“ Jetzt ist der langjährige Vorstandschef Heinrich Hiesinger weg – und auch Lehner geht.

Ähnlich wie Hiesinger soll auch Lehner nicht mehr die Unterstützung von Stiftungschefin Ursula Gather gespürt haben. Auf Distanz zum skandinavischen Finanzinvestor Cevian befand sich Lehner ohnehin.

„Das Vertrauen der großen Aktionäre und ein gemeinsames Verständnis im Aufsichtsrat über die strategische Ausrichtung von Thyssenkrupp waren Grundlage meiner Arbeit und Voraussetzung für mein Versprechen an Berthold Beitz, das Unternehmen im Interesse von Aktionären, Mitarbeitern und Kunden erfolgreich weiterzuentwickeln. Das ist heute nicht mehr gegeben“, begründete Lehner am Montagabend in einer schriftlichen Erklärung seinen Rückzug.

„Nicht im Sinne des Stifters“

Fast wortgleich zu Hiesingers Äußerungen liest sich auch folgender Satz des scheidenden Aufsichtsratschefs: „Ich gehe diesen Schritt bewusst, um eine grundsätzliche Diskussion bei unseren Aktionären über die Zukunft von Thyssenkrupp zu ermöglichen.“

Lehner geht aber weiter als Hiesinger. Er spricht explizit von einer drohenden Zerschlagung des Revierkonzerns mit seinen weltweit 160 000 Mitarbeitern und Geschäften rund um Aufzüge, Autoteile, Industrieanlagen, Stahl und Werkstoffhandel.

„Meine Entscheidung möge dazu beitragen, das notwendige Bewusstsein bei allen Beteiligten zu schaffen, dass eine Zerschlagung des Unternehmens und der damit verbundene Verlust von vielen Arbeitsplätzen keine Option darstellt – weder im Sinne des Stifters noch im Sinne unseres Landes“, betonte Lehner. In seinem Umfeld heißt es, er opfere sich, um das Vermächtnis von Beitz zu wahren und das Bestehen von Thyssenkrupp zu ermöglichen.

„Die Einheit des Unternehmens“

Oft ist in den vergangenen Tagen von einem Machtkampf bei Thyssenkrupp die Rede. Irgendwann muss es zum Bruch von Hiesinger und Lehner mit Ursula Gather, der Nachfolgerin von Beitz an der Spitze der Krupp-Stiftung, gekommen sein. Von atmosphärischen Störungen bei Diskussionen im Aufsichtsrat war hinter vorgehaltener Hand die Rede. Es fiel auf, dass die Stiftung als größter Einzelaktionär keine Signale der Unterstützung für Hiesinger öffentlich gemacht hatte, obwohl der langjährige Vorstandschef angesichts der Kritik des aggressiven Finanzinvestors Elliott unter Druck geraten war.

Nach einer Sondersitzung des Kuratoriums erklärte Gather am Freitag, die Krupp-Stiftung sehe sich auch in Zukunft dem Ziel verpflichtet, „die Einheit des Unternehmens möglichst zu wahren und seine weitere Entwicklung zu fördern“. In Lehners Umfeld wird indes bemängelt, die Botschaft hätte viel stärker formuliert sein können.

Spekulationen zur Aufzugsparte

Kurz vor Lehners Rücktritt wurde ein Treffen von Ursula Gather mit Antti Herlin, Haupteigner des Thyssenkrupp-Konkurrenten Kone, bekannt. Wenn Szenarien für eine Zerschlagung entworfen werden, spielt die Thyssenkrupp-Aufzugsparte meist eine Schlüsselrolle. Das Treffen von Gather und Herlin liegt zwar schon zwei Jahre zurück, löste aber gleichwohl große Unruhe aus. Lehner hatte sich klar gegen einen Verkauf der Sparte positioniert. „Es bestehen keinerlei Pläne, uns von unserem besten Geschäft zu trennen. Das widerspräche jeglicher Vernunft“, sagte er.

Wer auf Lehner folgt, blieb zunächst unklar. Der Aufsichtsrat soll sich in Kürze damit befassen. Ob Ursula Gather nach dem Amt greift, ist nun die große Frage.