Essen. . Exklusiv-Interview mit Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger über die Stahl-Fusion mit Tata und den Wandel des Essener Konzerns.

Es ist sein erstes ausführliches Interview nach der historischen Entscheidung für Thyssenkrupp: Noch bevor er zur Pressekonferenz im Essener Konzernquartier eilt, stellt sich Vorstandschef Heinrich Hiesinger den Fragen von Ulf Meinke und Stefan Schulte.

Herr Hiesinger, Sie wollen die Stahlwerke aus dem Konzern ausgliedern und die Hälfte des traditionsreichen Stahlgeschäfts verkaufen. Ist Thyssenkrupp damit kein Stahlkonzern mehr?

Heinrich Hiesinger: Wir bleiben am Stahl beteiligt und stehlen uns nicht aus der Verantwortung. Es ist gut für uns, langfristig 50 Prozent am zukünftigen Gemeinschaftsunternehmen mit Tata Steel zu halten. Aber genauso richtig ist, dass wir Thyssenkrupp konsequent zu einem starken Industriekonzern umbauen. Thyssenkrupp steht heute für Ingenieurleistung. Es liegt in den Genen der Firma, sich immer wieder zu verändern. Das tun wir nun.

Sie brechen mit der Tradition?

Mahnwache bei ThyssenKrupp in Duisburg Bruckhausen

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    Heinrich Hiesinger: Nein, das ist kein Bruch. Mit 50 Prozent sind wir ein wichtiger Miteigentümer am Stahlgeschäft. Und wir haben damit auch ein starkes Interesse, das neue Unternehmen zum Erfolg zu führen. Das ist eine Vorwärtsstrategie zur Zukunftssicherung. Wir schaffen Europas zweitgrößten Stahlkonzern mit 48.000 Mitarbeitern und großen Standorten in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden. Davon profitiert auch Thyssenkrupp als Konzern insgesamt.

    Was sind die Gründe für diesen Schritt?

    Heinrich Hiesinger: Mit dem geplanten Joint Venture geben wir unseren europäischen Stahlaktivitäten eine klare Zukunftsperspektive. Wir gehen das Thema Überkapazitäten in der europäischen Stahlindustrie an und schaffen gemeinsam mit Tata eine starke Nummer zwei. Tata ist ein Partner, der strategisch und kulturell sehr gut zu uns passt. Uns verbindet eine klare Leistungsorientierung und ein gemeinsames Verständnis von unternehmerischer Verantwortung gegenüber Mitarbeitern und Gesellschaft.

    Der Konzernsitz soll in die Niederlande abwandern – in die Region Amsterdam. Duisburg verliert. Empfinden Sie das als schmerzhaft?

    Heinrich Hiesinger: Uns ist wichtig, dass es bei unserem Vorhaben, einen starken europäischen Stahlkonzern zu formen, keine Gewinner oder Verlierer gibt. Tata hat Schwerpunkte in Großbritannien, Thyssenkrupp in Deutschland. Die Niederlande liegen da zentral in der Mitte.

    Die Eckpfeiler der Fusions-Pläne

    Arbeitsplätze

    Sowohl bei Tata als auch bei Thyssen-Krupp sollen „in den kommenden Jahren“ jeweils „bis zu 2000 Stellen“ abgebaut werden, und zwar jeweils ebenfalls zur Hälfte in der Verwaltung und in der Produktion. Bei Thyssen-Krupp würden insgesamt noch mehr Stellen abgebaut, weil noch alte Sparprogramme laufen oder angekündigt wurden. So wurde bereits der Wegfall von rund 300 Arbeitsplätzen im Grobblech-Werk im Duisburger Süden angekündigt. Hinzu kommen 400 bis 600 Verwaltungsstellen, deren Abbau im Juni verkündet wurde.

    Standorte

    Zu einzelnen Werken steht nichts im MoU, lediglich, dass „ab dem Jahr 2020 das Produktionsnetzwerk“ zwecks Optimierung überprüft werde. Heißt im Klartext, dass dann Schließungen einzelner Anlagen bis hin zu ganzen Werken auf die Tagesordnung kommen werden. Da Tata im niederländischen IJmuiden an der Nordsee das modernste Stahlwerk Europas betreibt, dürfte diese Frage vor allem zwischen britischen und deutschen Werken entschieden werden. Wobei auf der Insel der Brexit erschwerend hinzukommen könnte. Die IG Metall befürchtet, der Einfluss der britischen Regierung könne am Ende zu Lasten deutscher Standorte gehen. Auch im MoU wird der Brexit als Unsicherheitsfaktor genannt.

