Berlin/Düsseldorf. Rund ein Viertel aller Ausbildungsverträge wird aufgelöst. Ein Mindestlohn würde das Problem nicht lösen, sind sich Unternehmerverbände einig.
Linke, Grüne und Gewerkschafter fordern angesichts der hohen Anzahl an Ausbildungsabbrechern einen Mindestlohn für Lehrlinge. „Damit alle Auszubildenden von ihrer Ausbildungsvergütung leben können, muss eine gesetzliche Mindestausbildungsvergütung gesetzlich festgelegt werden“, sagte der Linke-Vorsitzende Bernd Riexinger der NRZ. Diese solle unabhängig von Tarifverträgen gelten. Die duale Ausbildung sei schlecht bezahlt und wenig attraktiv. Von den Gehältern könne man oft nicht einmal eine „Besenkammer in einer Wohngemeinschaft“ bezahlen.
NRW liegt unter dem Bundesdurchschnitt
Anlass für die Debatte ist der neue Berufsbildungsbericht, der auf eine sehr hohe Zahl an vorzeitig beendeten Ausbildungsverträgen hinweist. Danach wurde im Jahr 2016 mehr als jeder vierte Vertrag vorzeitig aufgelöst. Die Lösungsquote lag bei 25,8 Prozent. Der Wert liegt deutlich über den Quoten der vergangenen Jahre.
NRW liegt mit einer Vertragslösungsquote von 24,6 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. 2016 wurden gut 31 000 Ausbildungsverträge vorzeitig aufgelöst – deutlich mehr als die Hälfte im ersten Lehrjahr. Das NRW-Arbeitsministerium verwies auf Nachfrage der NRZ unter anderem auf den aktuellen Ausbildungsreport des DGB. Demnach sind die meisten Auszubildenden (71,9 Prozent) mit ihrer Ausbildung zufrieden – es gibt aber erhebliche Branchenunterschiede: Mechatroniker, Industriekaufleute und Industriemechaniker seien überdurchschnittlich zufrieden. Friseure und Auszubildende in Teilen des Hotel- und Gaststättenbereichs bewerten ihre Betriebe hingegen mangelhaft.
Mindestvergütung soll 2020 in Kraft treten
Eine zu geringe Bezahlung wird im Berufsbildungsbericht nicht explizit genannt. Dennoch hält DGB-Vizechefin Elke Hannack die berufliche Ausbildung für zu schlecht bezahlt. „Dort wo die Vergütung besonders niedrig ist, sind die Abbrecherquoten extrem hoch“, sagt sie der NRZ. „Viele steigen vorher aus, da sie mit der kargen Vergütung nicht über die Runden kommen.“ Hannack forderte die Regierung auf, die geplante Mindestvergütung für Azubis schnell durchzusetzen. Laut Koalitionsvertrag von Union und SPD soll diese zum 1. Januar 2020 in Kraft treten. Die Wirtschaftsverbände lehnen den Mindestlohn für Lehrlinge als Eingriff in die Tarifautonomie ab.
Vielschichtige Gründe
Für Robert Schweizog, Geschäftsführer für Bildung und Fachkräfte bei der IHK in NRW steht fest: „Für meinen Geschmack ist die Quote zu hoch.“ Und das, obwohl er erklärt, dass rund die Hälfte der Azubis nach der Auflösung ihres Vertrages eine neue Ausbildung beginnen – zum Teil sogar erneut in derselben Branche. Weil rund ein Drittel dieser Auflösungen in der Probezeit geschieht, ist sich Schweizog sicher, dass es dabei eben auch ums Ausprobieren geht.
Vom Mindestlohn für Auszubildende hält er hingegen nichts. „Ein geringer Lohn kann ein Berufsfeld nicht unattraktiver machen, schließlich ist der ja vorher schon bekannt“, sagt er. Um die Zahl der Abbrecher zu senken, sei es notwendig, die Berufsorientierung in den Schulen zu vertiefen, sagt der IHK-Geschäftsführer.
Oftmals Arbeitgeberwechsel im Sicherheitswesen
Einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge soll die Quote der aufgelösten Ausbildungsverträge mit rund 50 Prozent besonders in der Sicherheitsbranche hoch sein. Silke Wollmann, Sprecherin des Bundesverbandes der Sicherheitswirtschaft (BDSW), betont zwar, dass die Zahl der Abbrecher „viel zu hoch“ sei, sie glaube aber nicht, dass tatsächlich die Hälfte aller Azubis in diesem Berufsfeld ihren Vertrag auflöst.
„Diese Zahl enthält auch die Auszubildenden, die ihren Ausbilder wechseln. Und das kommt in unserer Branche bei einem Azubi auch manchmal zweimal vor“, begründet sie ihre Vermutung.
Unternehmen zahle mehr als nur den Azubi-Lohn
Auch dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) sind die „konstant relativ vielen Abbrüche“ bekannt, gibt ein Sprecher an. Grund dafür sei aber nicht die Bezahlung, die ist bei dem Dehoga tariflich festgelegt und liegt im ersten Lehrjahr bei rund 700 Euro. Die Probleme seien oft vielfältig: unzufriedene Ausbilder treffen auf schlecht vorbereitete Azubis.
Ein Mindestlohn sei keine Lösung. Denn bei einer Ausbildung handele es sich nicht um ein klassisches Arbeitsverhältnis. Das Unternehmen zahle dem Auszubildenden schließlich nicht nur das Gehalt, sondern investiere darüber hinaus Geld in seine Ausbildung.
Mehr Lohn als „Bärendienst“
„Würde man sich mit dem gesetzlichen Mindestlohn auf diese Weise nicht selber einen Bärendienst erweisen?“, fragt er und meint damit, dass die Investitionen in die Ausbildung deutlich kürzer kommen würden, wenn Azubis mehr Geld verdienen würden.