Mülheim. . Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub bleibt verschollen, seine Familie hat die Hoffnung aufgegeben. Wie Haub das Unternehmen geprägt hat.

Kurz vor der Bilanzpressekonferenz vor einigen Jahren konnte Karl-Erivan Haub wieder ohne Beinschiene laufen. „Ich wollte doch nicht, dass die Journalisten schreiben: Tengelmann-Chef geht am Stock“, sagte er damals mit einem Augenzwinkern. Der Mitinhaber der Mülheimer Unternehmensgruppe hatte sich beim Bergklettern schwer verletzt. Seine Leidenschaft für extremen Sport wie auch Triathlon und Marathon wurde dem 58-Jährigen jetzt mit größter Wahrscheinlichkeit zum Verhängnis: Von einer Skitour am Matterhorn kehrte Karl-Erivan Haub vor einer Woche nicht mehr zurück. Seine Familie hat nun die Hoffnung aufgegeben, ihn noch lebend zu finden, wie sie gestern mitteilen ließ.

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Als die Familie Haub im vergangenen September in Mülheim den 150. Geburtstag der Unternehmensgruppe Tengelmann feierte, ahnte niemand, dass das 151. zum Schicksalsjahr werden würde. Am 6. März 2018 starb im Alter von 85 Jahren unerwartet Patriarch Erivan Haub, der den Familienkonzern mehr als drei Jahrzehnte gelenkt hatte. Gut vier Wochen später erschüttert nun das Drama um seinen am Matterhorn spurlos verschwundenen Sohn und Nachfolger Karl-Erivan die Familie und das Unternehmen, zu dem mehr als 80 000 Mitarbeiter gehören.

Polit-Krimi um die Supermärkte

Es waren keine Geringeren als der damalige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, die am 1. September 2017 nach Mülheim kamen, um Tengelmann zum 150. zu gratulieren, vor allem aber um Karl-Erivan Haubs Beharrungsvermögen und Geduld beim zweijährigen Verkaufsprozess der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann an die Rivalen Edeka und Rewe zu loben. Der politische Krimi, an dessen glücklichem Ende im Dezember 2016 die Rettung von mehr als 15 000 Arbeitsplätzen per Ministererlaubnis stand, dürfte wohl zu den einschneidendsten Ereignissen in Haubs Leben gezählt haben. „Ich hatte schlaflose Nächte“, sagte er im WAZ-Gespräch. Der Manager, der die Tengelmann-Gruppe in fünfter Generation führte, hatte die Aufgabe, sich von der Keimzelle des 1867 als Kolonialwarenladen gestarteten Unternehmens, dem Lebensmittelhandel, zu trennen. Haub räumte Fehler ein. „Wir waren zu teuer“, sagte er. Und Tengelmann habe es versäumt, die Supermärkte aus der zentralen Steuerung in die Hände selbstständiger Kaufleute zu geben.

Am Ende war der Verkauf von Kaiser’s Tengelmann aber nur der letzte Mosaikstein, den Haub herausnahm, um das neue Bild des Familienunternehmens zu formen. Inzwischen verdient die Gruppe ihr Geld mit Obi-Baumärkten, den Discountern Kik und Tedi, mit Beteiligungen wie denen an Zalando und Netto, aber auch mit Immobilien und Energie. In wachsendem Maße aber auch mit Onlinehandel-Formaten wie babymarkt.de.

Neuausrichtung nach der Expansion

Die Neuausrichtung gelang nur, weil Karl-Erivan Haub mit der Expansionspolitik seines Vaters brach. Die Tengelmann-Gruppe habe zur Jahrtausendwende, als er sie übernahm, wirtschaftlich am Abgrund gestanden, betonte der Chef immer wieder. Er verkaufte und schloss die Mülheimer Süßwarenfabrik Wissoll, den Discounter Plus, die Drogeriekette kd und schließlich die Supermärkte. Im Kreis der Eigentümer, zu denen neben Erivan Haub auch seine drei Söhne Karl-Erivan, Georg und Christian gehörten, war die neue Philosophie nicht unumstritten.

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Erivan Haub (* 29. September 1932 in Wiesbaden) erhält den Ehrenring der Stadt Mülheim und ist Eigentümer der Tengelmann - Gruppe und leitete diese von 1969 bis 2000. Bild: Ilja Höpping
Von Frank-Rainer Hesselmannund Mirco Stodollick

Karl-Erivan Haub hatte aber erkannt, dass die Mülheimer mit den Aldis und Lidls nicht mehr mithalten konnten. Mit Edeka ging er früh eine Partnerschaft ein. Dass sich Handel immer mehr ins Internet verlagert, beobachtete er am Verhalten seiner Kinder und bei seinen Besuchen im Silicon Valley.

Haub kannte Handel aus dem Eff Eff. 1960 in den USA geboren und später in Wiesbaden aufgewachsen, absolvierte er im eigenen Unternehmen in Mülheim eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann, schloss sein Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften als Diplom-Kaufmann ab.

Als junger Mann bei Nestlé

Der Deutsche Herbst, in dessen Verlauf die Rote Armee Fraktion auch Vater Erivan Haub auf ihre Terrorliste setze, prägte Karl-Erivan bis zuletzt. Er erzählte immer wieder, dass seine Brüder und er zeitweise mit Polizeischutz zur Schule gebracht wurden. Den Weg von Köln nach Mülheim legte Haub stets auf unterschiedlichen Routen zurück.

Als junger Mann arbeitete Haub bei Nestlé in den USA und ging 1986 zur Düsseldorfer Unternehmensberatung McKinsey. 1991 kam er zu Tengelmann zurück. Mitten in der „Goldgräberstimmung“ nach dem Fall der Mauer reiste er mit dem Wohnwagen durch Ostdeutschland, um für seinen Vater nach geeigneten Standorten für neue Filialen zu suchen. 1997 übernahm Karl-Erivan Haub das Europageschäft und trat im Jahr 2000 die Nachfolge seines Vaters als geschäftsführender und persönlich haftender Gesellschafter gemeinsam mit seinem Bruder Christian an. Die Familie zählt zu den reichsten in Deutschland.

Tengelmann bleibt in Familienhand

Seine technische Leidenschaft gehörte den Autos. Als Dienstwagen fuhr Haub einen Tesla. Vor fünf Jahren ließ er alle historischen Fahrzeuge des Konzerns aufarbeiten. Sie sind im eigenen Technik-Museum ausgestellt.

Karl-Erivan Haub ist seit 1989 mit seiner Frau Katrin verheiratet, sie haben zwei Kinder. Die Familie lebt zurückgezogen in Köln. Die Zwillinge bilden mit ihren Cousins und Cousinen die sechste Generation bei Tengelmann. Beim Festakt zum 150. traten sie, die alle in der Zwanzigern sind, erstmals gemeinsam öffentlich auf. Beim Kochen mit Großmutter Helga auf der Bühne redeten sie über Studium und Ausbildung. Im letzten Interview, das Karl-Erivan Haub der WAZ im vergangenen Sommer gab, betonte er, die sechste Tengelmann-Generation stehe „in den Startlöchern“.

Das Unternehmen soll in Familienhand bleiben, betonen die Haubs immer wieder. „Es muss immer weiter gehen“, zitierte Karl-Ervian jüngst beim Tengelmann E-Day seinen verstorbenen Vater. Ein Satz wie ein Vermächtnis.