Mülheim. . Nach dem Rückzug aus dem Lebensmittelgeschäft will Tengelmann wieder wachsen. Ein Gespräch mit Karl-Erivan Haub zum 150. Firmengeburtstag.

Der Handelskonzern Tengelmann feiert an diesem Wochenende 150. Geburtstag. Mit dem geschäftsführenden Gesellschafter Karl-Erivan Haub sprachen die WAZ-Redakteure Andreas Tyrock, Stefan Schulte und Frank Meßing über Vergangenheit und Zukunft.

Herr Haub, ausgerechnet im 150. Jubiläumsjahr gehört kein einziger Supermarkt mehr zur Tengelmann-Gruppe. Wo gehen Sie privat jetzt einkaufen?

Karl-Erivan Haub: Ich muss gestehen, dass ich selbst gar nicht zum Einkaufen komme. Für Lebensmittel ist meine Frau zuständig. Sie geht zu einem sehr netten selbstständigen Edeka-Händler bei uns um die Ecke. Das war für uns natürlich eine große Umstellung.

In den 70er Jahren war Tengelmann nach der Übernahme von Kaiser’s zeitweise der größte deutsche Lebensmittel-Händler. Warum haben Sie sich ganz davon getrennt?

Haub: Es war ein Fehler, bis zum Schluss am Filialkonzept festzuhalten. Anders als die großen Wettbewerber haben wir alle Supermärkte zentral aus Mülheim gesteuert. Selbstständige Kaufleute bei Edeka und Rewe haben dagegen die Hoheit über Produkte und Preise. Sie holen sich den Spargel direkt vom Bauern in der Nachbarschaft. Das konnten wir bei Kaiser’s Tengelmann nicht. Und gegen die Discounter Aldi und Lidl gab es für uns ohnehin kein Ankommen.

Haub ist auf ein E-Auto von Tesla umgestiegen.
Haub ist auf ein E-Auto von Tesla umgestiegen. © Fabian Strauch

Wann wurde für Sie klar, dass Ihre Wettbewerber besser waren als Sie selbst?

Haub: Das war irgendwann Anfang der 90er Jahre. Durch die Wiedervereinigung kamen dann aber noch einmal Boom-Jahre. Das hat vieles überdeckt. Mein Vater konnte sich aber nur schwer von Firmen trennen. Er hat die ganze Kraft seiner Unternehmen in den Umweltschutz investiert. Davon hat das Unternehmen natürlich auch profitiert.

Fällt es Ihnen schwer, ausgerechnet im Jubiläumsjahr einen Schlussstrich unter die Lebensmittel-Ära bei Tengelmann zu ziehen?

Haub: Die schwerste Periode für meine Familie und mich war der Zeitraum 2013/14, als wir uns dazu entschließen mussten, das seit Jahren verlustreiche Supermarkt-Geschäft abzugeben. Da hatte ich viele schlaflose Nächte, weil es ja um 16.000 Mitarbeiter ging. In dem sehr langen, zweijährigen Verkaufsprozess konnten wir uns dann unfreiwillig daran gewöhnen, kein Lebensmittelhändler mehr zu sein.

Rückt man als Familie in so einer schwierigen Lage enger zusammen?

Haub: Die Familie hat immer zusammengehalten. Auch das Verhältnis zum Management von Kaiser’s Tengelmann war gut. Trotzdem musste ich die Verhandlungen über den Verkauf an Edeka allein führen, damit alles unter der Decke blieb. In sechs Monaten vertraulicher Gespräche ist tatsächlich nichts nach draußen gedrungen. Deshalb war die Bekanntgabe für die Führungskräfte und die Mitarbeiter natürlich ein Schock. Aber bei alledem hatte ich stets große Rückendeckung der Familie und unseres Beirats.

Der Aldi-Nord-Zweig der Familie Albrecht macht gerade Schlagzeilen mit Machtkämpfen und Streitereien. Gab es das auch bei den Haubs?

Haub: Auch bei uns gab es in der langen Unternehmensgeschichte immer mal wieder Diskussionen und unangenehme Situationen. Wir haben das große Glück, dass es aktuell nur vier direkte Eigentümer gibt – meine Brüder Georg und Christian, mich und unseren Vater.

