Duisburg. . Bei Thyssen-Krupp ist die Stimmung gereizt. Wut mischt sich mit Angst um Arbeitsplätze. Duisburgs OB Link kritisiert Firmensitz-Verlagerung.

„Stahl ist Zukunft“ – das Graffiti auf dem Pflaster vor der Thyssen-Kupp-Hauptverwaltung in Bruckhausen ist schon nicht mehr ganz frisch. Gegenüber, vor dem Tor 1 des Hüttenwerks im Duisburger Norden ist dieses Glaubensbekenntnis der Stahlkocher in einer schweren Krise. An der Mahnwache, die der Betriebsrat mit Blick auf die Aufsichtsratssitzung am Samstag schon vor Tagen aufgebaut hatte, erfuhr die Belegschaft am Mittwochmorgen per Flugblatt von der Einigung zwischen Thyssen-Krupp und Tata über die Stahlfusion.

Ein Teil der Frühschicht aus dem Warmbandwerk hat die Arbeit ebenso spontan niedergelegt wie ein Dutzend Kollegen aus dem Kaltbandwerk, die mit Fahrrädern zum Zelt am Werkstor geradelt sind. Wut und Empörung über die Informationspolitik des Vorstands mischen sich mit Angst um Arbeitsplätze und Standorte. „Wir haben lange genug gewartet, jetzt müssen wir den Kampf aufnehmen“, ruft Betriebsrat Markus Stockert. „Ob Zerschlagung oder Fusion, das ist mir egal – wichtig ist uns, dass die Arbeitsplätze erhalten bleiben, kein Standort geschlossen wird“, sagt Vertrauensmann Peter Römmele.

Betriebsratschef von Konzernchef enttäuscht

Auch Günter Back, der Betriebsratschef von Thyssen-Krupp-Steel, hat erst am Morgen von der Einigung erfahren. Aus seiner Enttäuschung über Konzernchef Heinrich Hiesinger macht er keinen Hehl: „Das ist wohl die neue Kultur im Umgang mit der Mitbestimmung.“ Ein Film zur geplanten Fusion, zu sehen auf der Konzern-Homepage, belegt für ihn, dass die Verständigung nicht erst am Tag zuvor erfolgte.

Die Eckpfeiler der Fusions-Pläne

Arbeitsplätze

Sowohl bei Tata als auch bei Thyssen-Krupp sollen „in den kommenden Jahren“ jeweils „bis zu 2000 Stellen“ abgebaut werden, und zwar jeweils ebenfalls zur Hälfte in der Verwaltung und in der Produktion. Bei Thyssen-Krupp würden insgesamt noch mehr Stellen abgebaut, weil noch alte Sparprogramme laufen oder angekündigt wurden. So wurde bereits der Wegfall von rund 300 Arbeitsplätzen im Grobblech-Werk im Duisburger Süden angekündigt. Hinzu kommen 400 bis 600 Verwaltungsstellen, deren Abbau im Juni verkündet wurde.

Standorte

Zu einzelnen Werken steht nichts im MoU, lediglich, dass „ab dem Jahr 2020 das Produktionsnetzwerk“ zwecks Optimierung überprüft werde. Heißt im Klartext, dass dann Schließungen einzelner Anlagen bis hin zu ganzen Werken auf die Tagesordnung kommen werden. Da Tata im niederländischen IJmuiden an der Nordsee das modernste Stahlwerk Europas betreibt, dürfte diese Frage vor allem zwischen britischen und deutschen Werken entschieden werden. Wobei auf der Insel der Brexit erschwerend hinzukommen könnte. Die IG Metall befürchtet, der Einfluss der britischen Regierung könne am Ende zu Lasten deutscher Standorte gehen. Auch im MoU wird der Brexit als Unsicherheitsfaktor genannt.

Die Besitzverhältnisse

Das Gemeinschaftsunternehmen soll zum Start mit jeweils 50 Prozent Tata und Thyssen-Krupp gehören. Die Arbeitnehmerseite fordert vom Management Zusagen, dass der Essener Dax-Konzern diesen Anteil auch langfristig hält und sich nicht schrittweise aus dem Stahl zurückzieht, etwa wenn es nicht so laufen sollte wie erhofft. Im MoU wird keine Mindesthaltedauer genannt.

