Gelsenkirchen/Herne. . Das nördliche Ruhrgebiet sei nicht mehr abgehängt, sagen die Oberbürgermeister Frank Baranowski (Gelsenkirchen) und Frank Dudda (Herne).

Die Arbeitslosenzahlen sinken, namhafte Unternehmen siedeln sich an, in den Firmen herrscht Zuversicht – mit der Ruhrwirtschaft geht es aufwärts. Die gute Entwicklung sei inzwischen auch im nördlichen Revier zu spüren. „Die Ungleichverteilung im Ruhrgebiet geht zurück“, sagt Chefwirtschaftsförderer Rasmus C. Beck. Der Aufwärtstrend habe nicht nur die großen Städte wie Essen, Dortmund, Duisburg und Bochum erreicht. Beck plädiert für mehr Aufmerksamkeit auch für den Norden des Reviers.

Sie wollen endlich aus dem Schatten der „großen Vier“ treten, die die Schlagzeilen beherrschen: Frank Baranowski und Frank Dudda, die SPD-Oberbürgermeister von Gelsenkirchen und Herne. „Wir profitieren jetzt davon, dass der Strukturwandel längs des Hellwegs schneller abläuft als im nördlichen Ruhrgebiet“, sagt Baranowski. Während in Städten wie Duisburg, Mülheim oder Bottrop der Markt für Gewerbeflächen leergefegt sei, träten nun die freien Areale im Norden stärker in den Fokus.

Neuansiedlungen und zusätzliche Stellen

So sei es der von Arbeitslosigkeit gebeutelten Stadt Gelsenkirchen seit 2007 gelungen, jährlich 1000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte durch Neuansiedlungen zu schaffen. „2017 war für unsere Wirtschaftsförderung das bislang erfolgreichste Jahr. Es gab jeden Monat eine gute Nachricht“, sagt der OB. „Wir haben die gut erschlossenen Flächen und die Zentralität, die Unternehmen suchen.“ Baranowski spricht von einem „Langstreckenlauf“.

Dass etwa der Autozulieferer Bilstein am Schalker Verein bis zu 400 Arbeitsplätze in einem Logistikzentrum schaffen und der Autoventil-Hersteller Bleistahl auf dem ehemaligen Vaillant-Gelände ein Werk aufbauen wolle, „ist ja nicht vom Himmel gefallen“, betont der Oberbürgermeister. Gelsenkirchen sei es gelungen, bei der Digitalisierung Gas zu geben. „Jedes Gewerbegebiet ist an das schnelle Glasfasernetz angeschlossen“, meint der SPD-Politiker. „Wir können jetzt ernten, was wir vor Jahren gesät haben.“

Digitalisierung und grüne Infrastruktur

Wirtschaftlich aufwärts geht es auch in der Nachbarstadt Herne. „Wir haben mit hohem Tempo einen Aufholprozess begonnen“, berichtet Oberbürgermeister Frank Dudda und betont zugleich, dass Herne nur dann erfolgreich sein könne, „wenn auch unsere Nachbarn aktiv sind. Wir brauchen eine aktive Region. Die gute Zusammenarbeit gefällt mir.“ Nach seinem Amtsantritt im Herbst 2015 entwickelte Dudda eine Philosophie, mit der er Herne nach vorn bringen will: „Digitalisierung und global vernetzte grüne Infrastruktur“.

In letzter Zeit häuften sich die positiven Meldungen: Der Logistik-Riese UPS baut seinen Herner Standort für mehr als 70 Millionen Euro aus; der Autozulieferer Duvenbeck hat ein rund 30 Millionen Euro teures Logistikcenter errichtet; der Tiefkühllogistiker Nordfrost will rund 80 Millionen Euro investieren; das Entsorgungsunternehmen Rhenus 20 Millionen Euro in eine Aufbereitungsanlage für PET-Flaschen stecken und der Bahnkonzern Stadler für 25 Millionen Euro ein Bahnwerk bauen. Dudda: „Dadurch entstehen mehrere Hundert neue Arbeitsplätze.“

Seine Zuversicht mag selbst der Umzug der RAG von Herne nach Essen nicht zu trüben. „40 000 Quadratmeter Leerstand hätten uns früher in eine kollektive Depression versetzt“, sagt der OB. Jetzt gebe es großes Interesse an den vom Bergbaukonzern verlassenen Büros. „Gerade erst plant ein Unternehmen 5000 Quadratmeter anzumieten.“ Dudda ist nicht bange um die Zukunft des RAG-Areals am Rande der Herner Innenstadt.

Aber die Finanzlage bleibt dramatisch

„Am Ende zählt die Qualität der Standorte“, erklärt Gelsenkirchens OB Baranowski. Ein Beleg dafür sei die Zeche Nordstern, auf der nach der Bundesgartenschau der Wohnungskonzern Vivawest seine spektakuläre Zentrale errichtete. „Aktuell baut dort ein Ingenieurunternehmen aus München und schafft hochwertige Arbeitsplätze“, so Baranowski.

Ansiedlungserfolge, sinkende Arbeitslosenzahlen und ein aufpoliertes Image – doch sind die Erfolge auch schon im Stadtbild von Herne und Gelsenkirchen erkennbar? „Unsere Finanzlage bleibt dramatisch und muss flankiert werden“, sagt Frank Dudda. „9,2 Prozent Langzeitarbeitslose in Herne sind ein Riesenproblem. Auch denen muss ich eine Perspektive bieten, sonst glaubt mir niemand die gute Story.“ Der Oberbürgermeister freut sich sichtlich darüber, dass in Herne Aufbruchstimmung herrsche. „In Wanne ist das aber noch nicht überall so“, räumt er ein.

Frank Baranowski wählt ein Bild, um die Lage in Gelsenkirchen zu schildern: „Mit Unternehmensansiedlungen robbe ich den Hügel hoch. Gleichzeitig hauen mir aber andere Dinge immer wieder die Füße weg.“

>>> Großveranstaltung wie zuletzt 2010 gefordert

Frank Baranowski und Frank Dudda sind davon überzeugt, dass das Revier nur „als einheitliche Region eine bessere Wahrnehmung“ erlangen könne. Über die Ruhrkonferenz der NRW-Landesregierung hinaus fordern Dudda und Baranowski eine Großveranstaltung wie zuletzt die Kulturhauptstadt 2010. „Wir brauchen ein Format, mit dem wir uns der Welt zuwenden können und müssen alles daran setzen, dass die Internationale Gartenausstellung 2027 als Klammer für das Ruhrgebiet zum Erfolg wird.“