Berlin. Nach dem Fahrverbot-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts herrscht in Deutschland Verunsicherung. Millionen Autofahrer sind ratlos: Wie viel ist mein Diesel noch wert? Droht ein Flickenteppich von regionalen Verboten in der Republik? Die Berliner Politik, die jahrelang das Überschreiten von gesundheitsschädlichen Stickoxid-Grenzwerten in 70 deutschen Städten hinnahm, ist aufgewacht und findet plötzlich die umstrittene blaue Plakette gut. Mit einem bundesweit einheitlichen Label, das hinter die Windschutzscheibe geklebt würde, könnten moderne Diesel von Fahrverboten ausgenommen werden. Regierungssprecher Steffen Seibert kündigte an, eine künftige große Koalition werde sich rasch mit der blauen Plakette befassen.
Nach dem Fahrverbot-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts herrscht in Deutschland Verunsicherung. Millionen Autofahrer sind ratlos: Wie viel ist mein Diesel noch wert? Droht ein Flickenteppich von regionalen Verboten in der Republik? Die Berliner Politik, die jahrelang das Überschreiten von gesundheitsschädlichen Stickoxid-Grenzwerten in 70 deutschen Städten hinnahm, ist aufgewacht und findet plötzlich die umstrittene blaue Plakette gut. Mit einem bundesweit einheitlichen Label, das hinter die Windschutzscheibe geklebt würde, könnten moderne Diesel von Fahrverboten ausgenommen werden. Regierungssprecher Steffen Seibert kündigte an, eine künftige große Koalition werde sich rasch mit der blauen Plakette befassen.
Der Deutsche Städtetag fordert vehement die Einführung der blauen Plakette. „Die Städte brauchen die Plakette, um Autos unterscheiden zu können, falls es zu Fahrverboten kommt“, sagte Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Städtetags, dieser Zeitung. Jetzt müsse die Regierung die Autohersteller härter anfassen. „Die Städte wollen auch nach dem Urteil Fahrverbote vermeiden.“ Aber den Schlüssel dafür hätten nicht sie, sondern die Autohersteller in der Hand. „Wenn die Automobilindustrie endlich ihren Widerstand aufgibt, könnten diese Autos bald technisch nachgerüstet werden.“
Die Leipziger Bundesverwaltungsrichter hatten am Dienstag den Weg für Fahrverbote für Millionen von Dieselautos in Städten frei gemacht, und dabei gerügt, dass es keine bundesweite Regelung wie eine blaue Plakette gibt, mit denen betroffene Städte arbeiten könnten. Fahrverbote dürften aber nicht über Nacht kommen. Auch solle es Ausnahmen für Handwerker und Anwohner geben.
Das wird Millionen Besitzer vor allem älterer Diesel nicht trösten. Ihre Gebrauchten verlieren stetig an Wert. „Die Preise gebrauchter Diesel werden weiter nachgeben“, sagte Thorsten Barg, Geschäftsführer beim Restwertspezialisten Schwacke („Schwacke-Liste“), dieser Redaktion. Das Urteil schaffe zwar wichtige rechtliche Rahmenbedingungen. „Die entscheidenden politischen und markttechnischen Maßnahmen sind aber noch längst nicht ausreichend getroffen.“ Autokäufer würden sich noch stärker als bisher für Benziner entscheiden, selbst wenn etwa moderne Euro-6-Diesel von Fahrverboten wohl nicht betroffen wären.
Die Autohersteller versuchen, das Beste aus dem Urteil herauszulesen. „Das ist eine Absage an generelle Fahrverbote“, sagte Matthias Wissmann, Präsident des Branchenverbandes VDA. Die Konzerne, die nach dem VW-Abgasskandal mit kostenlosen Software-Updates arbeiten wollen, scheuen teure Einbauten an den Motoren. „Hardware-Nachrüstungen sind keine Option für BMW. Das ist kein praktikables Mittel“, teilte der Autobauer mit. Opel erklärte, nach dem Urteil müsse auf Grundlage von Fakten diskutiert werden, „um Rechtssicherheit für alle Beteiligten, Bürger, Kommunen und Industrie zu erreichen“.
Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer dagegen sieht die Autobauer in der Pflicht: „Die Autohersteller müssen Hardware-Nachrüstungen für ihre Dieselfahrzeuge anbieten. Ihre renitente Weigerung ist ein Skandal und schädigt die Branche.“ Laut Dudenhöffer könnte ein Großteil der Diesel der Norm Euro 5 und Euro 6 durch eine Hardware-Lösung richtig sauber gemacht werden. Geschätzte Kosten pro Fahrzeug: 2000 bis 3000 Euro. Ein VW-Sprecher allerdings erklärte, Nachrüstungen am Motor scheiterten häufig daran, dass es in vielen Modellen „schlicht nicht genug Platz“ dafür gebe.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) macht Millionen verunsicherten Autobesitzern Mut. Mit der im Koalitionsvertrag von Union und SPD vereinbarten neuen Musterfeststellungsklage – einer Art Sammelklage – werde die Position betroffener Verbraucher gegenüber Konzernen gestärkt. „Damit bekommen auch viele Besitzer von Diesel-Pkw grundsätzlich die Möglichkeit, gemeinsam mit Verbraucherschützern ihre Interessen künftig besser durchsetzen zu können“, sagte der SPD-Politiker dieser Redaktion.
Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) kündigte an, die Politik werde den Mittelstand nicht im Stich lassen. „Weder die Mittelständler noch die Verbraucher dürfen jetzt diejenigen sein, die die Zeche zu zahlen haben“, sagte sie dieser Zeitung. Viele Handwerksbetriebe haben Dieselfahrzeuge in ihrem Fuhrpark. Sollte es Diesel-Fahrverbotszonen in Innenstädten geben, wo die Luft besonders schadstoffbelastet ist, könnten Handwerker mit älteren Transportern nicht mehr zu allen Kunden kommen und müssten für viel Geld neue Fahrzeuge anschaffen. Handwerksverbände warnen, das könnte Existenzen vernichten.