Essen. . Thyssen-Krupp hat große Pläne für das Aufzuggeschäft: Spartenchef Andreas Schierenbeck über Jobs, Strategien und seillose Aufzüge.
Mit 52.000 Mitarbeitern ist die Aufzugsparte das größte Geschäft von Thyssen-Krupp. Etwa jeder dritte Beschäftigte des Essener Konzerns arbeitet in diesem Bereich. Spartenchef Andreas Schierenbeck will nun die Aufzugbranche revolutionieren. Wie das gehen soll, sagt er im Gespräch mit Ulf Meinke und Frank Meßing.
Sind Sie schon einmal im Aufzug steckengeblieben, Herr Schierenbeck?
Schierenbeck: Ja, aber das ist lange her. Ich war geschäftlich in Indien unterwegs. Wenn ich mich richtig erinnere, war es die zwölfte Etage, ein voll besetzter Aufzug in Bangalore, gefühlte 30 Grad. Aber nach 20 oder 25 Minuten ging es weiter.
Hatten Sie Angst?
Schierenbeck: Nein, eigentlich nicht. Eine Milliarde Menschen fährt täglich Aufzug – es ist das sicherste Transportmittel der Welt.
Thyssen-Krupp setzt nun auf seillose Aufzüge. Gut möglich, dass manche Menschen mit einem mulmigen Gefühl einsteigen.
Schierenbeck: Da kann ich zur Beruhigung beitragen. Die Kabine hält dank Permanentmagneten an der Wand. Selbst bei einem Stromausfall kann der Aufzug nicht abstürzen.
Im seillosen Aufzug, den Sie „Multi“ nennen, steckt auch Technologie der Magnetschwebebahn Transrapid. In Deutschland ist der Transrapid gescheitert. Prägend sind auch die Erinnerungen an einen Unfall im Testbetrieb.
Schierenbeck: Der Unfall entstand durch einen menschlichen Fehler, und nicht aufgrund einer fehlerhaften Technologie. Denn die Technologie ist klasse. In Shanghai funktioniert der Betrieb seit Jahren reibungslos. Wir haben bei Thyssen-Krupp noch mehr als 60 Experten für den Transrapid im Haus. Ihr Wissen nutzen wir jetzt. Wenn wir es schaffen, einen 500-Tonnen-Zug auf 500 Kilometer pro Stunde zu beschleunigen, dann können wir auch eine Kabine, die eine Tonne wiegt, im Tempo von fünf Metern pro Sekunde fahren. Der Transrapid ist in Deutschland gescheitert, weil es für das Projekt keine Akzeptanz gab – das ist beim „Multi“ komplett anders.
Lassen sich denn menschliche Fehler beim seillosen Aufzug ausschließen?
Schierenbeck: Dass Menschen Fehler machen, lässt sich nie ausschließen. Aber das Unfallrisiko beim „Multi“ ist eher niedriger als bei einem herkömmlichen Aufzug.
Sie möchten mit dem „Multi“ die Aufzugbranche revolutionieren. Sind das nicht übertriebene Erwartungen?
Schierenbeck: Keineswegs. Bislang ist die Grenze bei Aufzügen in Hochhäusern aus physikalischen Gründen bei 750 Metern erreicht: Die Seile werden in dieser Höhe schlicht zu schwer. Künftig sind auch Gebäude von 800 oder 1000 Metern möglich. Der „Multi“ kann beliebig hoch fahren. Hinzu kommt, dass der Aufzug um die Ecke fahren kann und sich mehrere Kabinen in einem Schacht befinden. Das ist ein bisschen wie beim Paternoster. Wir bringen diese Idee in die Moderne. Der Multi ist extrem effizient und platzsparend. Und Platz ist Geld – gerade in Metropolen wie New York, Tokio oder Berlin.
Würden Sie, wenn es im Hochhaus brennt, den Aufzug benutzen?
Schierenbeck: Das kommt auf die Situation an. Aber klar ist: Wenn Gebäude immer höher werden, sind neue Konzepte für Evakuierungen erforderlich. Und dabei sollten auch die Aufzüge eine wichtigere Rolle spielen.
