Essen. . Finanzvorstand Guido Kerkhoff soll Thyssenkrupp zunächst als Interims-Chef führen. Er gilt als Architekt der Stahlfusion mit Tata. Ein Portrait.
Als Heinrich Hiesinger vor wenigen Tagen in der Brüsseler Bibliothek Solvay die Stahlfusion mit dem indischen Konzern Tata feierte, war Guido Kerkhoff an seiner Seite. Es war Kerkhoff, der die Verträge mit den Geschäftspartnern aus Fernost über Monate hinweg ausgehandelt hatte. Seit mehr als sieben Jahren ist der 50-jährige Manager mittlerweile als Finanzchef bei Thyssenkrupp. Damit hat er Hiesinger fast über seine gesamte Zeit als Vorstandschef begleitet.
Kerkhoff, der nun aller Voraussicht nach vom Aufsichtsrat zum Interimschef gekürt wird, steht also für Stabilität und Kontinuität in unsicheren Zeiten. Schon unmittelbar nach dem Rücktritt von Hiesinger hatte Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Ulrich Lehner betont, es gehe nun „zunächst darum, auf Kurs zu bleiben“. Insofern wäre eine Entscheidung für Kerkhoff keine Überraschung.
Zwischenzeitlicher Schwebezustand
In den vergangenen Tagen blieb der dreiköpfige Vorstand von Thyssenkrupp zunächst ohne Vorsitzenden – ein Schwebezustand, der in einem hierarchisch geprägten Industriekonzern üblicherweise nicht von Dauer ist, auch wenn sich die Führungsriege um Hiesinger, Kerkhoff, Oliver Burkhard (Personal) und Donatus Kaufmann (Recht) gerne als Team inszeniert hat. Die vier Manager duzen sich. Vor einigen Jahren machte ein Handy-Selfie die Runde, das die Vorstandsmänner bestens gelaunt und mit Adidas-Trainingsjacken gekleidet während einer Führungskräfte-Konferenz zeigt. Später zierte das Foto sogar einen Geschäftsbericht von Thyssenkrupp.
Klassischerweise gilt der Finanzchef in Konzernen als Nummer zwei. Seit dem Rückzug von Hiesinger ist Kerkhoff bereits für wichtige Ressorts zuständig, die üblicherweise auf den Vorstandschef zugeschnitten sind – wie etwa die Konzernkommunikation und die Unternehmensstrategie. Der Kontakt zu den Investoren sowie Übernahmen und Firmenverkäufe gehören ohnehin zu seinen Aufgaben.
Stationen bei VEW, Bertelsmann und Telekom
Kerkhoff hat eine klassische Großkonzernkarriere durchlaufen. Anders als Hiesinger und zahlreiche weitere Thyssenkrupp-Führungskräfte ist er aber kein ehemaliger Siemensianer. Die Stationen von Kerkhoff waren der Energieversorger VEW, der Medienriese Bertelsmann und die Deutsche Telekom – also drei große Konzerne aus NRW. Sein Studium der Betriebswirtschaftslehre hat Kerkhoff an der Uni Bielefeld und der Universität des Saarlandes absolviert. Heute lebt er mit seiner Familie in Essen.
Die großen Projekte in der Ära Hiesinger – der Verkauf des verlustreichen Stahlwerks in Brasilien und der Abschied vom Edelstahlgeschäft zum Beispiel – tragen die Handschrift von Kerkhoff. Auch die Pläne für einen möglichen Börsengang des neuen Stahlkonzerns Thyssenkrupp Tata Steel sind von ihm entwickelt worden.
Bewährungsprobe für Kerkhoff
Der Druck durch Investoren wie Cevian – immerhin der zweitgrößte Aktionär nach der traditionsreichen Essener Krupp-Stiftung – bleibt hoch. Die Anleger fordern einen tiefgreifenden Konzernumbau. Investoren wie der US-Hedgefonds Elliott spekulieren auf eine Zerschlagung des Revierkonzerns mit seinen 160.000 Mitarbeitern und Geschäften rund um Aufzüge, Autoteile, Industriefabriken, U-Boote und Stahlhandel.
Hiesinger hatte angekündigt, nach der Stahlfusion die Strategie zu erneuern. Mit seinem Rücktritt gibt es eine neue Lage – und Verzögerungen. „Das angekündigte geschärfte Zielbild für die Strategie von Thyssenkrupp wird erst nach Ernennung eines neuen Vorstandsvorsitzenden vorgestellt werden“, verkündeten Kerkhoff, Burkhard und Kaufmann in einem internen Schreiben an die Mitarbeiter.
Das Amt des Interimschefs wäre eine Bewährungsprobe für Kerkhoff. Gut möglich, dass er für diese Aufgabe länger gebraucht wird. Denn die Suche nach einem langfristigen Hiesinger-Nachfolger gilt angesichts der sehr unterschiedlichen Interessen der Aktionäre als schwierig.