Essen/Frankfurt. . Unrealistische Verbrauchsangaben: Herstellern drohen hohe EU-Strafen, wenn ihre Flotten zu viel CO2ausstoßen. Dieselkrise verschärft das Problem
Dass der schöne neue Wagen weit durstiger ist, als der Hochglanzprospekt versprochen hat, wird nicht mehr viele Autokäufer überraschen. Die unter Laborbedingungen ermittelten Werte sind auf der Straße Makulatur, daran haben sich die Verbraucher gewöhnt, weil sie es nicht anders kennen. Doch das – legale – Schönrechnen dient längst nicht mehr allein Werbezwecken, sondern ist für die Autobauer zum wichtigsten Instrument geworden, um Strafzahlungen zu vermeiden.
Die Europäische Union setzt den Fahrzeugflotten der Hersteller bis 2021 immer engere Grenzen für den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2), bei deren Überschreitung saftige Strafen fällig werden. Der aktuell tolerierte Durchschnittswert von 130 Gramm je Kilometer sinkt bis 2021 auf 95 Gramm. Einer neuen Studie zufolge dürften die meisten Autobauer daran scheitern – vor allem, wenn der Absatz der in Verruf geratenen, aber sparsameren Diesel-Modelle weiter so deutlich sinkt wie zuletzt.
„Die Mehrheit der Autohersteller ist auf Dieselfahrzeuge angewiesen, um ihre Flottenemission in der EU zu reduzieren,“ heißt es in der Analyse der Beratungsgesellschaft MSCI. Sie geht davon aus, dass die Diesel-Verkaufszahlen bis 2021 um 30 Prozent sinken und die Kunden stattdessen Benziner oder Autos mit alternativen Antrieben kaufen werden.
Einbruch der Diesel-Verkäufe schafft neue Probleme
Selbst wenn die Diesel-Verkaufszahlen stabil blieben, könnten wohl einzig Toyota und Peugeot die EU-Grenzwerte einhalten, so das Ergebnis der MSCI-Hochrechnungen. Setze sich die Abkehr vom Diesel fort, würde das auch den deutschen Herstellern mit ihren vielen PS-starken Modellen hohe Strafzahlungen einbrocken. Je nach Szenario könnte sich das in der hiesigen Autoindustrie nur bei VW und mit Abstrichen auch bei BMW in Grenzen halten.
Im Vergleich mit Benzinern sind Diesel effizienter und stoßen weniger CO2 aus. Dafür sind die Emissionen etwa von gesundheitsgefährdenden Stickoxiden höher, was deshalb bereits zu begrenzten Diesel-Fahrverboten in dicht besidelten Großstädten wie etwa Hamburg geführt hat.
Im Hinblick auf die künftigen CO2-Grenzwerte stellt das die Hersteller, die nach wie vor fast ausschließlich Autos mit Verbrennungsmotoren verkaufen, vor große Probleme. Eine Verschiebung vom Diesel zum Benziner würde den Flottenverbrauch erhöhen. Der Umstieg auf elektrische Antriebe wird der MSCI-Studie zufolge bis 2021 noch nicht stark genug angelaufen sein, um das ausgleichen zu können.
Dabei verstärken die Hersteller die kurzfristige Verschiebung zum Benziner mit ihren „Umweltprämien“ genannten Rabatten für Neuwagenkäufer, die alte Diesel abgeben. Laut der jüngsten Rabatt-Studie des CAR-Instituts der Uni Duisburg-Essen kurbeln damit zurzeit vor allem Ford, Seat und Skoda ihre Verkaufszahlen an.
Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des CAR-Instituts, bezweifelt allerdings, dass sich der Flottenverbrauch bis 2021 belastbar hochrechnen lässt, weil der Umstieg auf alternative Antriebe gerade erst beginne und seine Dynamik sich schwer berechnen lasse. Im ersten Halbjahr 2017 wurden EU-weit 417 984 Pkw mit alternativen Antrieben (Hybride, Elektro und Gasautos) zugelassen. Das waren gemessen an der Gesamtzahl von über acht Millionen immer noch sehr wenige, aber 38 Prozent mehr als im Vorjahresvergleich.
„Europa steuert um und zwar kräftig“, sagte Dudenhöffer dieser Zeitung. Ab 2019 brächten alle großen Hersteller viele neue Modelle auf den Markt, bis 2021 würden mehr als 250 verschiedene Hybride, Plug-Ins und reine Elektromodelle zu haben sein. Dudenhöffe geht deshalb davon aus, dass die meisten Autobauer auch künftig um Strafzahlungen herumkommen. Dies freilich nur, weil sie den Verbrauch ihrer Verbrennungsmotoren auch künftig schönrechnen dürften. „Würde der tatsächliche Spritverbrauch als Maßstab genommen, könnten die Hersteller die EU-Grenzwerte nicht einhalten“, so Dudenhöffer.