Essen. . Im WAZ-Interview spricht Bernd Tönjes über die in einem Jahr anstehende Zäsur für den Bergbaukonzern und seine Pläne für die Zeit nach der Kohle.

Vor wenigen Tagen hat RAG-Chef Bernd Tönjes ein neues Büro bezogen. Die Zentrale des Steinkohlenkonzerns ist von Herne nach Essen umgezogen – auf das Gelände von Zeche Zollverein. Damit kehrt das Unternehmen ein Jahr vor der Schließung der Zechen zurück zu seinen Wurzeln. 1968 ist der Konzern in Essen gegründet worden. Im Interview mit Ulf Meinke sagt Bernd Tönjes, wie es nun mit der RAG weitergeht.

Herr Tönjes, im kommenden Jahr endet der Steinkohlenbergbau in Deutschland. Trotzdem hat die RAG nun eine neue Firmenzentrale auf dem Gelände von Zeche Zollverein in Essen bekommen. Wie passt das zusammen?

Bernd Tönjes: Wenn die Bergwerke ihren Betrieb einstellen, verschwindet ja nicht die RAG. Wir sind noch da, und wir werden gebraucht. Eine wichtige Aufgabe ist, dass wir uns um die Bergbaugeschädigten kümmern. Wir sorgen auch dafür, dass das Grubenwasser nicht zu sehr ansteigt. Außerdem wollen wir gute Lösungen für die frei werdenden Bergbauflächen finden. Dies tun wir dann von Essen aus – unserer alten Heimat – und von unserem Standort Pluto in Herne-Wanne.

Aber die RAG wird in Zukunft ein viel kleineres Unternehmen sein.

Vor zehn Jahren, als die Politik den Ausstieg beschlossen hat, hatten wir noch 32 000 Mitarbeiter, jetzt sind es 5000. Allein im vergangenen Jahr ist die Belegschaft um etwa 1200 Menschen kleiner geworden. Künftig werden wir mit den Kollegen unserer Immobiliensparte etwa 650 Beschäftigte haben. Die RAG befindet sich also in einem rasanten Wandel. Wir sind stolz darauf, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen gegeben hat. Kein Kumpel ist ins Bergfreie gefallen.

Kommt das Ruhrgebiet auch ohne die Kohle klar?

Die Kohle hat das Ruhrgebiet zu der Region gemacht, die sie ist. Es waren die Bergleute, die wesentlich zum deutschen Wirtschaftswunder beigetragen haben. 2018 wird für uns ein schwarzes Jahr sein. Wir haben Erfahrung damit, große Bergwerke stillzulegen. Aber es ist eine andere Dimension, das letzte Bergwerk zu schließen. Das ist eine Zäsur in der deutschen Industriegeschichte.

Wenn dieser Tage vom Kohleausstieg gesprochen wird, geht es meist um die Kraftwerke. Wie verfolgen Sie die Diskussion?

Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass nach 2018 der Einsatz von Steinkohlen beendet ist. Wir haben zuletzt vier Millionen Tonnen Steinkohle im Jahr geliefert. Importiert worden sind 40 Millionen Tonnen. Für die deutsche Kohle kann ich jedenfalls feststellen: Arbeits- und Umweltschutz haben wir stets groß geschrieben. Da sind wir Weltspitze.

Zu den Altlasten des Bergbaus gehört auch der krebserregende Stoff PCB im Grubenwasser. Wie groß ist das Risiko für das Trinkwasser?

Das Trinkwasser zu schützen ist unser oberstes Gebot. Uns ist sehr bewusst, wie wichtig beispielsweise die Halterner Sande für die Versorgung der Region sind. Deshalb haben wir auch ein Konzept für die nächsten Jahre entwickelt, das den sicheren Abstand zum Trinkwasser gewährleistet und die geringe Belastung der Flüsse durch Grubenwasser noch einmal deutlich verringert – unter anderem durch den Bau unterirdischer Strecken. Die Emscher wollen wir so künftig komplett frei von Grubenwasser halten.

Wollen Sie noch immer ein Pumpspeicher-Kraftwerk im Bottroper Bergwerk Prosper-Haniel bauen?

Wir glauben weiterhin daran, dass ein solches Vorhaben sinnhaft ist. Technisch ist ein Pumpspeicher-Kraftwerk in Bottrop machbar. Im Zuge der Energiewende ist es wichtiger denn je, Energie zu speichern. Aber derzeit rechnet sich ein Pumpspeicher-Kraftwerk unter Tage nicht. Der Gesetzgeber müsste auf Bundesebene die Rahmenbedingungen verändern, damit ein tragfähiges Geschäftsmodell entsteht. Ich würde mir wünschen, dass sich die künftige Bundesregierung mit dem Thema befasst. Die Zeit drängt. Spätestens im Jahr 2019 brauchen wir eine Entscheidung. Wenn die Schächte in Bottrop erst einmal dicht sind, ist die Sache erledigt.

Wie häufig gibt es eigentlich Streit um Bergschäden?

Wir verzeichnen rund 22 000 Schadensmeldungen im Jahr. Meist geht es um Summen, die kleiner sind als 5000 Euro. Fast alle Fälle lassen sich einvernehmlich regeln.

Sie kümmern Sie sich ja auch um die Schäden, die durch den Altbergbau entstehen. Betrifft dies auch die Schächte der Bergbau-Nachfolgekonzerne Eon, RWE und Thyssen-Krupp?

Viele Fälle werden über unsere Hotline gemeldet. Wir leisten dann erste Hilfe und kümmern uns – unabhängig von der rechtlichen Verantwortung. Mit unseren 7000 Schächten in NRW und dem Saarland, 4500 davon in NRW, liegt nur ein Teil dieses Altbergbaus in der Verantwortung der RAG.

Wird das Ruhrgebiet auf ewig unter Bergschäden leiden?

Spätestens in einigen Jahrzehnten wird sich das Thema weitgehend erledigt haben. Bergschäden tauchen meist in den ersten Jahren nach dem Betrieb unter Tage auf, danach kehrt in aller Regel Ruhe ein.

Sie haben rund 180 000 Betriebsrentner. Ändert sich für die Ehemaligen etwas durch das Ende des Betriebs auf den Zechen?

Für die Betriebsrentner ändert sich nichts. Wir stehen zu unserer Verantwortung.

Fließen nach 2019 noch Subventionen in die RAG?

Nein, wir finanzieren uns dann aus unseren Rücklagen und durch die RAG-Stiftung, die wiederum einen Großteil ihrer Mittel aus Dividenden des Chemiekonzerns Evonik sowie Erlösen aus Firmenbeteiligungen generiert.

Die frühere NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ist gerade in den Aufsichtsrat der RAG gewechselt. Was halten Sie von solchen Seitenwechseln?

Ich finde es grundsätzlich gut, dass es Wechsel von der Politik in die Wirtschaft gibt und umgekehrt. Eine künstliche Trennung halte ich für falsch. Es gibt viele Beispiele, die zeigen, dass Politik und Wirtschaft voneinander lernen können.