Essen. Mit der Rettung der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann habe er „Rechtsgeschichte geschrieben“, sagt Sigmar Gabriel ein Jahr danach.

Nach langem Ringen trat heute vor einem Jahr die Ministererlaubnis von Sigmar Gabriel in Kraft. Danach durften Edeka und Rewe die mehr als 400 Supermärkte von Kaiser’s Tengelmann übernehmen. Mit dem heutigen Außenminister sprach Frank Meßing über die turbulente Zeit.

Herr Gabriel, würden Sie Ihre Ministererlaubnis zur Supermarkt-Fusion heute wieder so treffen?

Sigmar Gabriel: Ja! Ganz eindeutig. Und es zeigt sich ja, dass es funktioniert hat: Wir haben mit der Ministerentscheidung für die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann an Edeka nicht nur für 15 000 Menschen ihren Arbeitsplatz gesichert, sondern erstmals die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als Gemeinwohlgrund festgelegt.

Geht von Ihrer damaligen Entscheidung Signalwirkung aus?

Sigmar Gabriel: Unsere Entscheidung hat Rechtsgeschichte geschrieben, denn bisher galten nur die Interessen Deutschlands an bestimmten Unternehmenszusammenschlüssen als mögliche Gründe für das Allgemeinwohl. Mit der Entscheidung für die Fusion haben wir gesagt: auch die Interessen von Verkäuferinnen und Verkäufern, Lagerarbeitern, Fleischern, Gabelstaplerfahrern gehören zu den Gemeinwohlgründen, die wichtiger sind als die reine Wettbewerbslehre der Volkswirte. Es gibt eben auch ein Gemeinwohlinteresse Arbeitsplätze zu erhalten. Mehr noch: aus die Qualität der Arbeitsplätze wurde erstmals zu einem Gemeinwohlgrund: faire Löhne, Tarifverträge, Arbeitsbedingungen, Betriebsräte und die Mitbestimmung im Unternehmen: all das haben wir mit der Ministerentscheidung für 15 000 Menschen gesichert.

Es gab Forderungen, das Instrument der Ministererlaubnis ganz abzuschaffen. Wäre das richtig?

Sigmar Gabriel: Das fordern diejenigen, denen die Arbeitnehmerinteressen nicht so wichtig sind. Die immer nur wollen, dass die Spielregeln des Marktes gelten und nicht die Lebensinteressen von Menschen. Die damalige Kritik an meiner Ministerentscheidung offenbarte ja auch, dass manchen Professoren der Volkswirtschaft das Leben von normalen Arbeitnehmern ziemlich fremd sein musste. Verkäufer, Lagerarbeiter, Fleischer, oftmals Teilzeitkräfte: die bekommen doch ohnehin häufig genug keinen guten Lohn. Der Gesetzgeber wollte es mit der Ministererlaubnis aber anders. Er wollte ganz bewusst die Möglichkeit schaffen, einen Unternehmenszusammenschluss zu genehmigen, der vor dem Hintergrund des Wettbewerbsrecht nicht möglich wäre, aber aus Gründen des Allgemeinwohls trotzdem durch den zuständigen Minister genehmigt werden kann. Dieses Instrument gibt es ja schon sehr lange, weil immer klar war, dass das Leben eben nicht abstrakt in volkswirtschaftlichen Seminaren stattfindet, sondern in der Realität.

Das Oberverwaltungsgericht Düsseldorf hatte den Verdacht geäußert, sie seien bei Ihrer Entscheidung befangen gewesen. Hat Ihnen dieser Vorwurf geschadet?

Sigmar Gabriel: Der Vorwurf war schon damals absurd. Das haben damals schnell sehr viele Beobachter des Ministererlaubnis-Verfahrens auch so gesehen und deshalb hat er am Ende auch nicht geschadet. Aber es ist auch nicht die Aufgabe eines Ministers, sich die Frage zu stellen, ob seine Entscheidung für ihn selbst Ärger und Kritik mit sich bringen kann oder nicht. Zuerst einmal ist zu klären, was eine richtige Entscheidung im Sinne des Gemeinwohls ist.

Und wenn es dann dafür Ärger gibt, dann muss man das aushalten. Dafür ist man Minister. Ich bin jedenfalls nicht in die Politik gegangen, um es mir selbst angenehm und bequem zu machen, sondern um das Leben für andere besser zu machen. Da darf man keine Angst vor Kritik und Ärger haben.

Das Kartellamt hatte die Fusion aus Sorge vor steigenden Preisen für Verbraucher und sinkenden Erträgen für Hersteller von Lebensmitteln begründet. Ist dieses Szenario aus Ihrer Sicht eingetreten?

Sigmar Gabriel: Nein. Wir haben diese Frage ja damals auch beraten. Und es gibt auch heute dafür keinen glaubwürdigen Beleg.

Wie ist es Ihnen letztlich gelungen, die zerstrittenen Handelsbosse auf einen Kompromiss einzuschwören?

Sigmar Gabriel: Einfach geduldig miteinander reden. Und die beiden Vermittler, Altkanzler Gerhard Schröder und der Wirtschaftsweise Prof. Bert Rürup waren ungeheuer hilfreich. Dass ich die zerstrittenen Parteien überzeugen konnte, diese beiden Vermittler zu akzeptieren, war wohl der Durchbruch.

Hätten Sie Konsequenzen gezogen, wenn Sie gescheitert wären?

Sigmar Gabriel: Nicht ich hätte Konsequenzen zu befürchten gehabt, sondern viele tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Tengelmann. Ich bin sehr froh, dass die vor einem Jahr ein ruhiges Weihnachtsfest hatten. Der Besuch einer Weihnachtsfeier in einem Lager von Tengelmann wird mit wohl immer in Erinnerung bleiben. Für mich war es das schönste Ereignis der letzten vier Jahre in der Politik.

Wie hat sich der Sozialdemokrat Sigmar Gabriel gefühlt, als ihn der Milliardär und Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub den besten Wirtschaftsminister seit langem nannte?

Sigmar Gabriel: Ich messe Menschen nicht daran, wieviel Geld sie haben, sondern daran, ob sie sich vom Schicksal anderer Menschen berühren lassen. Und mein fester Eindruck war, dass Herrn Haub das Schicksal seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr berührt hat. Dafür hat er meinen großen Respekt. Außerdem wusste ich, dass ihm seine Großmutter vor Jahren auf den Weg mit gegeben hatte, dass er immer auf die Unterstützung der Sozialdemokraten vertrauen solle, wenn die Zeiten mal schwierig würden. Da kann ich nur sagen: wo sie Recht hat, hat sie Recht.