    Die Besitzverhältnisse

    Das Gemeinschaftsunternehmen soll zum Start mit jeweils 50 Prozent Tata und Thyssen-Krupp gehören. Die Arbeitnehmerseite fordert vom Management Zusagen, dass der Essener Dax-Konzern diesen Anteil auch langfristig hält und sich nicht schrittweise aus dem Stahl zurückzieht, etwa wenn es nicht so laufen sollte wie erhofft. Im MoU wird keine Mindesthaltedauer genannt.

    Einsparziele und Lasten

    Als jährlich zu erzielendes Einsparpotenzial nennen die potenziellen Partner für die Anfangsjahre 400 bis 600 Millionen Euro. Damit gemeint sind Kostensynergien in Verwaltung, Vertrieb, Logistik und Forschung. Langfristig will Thyssen-Krupp Tata noch mehr Geld sparen, indem ab 2020 unrentable Anlagen „überprüft“, sprich bei negativem Prüfergebnis geschlossen werden.Als Rucksack nimmt die Stahlsparte von Thyssen-Krupp ihre Pensionslasten von 3,6 Milliarden Euro mit. Tata hatte sich in Großbritannien auf die Auslagerung seiner Pensionsverpflichtungen von 17,5 Milliarden Euro in einen Fonds geeinigt. Allerdings bleibt Tata zu einem Drittel daran beteiligt, also in der Mithaftung. Die Ausgliederung wird die Konzernbilanz von Thyssen-Krupp „signifikant verbessern“, sagte Vorstandschef Hiesinger. Umgekehrt fragt sich die IG Metall, ob das neue Unternehmen mit diesen Lasten wettbewerbsfähig sein wird.

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    Spielen auch Steuervorteile in den Niederlanden eine Rolle?

    Heinrich Hiesinger: Nein. Einen Großteil der Steuern zahlen wir weiterhin an den jeweiligen Standorten des Unternehmens.

    Das neue Unternehmen soll den Namen „thyssenkrupp Tata Steel“ tragen. Im Volksmund dürfte von Tütata die Rede sein.

    Heinrich Hiesinger: Es ist ein wichtiges Signal, dass sich beide Unternehmen im Namen des neuen Gemeinschaftsunternehmens wiederfinden. Wir haben uns ganz bewusst gegen einen Kunstnamen entschieden. Dass Spitznamen entstehen, lässt sich ja nicht vermeiden.

    Sie wollen nun den Anteil am Stahlgeschäft von 100 auf 50 Prozent reduzieren. Steht fest, dass es bei diesen 50 Prozent bleibt?

    Heinrich Hiesinger: Wir wollen langfristig beteiligt sein. Das ist ganz klar.

    Werden Sie in den Verträgen mit Tata einen Mindestzeitraum auch schriftlich benennen?

    Heinrich Hiesinger: Das wird sicher Gegenstand der Gespräche mit der Mitbestimmung sein. Klar ist: Wir sind davon überzeugt, dass die Fusion ein Erfolg wird. Insofern bringt es uns doch Vorteile, wenn wir mit im Boot sind.

    Auf die Beschäftigten in der Stahlsparte kommen wieder einmal schmerzhafte Einschnitte zu. 4000 Arbeitsplätze sollen abgebaut werden, davon 2000 auf Seiten von Thyssenkrupp. Schließen Sie betriebsbedingte Kündigungen aus?

    Heinrich Hiesinger: Wir haben in der Vergangenheit in ähnlichen Fällen bewiesen, dass wir verantwortungsvolle Lösungen finden. So soll es auch diesmal sein. Das erfordert gemeinsame Lösungen. Wir beginnen jetzt die Gespräche mit der Mitbestimmung und setzen auf einen konstruktiven Dialog.

    Wird der Standort Bochum geschlossen?

