Aachen. . Im neuen Aachener Werk baut ein Start-up der RWTH das innovative Elektroauto „Ego Life“. Es ist da erste neue Autowerk in NRW seit 55 Jahren.

Neue Autofabriken in Deutschland sind in den letzten Jahrzehnten nur im Osten nach der Wende gebaut worden. Ganz am anderen, westlichen Ende Deutschlands wurde gestern ein neues Werk eingeweiht: In Aachen wird der innovative batteriebetriebene Citycar „Ego Life“ auf die Räder gestellt – von einem aus der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) hervorgegangenen Unternehmen. Läuft alles so gut wie bisher, sollen es in wenigen Jahren 100 000 Elektroautos „Made in NRW“ sein.

2000 Arbeitsplätze im Jahr 2022 lautet das Wunschziel für das Unternehmen von Günther Schuh. Der auf Fahrzeugbau spezialisierte Professor an der RWTH wurde mit der Entwicklung des Streetscooter bekannt. Der kleine Elektro-Kastenwagen prägt inzwischen überall das städtische Straßenbild, wo er von der Post eingesetzt wird.

Ministerpräsident Armin Laschet, gebürtiger Aachener, und Professor Schuh kennen sich, nicht zuletzt aus gemeinsamen Tagen im Schattenkabinett des damaligen CDU-Ministerpräsidentenkandidaten Norbert Röttgen. „Erste Eröffnung eines Autowerks in NRW seit 1963“, sagte der angereiste Laschet und meinte die Einweihung des Bochumer Opel-Werks vor 55 Jahren, bei dessen traurigem Aus vor vier Jahren 3000 Arbeitsplätze verloren gingen.

Gebaut werden die neuen E-Autos im Stadtteil Rothe Erde. Das klingt so nostalgisch wie es sich schreibt. Und richtig: Die Schlacke vom bis 1926 aktiven Stahlstandort wurde auch zum Aschebelag des früheren Dortmunder Stadions Rote Erde zermahlen. Nach dem zweiten Weltkrieg baute Philips hier für ein halbes Jahrhundert Glühbirnen. Der nächste Strukturwandel bringt jetzt einen neuen Leuchtturm der Elektromobilität.

Kann wirklich ein erschwingliches Elektroauto mit teuren Batterien im Hochlohn-Deutschland realisiert werden? 15 900 Euro soll der günstigste kleine Viersitzer kosten, im Gegensatz zur Konkurrenz inklusive Akku. In Deutschland werden noch 4000 Euro Elektroautoprämie abgezogen. Davon ließen sich bislang 3000 Vorbesteller und Großkunden wie die Caritas überzeugen. Gut 1000 Privatkunden kamen zur Werkseröffnung und einer ersten Probefahrt.

So wie Rentner Gerhard Lourenco. Seinem Diesel droht in Köln ein Fahrverbot, der Ego Life sei preiswert und er stelle sich eine Photovoltaikanlage zur hauseigenen Fahrstromversorgung aufs Dach. 3,35 Meter Auto reichen ihm.

Das Geheimnis des günstigen Preises: Radikale Verschlankung und Umsetzung im Rekordtempo. Schuh sagt: „Es gibt ein halbes Dutzend Maßnahmen, die anders sind als in der Automobilindustrie.“ Die wichtigsten: ein Rahmen aus Alu-Profilen, keine Lackierung, Außenhaut aus Kunststoff, deshalb keine Presswerkzeuge für Karosseriebleche, nur zwei Prozent der normalen Werkzeugkosten. „Wir sind die Industrie-4.0-Fabrik schlechthin“, so Schuh über die 47-Millionen-Euro-Investition in den Ego, mit drei Millionen vom Land gefördert, angeschoben durch den Verkauf des Streetscooter an die Post und in nur 15 Monaten hochgezogen. Die Baugenehmigung von der Stadt Aachen gab es nach vier Wochen.

Nur 4,8 Prozent der Herstellungskosten seien Kosten für die Montage, also Gehälter. Das relativiert den Vorteil von Billiglohnländern. Und so sollen anfangs 155 nach Metalltarif bezahlte Mitarbeiter im Einschichtbetrieb 10 000 Ego im Jahr montieren. Zwei weitere Modelle, ein Kleinbus für den öffentlichen Nahverkehr (Mover), ein weiteres Pkw-Modell (Booster) sowie Mehrschichtbetrieb sollen die Stückzahl vervielfachen.

An der Qualität soll es nicht scheitern. Der Ego Life hat vom bereits überraschend reifen Prototypen 2017 bis zum jetzigen Vorserienmodell einen deutlichen Sprung gemacht und die Hürde zur Produktion genommen. In diesem Jahr sollen plangemäß die ersten 1000 Ego Life ausgeliefert werden. Von der Rothen Erde in alle Welt.