Essen. . In Bürgerversammlungen stellt der Gasnetzbetreiber Thyssengas Pläne für ein Großprojekt im nördlichen Ruhrgebiet vor.
Dass im Ruhrgebiet neue Gaskraftwerke entstehen könnten, passt ins Konzept des traditionsreichen Revierkonzerns Thyssengas. Über ein 4200 Kilometer langes Pipeline-Netz beliefert das Dortmunder Unternehmen Industriebetriebe, Kraftwerke und Kommunen von der holländischen Grenze bis zum Sauerland. Das Gas stammt vor allem aus den Niederlanden, Norwegen und Russland.
Die erste Ferngasleitung Deutschlands wurde 1921 von Thyssengas gebaut. Der neue Thyssengas-Chef Thomas Gößmann zeigte sich bei einem Besuch in unserer Redaktion sicher, dass der Rohstoff Gas auch künftig in Deutschland gebraucht wird. Dabei verwies er auch auf die Pläne für neue Kraftwerke im Ruhrgebiet. „Gaskraftwerke haben eine Zukunft“, sagte Gößmann. „Allein auf Wind und Photovoltaik können wir unsere Stromversorgung nicht aufbauen.“ Aufgrund der witterungsbedingten Schwankungen seien Gaskraftwerke notwendig, um das Stromnetz zu stabilisieren.
Pläne für Gaskraftwerke in Herne und Gelsenkirchen
Der Düsseldorfer Energiekonzern Uniper erwägt, am Kraftwerksstandort in Gelsenkirchen-Scholven von Kohle auf Gas umzustellen. In Herne könnte außerdem ein Gaskraftwerk der Essener Steag entstehen. „Wir unterstützen das Vorhaben in Herne mit Plänen für eine neue, rund 22 Kilometer lange Pipeline“, sagte Gößmann. Die Trasse läuft durch Datteln, Oer-Erkenschwick, Recklinghausen und Herten. Thyssengas stelle das Projekt derzeit in mehreren Bürgerversammlungen vor. „Einsprüche haben wir noch nicht registriert“, berichtete der Firmenchef.
Allein Thyssengas rechnet mit Investitionen in Höhe von rund 30 Millionen Euro. Aus Sicht von Gößmann haben die Vorhaben im Ruhrgebiet eine bundesweite Signalwirkung: „Ich kann mir gut vorstellen, dass auch anderswo in Deutschland ähnliche Gaskraftwerke wie die Anlage in Herne entstehen können.“ Perspektivisch sei es möglich, in Herne auch mit grünem Gas zu arbeiten. Schon jetzt transportiert der Netzbetreiber Biogas, das meist in ländlichen Regionen von NRW produziert wird, in die Ballungszentren.
Strom aus Gas – und umgekehrt
Generell werde unterschätzt, welchen Beitrag die Gaswirtschaft zum klimafreundlichen Umbau der Energiebranche leisten kann, betonte Gößmann. „Gas wird bisher leider nicht als Teil der Lösung, sondern als Problem definiert. Das ist völlig unverständlich“, kritisierte Gößmann. Insbesondere beim Thema Energie-Speicherung könne die Gaswirtschaft helfen. Derzeit fehlt es an Speichern, die das schwankende Angebot von Ökostrom ausgleichen. Gößmann verwies darauf, dass sich aus Gas Strom erzeugen lässt – und umgekehrt. Gas könne zudem ein guter Energiespeicher sein. Dabei sei es möglich, die kilometerlangen Pipelines in Deutschland zu nutzen.
„Unsere Leitungen und die Erdgasspeicher können die langersehnte Lösung der Energiewende sein“, sagte Gößmann. „Das Gasnetz in Deutschland ist 511 000 Kilometer lang, also rund dreizehn Mal um die Erde. Eine bessere und effizientere Speichermöglichkeit kann ich mir gar nicht vorstellen.“ Das Ziel müsse sein, die Strom- und Gasnetze stärker zu verknüpfen. „Pumpspeicherkraftwerke können den aktuellen deutschen Strombedarf für etwa eine halbe Stunde decken. Die Gasinfrastruktur könnte den Strombedarf theoretisch für zwei Monate sicherstellen.“
„August Thyssen war doch sehr klug“
Thyssengas hofft dabei auf ein Bündnis mit Gasnetzbetreibern wie dem Essener Ruhrgas-Nachfolger OGE und den Stromnetzgesellschaften Amprion, Tennet, Transnet BW und 50 Hertz. Ein Knackpunkt seien die Kosten und die Finanzierung. Außerdem dürfen Netzbetreiber wie Thyssengas derzeit nicht als Energieproduzenten agieren. „Die Bundesnetzagentur sollte uns gestatten, Pilotanlagen zu bauen“, warb Gößmann. „Dann könnten die Menschen sehen, dass es funktioniert.“ Für fünf Anlagen entstünde seinen Berechnungen zufolge ein Investitionsvolumen von etwa 100 Millionen Euro.
„Schauen wir doch mal in die Historie“, sagte er. „August Thyssen war doch sehr klug, als er Thyssengas gründete. Das Gas aus Kokereien wurden in Leitungen in die Städte transportiert – unter anderem um zu heizen oder für die Straßenbeleuchtung. Das war vor fast 100 Jahren sehr effizient, denn die Energie wurde weiter genutzt. Wir können heute wieder einen ähnlichen Weg gehen.“