Essen. Das Entgelttransparenzgesetz soll jetzt für mehr Gerechtigkeit beim Einkommen sorgen. Kritiker weisen jedoch auf die Schwachstellen hin.

Über das Gehalt der Kollegen spricht man nicht. Warum eigentlich nicht? Wäre es nicht fair zu erfahren, was der männliche Kollege der die gleiche Arbeit macht, verdient?

Ab Samstag (6. Januar) können Arbeitnehmer dieser Frage ganz offiziell nachgehen, einen individuellen Auskunftsanspruch stellen und die Infos zum Gehalt der Kollegen einfordern. Das sogenannte Entgelttransparenzgesetz gilt allerdings nur in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten. Benachteiligungen sollen so leichter erkannt und behoben werden.

Frauen verdienen im Schnitt immer noch weniger als Männer

Denn noch immer verdienen Frauen bei gleichwertiger Arbeit durchschnittlich weniger als Männer. Im Jahr 2016 war der durchschnittliche Bruttostundenverdienst von Frauen mit 16,26 Euro um 21 Prozent niedriger als der von Männern (20,71 Euro). Diese Differenz wird als Gender Pay Gap bezeichnet.

Wie der Gender Pay Gap erhoben und berechnet wird

Was ist der Gender Pay Gap überhaupt?

Der Gender Pay Gap (deutsch etwa: Geschlechter-Einkommenslücke) beschreibt den geschlechtsspezifischen Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern. Für die Berechnung des Gender Pay Gap werden die Bruttostundenverdienste der Frauen und Männer einer Gruppe (z. B. Altersgruppe, Branche oder Bundesland) ermittelt.

Was ist der bereinigte und unbereinigte Gender Pay Gap?

Man unterscheidet zwischen dem bereinigten und dem unbereinigten Gender Pay Gap. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) lassen sich fast drei Viertel des unbereinigten Gender Pay Gap auf strukturelle Unterschiede zurückführen.

Welche Gründe gibt es für die Differenzen der Verdienste?

Die wichtigsten Gründe für die Differenzen der durchschnittlichen Bruttostundenverdienste waren Unterschiede in den Branchen und Berufen, in denen Frauen und Männer tätig sind, sowie ungleich verteilte Arbeitsplatzanforderungen hinsichtlich Führung und Qualifikation. Darüber hinaus sind Frauen häufiger als Männer teilzeit- oder geringfügig beschäftigt.

Wie viel Prozent verdienen Frauen weniger?

Ein Viertel des Verdienstunterschieds lassen sich nicht durch die lohnrelevanten Merkmale erklären. Dieser sogenannte bereinigte Gender Pay Gap lag 2014 bundesweit bei sechs Prozent (unbereinigter Gender Pay Gap 2014: 22 Prozent). Das heißt, dass Frauen bei vergleichbarer Qualifikation und Tätigkeit pro Stunde durchschnittlich sechs Prozent weniger als Männer verdienten.

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Island ist da schon einen Schritt weiter und hat ein strikteres Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit eingeführt: Als erstes Land weltweit setzt es, seit dem 1. Januar, gleiche Löhne für Männer und Frauen in gleicher Position durch. Betroffene Frauen müssen jetzt nicht mehr beweisen, dass sie schlechter bezahlt werden.

Seit dem 1. Januar gilt dort dieses Gesetz, das Unternehmen bereits ab 25 Mitarbeitern verbietet, ihre Angestellten aufgrund ihres Geschlechtes unterschiedlich zu bezahlen. Das müssen diese sogar nachweisen. Bei Verstößen drohen Geldstrafen.

Mitgeteilt wird nur der Durchschnittsverdienst der Kollegen

In Deutschland ist das Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit bereits im Juli 2017 in Kraft getreten. Der individuelle Auskunftsanspruch lässt sich jedoch erst ab Samstag, 6. Januar, stellen.

Bei der Auskunft kann nur nach dem Durchschnittsverdienst einer Vergleichsgruppe innerhalb des Unternehmens und nicht nach dem Verdienst eines einzelnen Kollegen gefragt werden. Arbeitnehmer haben dann die Möglichkeit eine höhere Bezahlung einzuklagen.

Arbeitgeber mit mehr als 500 Beschäftigten werden aufgefordert betriebliche Verfahren zur Überprüfung und Herstellung von Lohngleichheit durchzuführen. Hat der Arbeitgeber ein solches Prüfverfahren durchgeführt, muss er die Beschäftigten über die Ergebnisse informieren. Allerdings ist diese Überprüfung freiwillig. Soweit die Theorie. In der Praxis und Umsetzung sehen Experten jedoch deutliche Schwachstellen.