Einsparziele und Lasten

Als jährlich zu erzielendes Einsparpotenzial nennen die potenziellen Partner für die Anfangsjahre 400 bis 600 Millionen Euro. Damit gemeint sind Kostensynergien in Verwaltung, Vertrieb, Logistik und Forschung. Langfristig will Thyssen-Krupp Tata noch mehr Geld sparen, indem ab 2020 unrentable Anlagen „überprüft“, sprich bei negativem Prüfergebnis geschlossen werden.Als Rucksack nimmt die Stahlsparte von Thyssen-Krupp ihre Pensionslasten von 3,6 Milliarden Euro mit. Tata hatte sich in Großbritannien auf die Auslagerung seiner Pensionsverpflichtungen von 17,5 Milliarden Euro in einen Fonds geeinigt. Allerdings bleibt Tata zu einem Drittel daran beteiligt, also in der Mithaftung. Die Ausgliederung wird die Konzernbilanz von Thyssen-Krupp „signifikant verbessern“, sagte Vorstandschef Hiesinger. Umgekehrt fragt sich die IG Metall, ob das neue Unternehmen mit diesen Lasten wettbewerbsfähig sein wird.

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Wesentlich mehr als die von Hiesinger angekündigten 2000 Jobs werde die Fusion kosten, fürchtet Back. Rund 4000, die nach Berechnungen des Betriebsrats durch Standortschließungen und Restrukturierung ohnehin in Gefahr sind, preise der Konzernvorstand nicht mit ein. „Dazu gibt es in seiner Erklärung kein Wort.“ Den Tata-Mitarbeitern in Großbritannien habe man ihre Arbeitsplätze für die nächsten fünf Jahre garantiert, sagt Back: Das ist das Mindeste, was wir auch haben müssen.“

Back vermutet steuerliche Gründe hinter Wahl des Sitzes

Steuerliche Gründe vermutet Back hinter der Wahl der Niederlande als Sitz des neuen Stahlunternehmens: „Damit will man offenbar ein paar Millionen sparen.“ Oberbürgermeister Sören Link (SPD) sagt zur Sitz-Entscheidung: „Als Sohn eines ehemaligen Mitarbeiters von Thyssen-Krupp blutet mir wirklich das Herz. Denn Duisburg ist Stahl, und Duisburg ist Thyssen-Krupp.“

„Am liebsten hätten wir alle sofort die Arbeit niedergelegt“, schildert Udo Meyer, Kranführer im Grobblechwerk in Duisburg-Hüttenheim, die Stimmung unter den Kollegen am Mittwochmorgen. Das Werk im Duisburger Süden schreibt seit einigen Jahren rote Zahlen, und die Kollegen wüssten, was ihnen drohe: „Alle haben Angst um ihren Arbeitsplatz.“

Betriebsrat kann Anfragen nicht mehr bewältigen

Am Mittag kann der Betriebsrat Werner von Häfen die vielen Anfragen besorgter Kollegen nicht mehr bewältigen und lädt vors Werkstor. „Wir werden kämpfen“, ruft er. Ziel sei die Sicherung von Arbeitsplätzen und Standorten. „Wir gehen keiner Fusion aus dem Weg“, kündigt von Häfen an, aber die Bedingungen müssten stimmen. „Richtig, Werner“, rufen die Kollegen, klatschen sich über den Frust hinweg. Von Häfen ist seit 1964 Stahlwerker, seit 30 Jahren Betriebsrat und ebenso lang im Kampf um Arbeitsplätze. 99,3 Prozent seiner Hüttenheimer Kollegen sind in der IG Metall organisiert.

Hiesinger lud gestern Abend kurzfristig die Stahl-Aufsichtsräte und Betriebsräte nach Essen ein, um sie von der Tata-Fusion zu überzeugen. Die Atmosphäre war eisig, hieß es, Fragen wurden nicht gestellt, die Häppchen blieben unangetastet. Die Botschaft: Die Antwort der Belegschaft gibt’s am Freitag – auf der Großkundgebung der IG Metall gegen die Fusion in Bochum.