Sind Familienunternehmen robuster und verantwortungsvoller als Manager von Aktiengesellschaften?

Haub: Eigentümer, die ein Unternehmen führen wollen, müssen die Qualifikation und den Ehrgeiz dafür haben. Sie müssen akzeptiert sein – von der Familie, den Führungskräften, den Mitarbeitern, Banken und Geschäftspartnern. Das ist nicht immer automatisch der Fall. Mein Ziel war von Anfang an, dass wir nicht die letzte Generation in der Kette der Unternehmer sein werden und sozusagen das Licht im Unternehmen ausmachen müssen. Das war mein Antrieb, den man nicht in Zahlen ausdrücken kann. Und ich habe immer offen gesagt, dass Tengelmann sein 150. Jubiläum erreichen wird. Dieses Versprechen kann ich jetzt einlösen.

Sie sind 57 Jahre alt und führen das Unternehmen mit Ihrem Bruder Christian in fünfter Generation. Steht die sechste im Hintergrund schon in den Startlöchern?

Haub: Meine Brüder und ich haben zusammen acht Kinder. Sie alle sind zwischen 22 und 28 Jahre alt, haben ihre Ausbildung gemacht und erarbeiten sich gerade die Welt. Es wird spannend, wie es in der nächsten Generation weitergeht. Ich bin ganz zuversichtlich, dass sie alle Interesse am Unternehmen haben werden. Aber sie sollen sich zunächst die Sporen außerhalb unseres Familienunternehmens verdienen und Lebenserfahrung sammeln.

Viele Familienunternehmen gehen unter, weil die Nachfolge-Frage nicht frühzeitig geklärt wurde. Wie war es, als Sie 1999 den Chefsessel in Europa von Ihrem Vater Erivan Haub übernommen haben?

Haub: Ich bin mit 33 Jahren ins Unternehmen gekommen, hatte vorher meine Erfahrungen bei Nestlé in Amerika und bei McKinsey in Deutschland gemacht. Als ich zu Tengelmann kam, war mir wie allen Familienunternehmern klar: You can check in, but you can never check out – der Verantwortung kannst Du Dich ab dann nicht mehr entziehen. Über die Wiedervereinigung bin ich langsam reingerutscht, bin mit dem Wohnmobil durch Ostdeutschland gefahren und habe geeignete Standorte für Filialen gesucht. Das war ein guter Einstieg.

Der Abschied vom Lebensmittelgeschäft war eine Zäsur. Wohin wollen Sie die Tengelmann-Gruppe in den nächsten zehn Jahren entwickeln?

Haub: Die Unternehmensgruppe Tengelmann sieht aus wie ein Trimaran. Der mittlere Rumpf ist der größte und dort befinden sich unsere Handelsunternehmen – stationär und online. Mit Obi, Tedi und Kik sind wir Marktführer. Mit Babymarkt.de wollen wir es werden. Die beiden seitlichen Ausleger, die beim Segeln die Kippstabilität garantieren, sind zum einen unsere Beteiligungen an derzeit mehr als 70 Start-ups mit einem Anteil in der Regel zwischen fünf und 25 Prozent. Diesem Hochrisiko-Teil steht das solide Geschäft mit Immobilien, das eine stabile Rendite abwirft, als zweiter Ausleger gegenüber. Wir bauen Fachmarktcenter, Studentenwohnheime und sind jetzt auch in den Mietwohnungsbau eingestiegen.

Was treibt Sie an, in Existenzgründer zu investieren?

Haub: Wir wollen nicht nur investieren, sondern auch dabei sein. 2009 sind wir bei Zalando eingestiegen. Wenn wir damals nicht in diese Welt des Online-Handels hineingekommen wären, hätten wir gar nicht mitbekommen, was da passiert. Vor zehn Jahren haben wir Händler ja noch diskutiert, ob wir eine Website brauchen. Vor fünf Jahren ging es um den Aufbau von Webshops. Mittlerweile nutzen die Menschen ein kleines Smartphone, um sich über Produkte zu informieren und sie auch einzukaufen. Die Welt reduziert sich auf einen kleinen Mobilfunk-Bildschirm. Darauf mussten wir uns einstellen.

