Hattingen. Die Firma Reuschling aus Hattingen baut, überholt und modernisiert Lokomotiven – für Werksbahnen, Museumszüge und auch die Deutsche Bahn.
In leuchtendem Orange steht die fast nagelneue Lokomotive auf der Drehscheibe, die bald an den Düngemittelhersteller Yara in Rostock ausgeliefert wird. Auf dem gebrauchten Fahrgestell haben die Spezialisten der Hattinger Firma Reuschling eine hochmoderne Lok gebaut. Sie haben das 55 Tonnen schwere Gefährt in Module aufgeteilt, die unter anderem kostensparend per Schublade herauszuziehen sind. „Um an das Motormodul zu kommen, müssen wir nur noch die Verschlüsse lösen“, sagt Prokurist Udo Pinders.
In der Modulbauweise und der Digitalisierung sieht Reuschling die Zukunft, auch wenn manche Loks, die zur Überholung oder Reparatur nach Hattingen kommen, 50 Jahre alt und älter ist. Aktuell stehen auch Motoren aus dem Baujahr 1944 in der Werkstatt – aus einer Museumslok, mit der die niederländische Königsfamilie regelmäßig durch ihr Land fährt.
„Wir haben in der Branche eine Sonderposition“, sagt Prokurist Pinders. „Wir arbeiten Hersteller-neutral und unabhängig und sind nicht wie einige unserer Wettbewerber an öffentliche Strukturen gebunden.“ Die rund 120 „Lok-Doktoren aus Hattingen“, wie sie in der Szene genannt werden, sind europaweit tätig. Unternehmen aus der Auto- und Chemieindustrie lassen ihre Loks in Hattingen überholen. Auftraggeber ist aber auch die Deutsche Bahn, die dem Ruhrgebietsbetrieb ihre Leichttriebfahrzeuge aus dem Nahverkehr anvertraut.
„Wir müssen die gesamte Lok auseinanderbauen“
Die Sicherheitsüberprüfungen und Wartungen von Loks sind aufwändig. „Wir haben jährlich rund 20 größere Loks in der Werkstatt. Die sind dann sechs Monate und länger hier“, sagt Pinders. Von den kleineren Modellen sieht Reuschling jährlich etwa 80. Sie sind in der Regel für einige Wochen auf dem Prüfstand. Je älter die Lokomotiven sind, desto komplizierter ist die Wartung. „Wir müssen in der Regel die gesamte Lok auseinanderbauen, um an die einzelnen Komponenten zu kommen“, erklärt der Prokurist. Bei Nachrüstungen und Neubauten setzt Reuschling deshalb immer mehr auf Modulbauweise, wie sie bei Autos und elektronischen Geräten längst Tradition haben. Pinders: „Wir schneiden die Lok sozusagen in technische Scheiben.“ Gemeinsam mit dem Lastwagen-Hersteller Scania haben die Hattinger einen Lkw-Motor so modifiziert, dass er eine Lok antreiben kann. „Auch das spart Kosten. Die Wartung des Lokomotiven-Motors übernimmt jetzt ein Lkw-Monteur“, sagt Pinders.
In die Welt der Eisenbahntechnik halten aber auch in rasantem Tempo Sensoren Einzug, die über Funkverbindungen die Kommunikation zwischen Loks und Waggons ermöglicht. Bei der Entwicklung dieser Innovationen nimmt Reuschling die Hilfe des vom Land NRW, Banken und Unternehmen getragenen Zentrums für Innovation und Technik (Zenit) in Mülheim in Anspruch. Neben der NRW.Bank und der NRW.International GmbH betreibt Zenit als Hauptakteur das Netzwerk NRW.Europa. Zwischen 2008 und 2017 leistete das Team unter anderem rund 7000 Beratungen bei der Suche nach Fördermöglichkeiten oder Kooperationspartnern und organisierte nahezu 1300 Kooperationsgespräche. „Das Angebot ist kostenlos“, sagt Zenit-Berater Uwe Birk. „EU und Land NRW lassen es sich viel Geld kosten, dass Unternehmen innovativ unterwegs sein können.“
Das europäische Netzwerk hat auch Reuschling genutzt. „Wir sprechen nicht die Sprache der Förderrichtlinien und Paragrafen“, räumt Pinders ein. „Man muss erst einmal wissen, welche Programme es überhaupt gibt.“
Neuentwicklungen mit EU-Hilfe
Dabei half Zenit-Berater Birk. Er verschaffte den Hattingern den Zutritt zum britischen Markt und stellte Kontakt zum renommierten Technologieinstitut TWI in Birmingham her. Die Forscher und die Reuschling-Ingenieure entwickelten über ein EU-Forschungsprogramm daraufhin eine Funkstrecke, mit deren Hilfe die Sensoren an den Rädern der Lok eines Zuges mit dem Führerstand kommunizieren können. „Wir setzen Sensoren ein, die energieautark sind, weil sich deren Akkus durch die Vibration während der Fahrt aufladen“, sagt Pinders. Und er betont, dass sein Unternehmen das zukunftsweisende Projekt ohne die EU-Förderung sowie die Beratung durch das NRW.Europa-Team nicht allein hätte stemmen können.