Sie haben im baden-württembergischen Rottweil einen 242 Meter hohen Testturm gebaut – warum eigentlich nicht im Ruhrgebiet?
Schierenbeck: Im Ruhrgebiet hielt sich das Interesse an einem derart hohen Turm in der Nachbarschaft in Grenzen. Und Bergbauschächte wären für unsere Zwecke ungeeignet gewesen, allein schon, weil der Testturm auch etwas schwanken muss wie ein Hochhaus.
Haben Sie schon mehr als einen Kunden für Ihre seillosen Aufzüge?
Schierenbeck: Anfragen haben wir jede Menge. Einen ersten Vertragsabschluss gibt es für den Berliner East Side Tower. Ich gehe fest davon aus, dass wir bald mehr berichten können.
Zu Ihrem Geschäftsbereich gehört auch das einzige klassische Endkundengeschäft von Thyssen-Krupp: der Treppenlift. Spüren Sie eine steigende Nachfrage angesichts einer älter werdenden Bevölkerung?
Schierenbeck: Der Treppenlift ist ein sehr interessantes Geschäft für uns. In den vergangenen drei Jahren haben wir die Verkaufszahlen um sieben Prozent gesteigert. In Deutschland sind wir Marktführer mit unserem Treppenlift. Weltweit kalkulieren wir mit einer demografischen Entwicklung, bei der die Zahl der Über-65-Jährigen von 600 Millionen Menschen im Jahr 2015 auf über eine Milliarde im Jahr 2030 steigt. Ich gehe davon aus, dass wir mit unserem Treppenlift-Geschäft weiter Wachstum verzeichnen werden.
Weltweit gehören 52.000 Beschäftigte zur Aufzugsparte von Thyssen-Krupp – das ist fast jeder dritte Mitarbeiter im Konzern. Wird die Zahl noch steigen?
Schierenbeck: Bei einem Wachstum der Branche von jährlich rund zwei bis vier Prozent dürfte in ähnlicher Größenordnung auch die Zahl der Beschäftigten steigen. Das sind rund 1000 bis 2000 zusätzliche Arbeitsplätze pro Jahr.
Gleichzeitig planen Sie aber Stellenabbau. Nach Angaben der IG Metall stehen im Werk Neuhausen in Baden-Württemberg 333 Stellen auf der Kippe. Warum?
Schierenbeck: Wir messen uns mit unseren Wettbewerbern und sehen, dass wir an der einen oder anderen Stelle effizienter werden müssen. Insbesondere bei unseren Verwaltungskosten gibt es Verbesserungsbedarf.
Die Aufzugsparte ist für sich alleine mehr wert als Thyssen-Krupp als Ganzes – unter anderem aufgrund der hohen Verschuldung des Konzerns. Vielleicht wären sie als reiner Aufzugkonzern sogar im Deutschen Aktienindex (Dax). Fühlen Sie sich gebremst dadurch, zu Thyssen-Krupp zu gehören?
Schierenbeck: Nein. Wir haben alle Mittel für Investitionen bekommen, die wir brauchten. Der Testturm in Rottweil und der seillose Aufzug sind Beispiele dafür. Wir bauen gerade neue Werke in China und investieren massiv in Forschung und Entwicklung.
Die Aufzugsparte ist die Ertragsperle von Thyssen-Krupp. Gleichzeitig liegen Ihre Konkurrenten Otis und Kone vor Ihnen. Zeigt das, wo bei Thyssen-Krupp die Probleme liegen?
Schierenbeck: Wir verzeichnen mit unserem Aufzuggeschäft seit 19 Quartalen in Folge Wachstum. Davon profitiert der Konzern in erheblichem Maße. Und wir profitieren davon, zu Thyssen-Krupp zu gehören. Der gute Name hilft uns. Gleichzeitig prägen wir das Image gerade auch fern der Heimat. In den USA steht Thyssen-Krupp nicht für Stahl, sondern vor allem für Aufzüge.