    Heinrich Hiesinger: Es ist zu früh, über einzelne Standorte zu sprechen. Wir haben mit 2000 Stellen auf unserer Seite eine Obergrenze für den Personalabbau deutlich formuliert. Das schafft Klarheit. Ob und – wenn ja – wo Werke betroffen sind, werden wir ergebnisoffen prüfen.

    Aber nun geht das Bangen in Bochum weiter, und auch in Duisburg sind die Sorgen groß, insbesondere in Hüttenheim.

    Heinrich Hiesinger: Die Schreckensszenarien, die im Raum standen, waren doch viel schlimmer als die Lösung, die sich nun abzeichnet. Ja, wir bauen voraussichtlich rund 2000 Stellen ab. Aber wir sichern mehrere Zehntausend Arbeitsplätze langfristig.

    Stehen alle Standorte auf dem Prüfstand?

    Heinrich Hiesinger: Wir haben uns vorgenommen, ab 2020 das Produktionsnetzwerk zu überprüfen. Aber zunächst einmal wollen wir wissen, wie sich der Brexit auswirkt und ob es Entscheidungen beim Emissionshandel oder zu Strafzöllen in Europa gibt.

    Allein 1000 Stellen sollen bei Thyssenkrupp in der Verwaltung wegfallen. Wie stark muss die Zentrale in Duisburg bluten?

    Heinrich Hiesinger: Wir streben verantwortungsvolle Lösungen an. Es gibt ja bereits ein Effizienzprogramm, das den Abbau von 400 bis 600 Stellen in der Verwaltung vorsieht, nicht nur in Duisburg, sondern in der gesamten Stahlsparte. Hier wird es sicher Überlappungen mit dem bestehenden Programm geben.

    Fällt mit der Fusion und der Verlagerung des Konzernsitzes nach Amsterdam auch die deutsche Montanmitbestimmung weg?

    Heinrich Hiesinger: Nein. In Amsterdam wird lediglich eine schlanke Holding sein. Die bestehende Mitbestimmung in Deutschland bleibt erhalten. Es wird einen Vorstand und einen 21-köpfigen Aufsichtsrat für das deutsche Stahlgeschäft geben, in dem die Arbeitnehmer wie bisher über Mitbestimmungsrechte verfügen.

    Betriebsräte und die IG Metall haben sich bisher klar gegen die Fusion positioniert. Rechnen Sie damit, dass Sie Ihr Vorhaben notfalls gegen den Willen der Arbeitnehmer durchsetzen müssen, womöglich gar mit dem Doppelstimmrecht des Aufsichtsratschefs?

    Heinrich Hiesinger: Es entspricht meinem Naturell und der Tradition von thyssenkrupp, einen Konsens zu finden. Mit der Fusion lassen sich schlimmere Einschnitte vermeiden. Ohne den Zusammenschluss müssten wir immer wieder restrukturieren wie in der Vergangenheit. Das wäre eine nicht endende Abwärtsspirale. Wir gehen bewusst einen anderen Weg, vom dem die Beschäftigten profitieren.

    Also hatte die IG Metall Recht, als Sie unlängst von einem drohenden Stellenabbau bei Thyssenkrupp in Höhe von 4000 Mitarbeitern gesprochen hat?

    Heinrich Hiesinger: Zu dem damaligen Zeitpunkt war ein Stellenabbau nicht zu beziffern, aber die Zahl 4000 war viel zu hoch gegriffen. Meine Botschaft heute ist: Was nun kommen wird, ist deutlich weniger schmerzhaft als eine Zukunft ohne Fusion. Im Alleingang hätten wir mehr Stellen abbauen müssen, als wir es jetzt vorhaben.

    Was wird aus Thyssenkrupp-Stahlchef Andreas Goss und Finanzvorstand Premal Desai?

    Heinrich Hiesinger: Jetzt geht es erstmal um die Sache, nicht um Personalien. Wir haben uns darauf verständigt, in der Holding einen sechsköpfigen Vorstand zu bilden. Drei Vertreter kommen von Tata, drei von uns.

    Gibt es einen Chef oder eine Doppelspitze? Kommt der Chef von Thyssenkrupp?