Anwältin für Arbeitrecht sieht in Gesetz keine Lösung für Lohnungleichheit

Irmgard Diephaus besitzt seit 2010 eine Kanzlei im Essener Südviertel und hat sich auf Arbeitsrecht spezialisiert. Für sie ist das neue Entgelttransparenzgesetz keine Lösung für die Lohnungleichheit von Frauen und Männern: „Das ist vielleicht eine juristische Lösung, damit die Regierung nach außen gut dasteht, aber in der Praxis wird das Gesetz meiner Meinung nach nichts bringen.“ Vielmehr müsse ins Bewusstsein der Frauen rücken, was sie können. Sie würden zu wenig fordern und sich nicht richtig aufstellen.

Ein weiteres Problem sieht die Anwältin in der Akzeptanz dieses Gesetztes: Mit der Einforderung mache man sich im Unternehmen vermutlich wenige Freunde. „Gefördert wird man im Unternehmen dann wahrscheinlich nicht mehr.“

Zudem könnten die Arbeitgeber Schlupflöcher finden, wenn es um die Gleichwertigkeit der Arbeit geht. Das neue Gesetz bezeichnet Diephaus daher als stumpfes Schwert: „Die Lohnungleichheit ist ein gesellschaftliches Problem, das man über Gesetze nicht ändern kann.“

Gerechte Arbeitsbedingungen nur durch gute Zusammenarbeit von Chef und Angestellten

Auf Nachfrage dieser Redaktion äußert sich auch eine Stimme aus dem RWE Betriebsrat zu dem neuen Gesetz. Frauen und Männer sollten gleich viel verdienen. Dass das Gesetz und die Pflicht zur Auskunft über den Lohn der Kollegen jedoch zu mehr Lohngerechtigkeit führen wird, wird bezweifelt.

Vielmehr könne nur eine gute Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber zu gerechten Arbeitsbedingungen führen. Kritisiert wird erneut die schwere Vergleichbarkeit: „Außertariflich, beispielsweise bei Ingenieuren für Bautechnik, lassen sich die Aufgaben und Löhne nur schwer vergleichen“, heißt es aus dem RWE Betriebsrat.

Männer und Frauen in gleiche Tarifgruppen einsortiert

Wo Tarifverträge gelten, scheint es hingegen gerechter zuzugehen. Vertreter der Verdi NRW äußerten sich dazu wie folgt: „In den Branchen in denen Verdi über betriebliche Interessensvertretungen verfügt, wie im Öffentlichen Dienst, Handel, und der Telekommunikation, wird die Bezahlung von Frauen und Männern über unsere Tarifverträge geregelt. Männer und Frauen werden bei gleicher Tätigkeit in die gleichen Tarifgruppen eingruppiert.“ Ihnen sei bislang kein einziger Fall bekannt, dass ein Beschäftigter vor hat, einen solchen Antrag zu stellen.

Tabu brechen, über Gehälter zu reden

Laut der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Industrie (IG BCE) könne das Gesetz dazu beitragen, das Tabu zu brechen, über Gehälter zu reden. In den Branchen der IGBCE, wo es eine starke Mitbestimmung und eine hohe Tarifbindung gebe, sei die Bezahlung schon heute deutlich gerechter.

Für Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall NRW, ist das Gesetz ein wichtiger Schritt hin zu mehr Entgeltgerechtigkeit: „Das Gesetz schafft Transparenz über ungleiche Vergütung zwischen Männern und Frauen und hilft so Ungerechtigkeiten zu beseitigen.

Giesler kritisiert jedoch die Gültigkeit der neuen Reglung: „Leider gilt das Gesetz erst für Betriebe mit mehr als 200 Beschäftigten. Die Menschen haben aber auch in den kleineren Betrieben ein Recht auf Transparenz."

Genderforscherin kritisiert die vielen Hürden des Gesetzes

Auch Dr. Christina Klenner, Genderforscherin am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, sieht darin eine von mehreren Schwachstellen des Gesetzes.

Zudem liege eine Hürde darin, dass erst einmal sechs Kollegen gefunden werden müssen, die eine gleichwertige Arbeit leisten, um eine Auskunft zu erhalten. Der Gesetzgeber führt Datenschutzgründe für diese Reglung an.

Gesetz nur kleiner Schritt in die richtige Richtung

Das Gesetz sei lediglich ein „winziger Trippelschritt in die richtige Richtung“ mit Schwachstellen, wie der Schwierigkeit überhaupt gleichwertige Arbeit herauszufinden und zu beurteilen. Es könne als Signal an Frauen verstanden werden, eine schlechtere Bezahlung nicht hinzunehmen.

„Schnelle, durchschlagende Veränderungen wird das Gesetz jedoch nicht bringen“, so die Einschätzung der Genderforscherin, die zu viele Hürden als Grund nennt. Betriebsräte könnten jedoch die Beschäftigten dazu aktivieren, die Auskunft einzufordern, um für mehr Lohngerechtigkeit zu sorgen.

Details zum Entgelttransparenzgesetz hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in einer Broschüre zusammengestellt.