    Heinrich Hiesinger: Soweit sind wir noch nicht. Aber natürlich wird es einen Vorstandsvorsitzenden geben.

    Von den rund 133.000 Thyssenkrupp-Betriebsrentner wechseln 63.000 zur neuen Firma. Was ändert sich für die ehemaligen Beschäftigten?

    Heinrich Hiesinger: Die Betriebsrentner werden keine Auswirkungen spüren. Es ist selbstverständlich, dass die Betriebsrente auch weiterhin pünktlich überwiesen wird. Wir schreiben nun alle Pensionäre an, um über den geplanten Schritt zu informieren.

    Aber sollte es im fusionierten Konzern schlecht laufen, bekämen das auch die Betriebsrentner zu spüren.

    Heinrich Hiesinger: Ich bin überzeugt: Das neue Unternehmen wird ein Erfolg, und davon profitieren dann auch die Betriebsrentner.

    Sie wollen Pensionsverpflichtungen in Höhe von 3,6 Milliarden Euro ins neue Unternehmen ausgliedern. Ist das Bilanzkosmetik?

    Heinrich Hiesinger: Ich mag diesen Begriff nicht, denn er trifft nicht zu. Die Pensionen, die wir in das Joint Venture geben, gehören zum Stahl. Alle anderen bleiben beim Konzern. Richtig ist: Wir verbessern mit der geplanten Fusion unsere Konzernbilanz, aber das hat vor allem mit dem Wert der Synergien zu tun. Besonders wichtig ist: Wir gehen nun endlich das Problem an, dass es große Überkapazitäten im Stahlgeschäft gibt.

    Ist der Umbau von Thyssenkrupp nun abgeschlossen?

    Heinrich Hiesinger: In einer sich rasant verändernden Welt ist auch ein Unternehmen nie fertig. Das gilt auch für Thyssenkrupp. Am schlimmsten wäre es, die Realität zu ignorieren und nichts zu tun.

    Braucht Thyssenkrupp jetzt noch eine Kapitalerhöhung zur Stärkung der Bilanz?

    Heinrich Hiesinger: Wir sind gut durchfinanziert und mit der Fusion wird unsere Bilanz spürbar gestärkt.

    Für eine Fusion benötigen Sie grünes Licht des Kartellamts. Rechnen Sie mit Auflagen?

    Heinrich Hiesinger: Wir haben Analysen erstellt und sind zuversichtlich. Wir gehen davon aus, dass wir für unsere Pläne eine Zustimmung erhalten.

    Ihr Großaktionär Cevian hat angeblich auch mit einem Verkauf des lukrativen Aufzuggeschäfts geliebäugelt. Können Sie das nachvollziehen?

    Heinrich Hiesinger: Ich kann nicht für Cevian sprechen. Aus Sicht des Unternehmens gibt es ganz klare Gründe, warum ein Verkauf des Aufzuggeschäfts keinen Sinn ergibt.

    Freut Sie die Rückendeckung der Krupp-Stiftung, die nach wie vor der größte Aktionär ist?

    Heinrich Hiesinger: Es ist gut, dass wir Aktionäre haben, die unsere Veränderungen konstruktiv begleiten. Wir möchten mit Fakten überzeugen.

    Auch die NRW-Landesregierung hat Unterstützung für Ihre Pläne signalisiert – insbesondere der neue Wirtschaftsminister Pinkwart.

    Heinrich Hiesinger: Ich fand es gut und mutig, wie sich Herr Pinkwart positioniert hat – gerade in Wahlkampfzeiten. Die Landesregierung zeigt ein klares Verständnis für die Wettbewerbsbedingungen der Stahlindustrie und hat dabei die Interessen der Beschäftigten im Blick.

    Verschafft es Ihnen auch persönlich Genugtuung, dass es nun nach monatelangen Spekulationen eine Entscheidung für Tata gibt?

    Heinrich Hiesinger: Das Wort Genugtuung ist mir fremd. Aber es ist ein bedeutender Tag. Ich bin froh, dass wir nun an dieser Stelle Klarheit haben.

    Was wäre, wenn die Fusionspläne noch scheitern?

    Heinrich Hiesinger: Wir haben uns das, was wir tun, sehr gut überlegt. Ich bin ein zuversichtlicher Mensch.