Können eigenständige Online-Händler überhaupt gegen den übermächtigen Marktführer Amazon bestehen?

Haub: Angebote im Internet und im Laden werden zusammenwachsen. Auch Amazon plant Läden und liefert Lebensmittel aus. Wie Amazon müssen Händler zu Plattformen werden. Unsere Obi-Baumärkte entwickeln wir gerade zu einer solchen Plattform, die Komplettlösungen für Heim und Garten anbietet. Allerdings werden nur marktführende Unternehmen die Kraft haben, dem Online-Boom standzuhalten.

Interview mit Karl-Erivan Haub.
Interview mit Karl-Erivan Haub. © Fabian Strauch

Sie haben Ihre Konzerneinheiten, die sich mit der Unterstützung junger Unternehmen und der Digitalisierung beschäftigen, in NRW angesiedelt. Warum folgen Sie nicht dem allgemeinen Tross nach Berlin oder Hamburg?

Haub: Auch bei uns gab es früher einmal den Wunsch, damit nach Berlin zu gehen. Ich hatte aber das Gefühl, dass wir dort völlig untergehen würden. Ich wollte ausdrücklich auch ein Zeichen in Nordrhein-Westfalen setzen und mich zu diesem Bundesland und zum Ruhrgebiet bekennen. In den vergangenen zwei Legislaturperioden gab es da leider nur wenig Rückenwind. Das ändert sich jetzt hoffentlich mit der neuen Landesregierung. Wir haben in NRW, wo alle unsere Firmen angesiedelt sind, alles, was wir brauchen: genügend kreative Köpfe und preiswerten Raum.

Die Metro hat sich gerade aufgespalten, um sich zu fokussieren. Tengelmann bleibt aber mit Baumärkten, Textilien, Discount, Beteiligungen und Wohnungsbau breit aufgestellt.

Haub: Für Familienunternehmen ist genau das Gegenteil von dem richtig, was die Börse von Aktiengesellschaften verlangt. Wir brauchen mehrere Standbeine. Mit unserer Immobilientochter und KiK gehen wir jetzt in die USA. Discount ist trotz aller Unkenrufe überhaupt nicht tot, sondern das erfolgreichste Geschäftsfeld der Händler. Vor den Filialen von Deichmann und Aldi sieht man doch inzwischen auch die Porsches der Kunden. Mit KiK sind wir die Preisbrecher bei den Textilien gewesen wie Aldi bei den Lebensmitteln.

Planen Sie größere Zukäufe?

Haub: Dafür bin ich nicht bekannt.

Karl-Erivan Haub im Gespräch mit WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock (2.v.l.), Stefan Schulte (r.), Frank Meßing (l.).
Karl-Erivan Haub im Gespräch mit WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock (2.v.l.), Stefan Schulte (r.), Frank Meßing (l.). © Fabian Strauch

Sie sind vor geraumer Zeit auf ein Elektroauto umgestiegen. Ist die deutsche Wirtschaft gerade dabei, diesen Mega-Trend zu verschlafen?

Haub: Bei der Elektromobilität sind wir viel zu spät. Die deutsche Autoindustrie leistet sich mit dem Dieselskandal und dem Kartellverdacht gerade eine riesige Blamage. Das ist schon bitter. Dass wir weg müssen von den fossilen Brennstoffen, ist glasklar. Herzstücke der E-Autos sind die Batterie und die digitale Vernetzung. Das hat unsere Industrie viel zu lange weggedrückt. Wir brauchen einen engagierten Oberbürgermeister einer Ruhrgebietsstadt, die bereit ist, Vorreiter bei der E-Mobilität zu sein. Dort könnten wir dann sehen, was heute schon alles möglich ist.

Ihre Familie hat in Wahlkämpfen CDU-Politiker wie Helmut Kohl und Angela Merkel unterstützt. Kommt mit Sigmar Gabriel jetzt auch erstmals ein Sozialdemokrat in den Genuss? Sie haben ihn schließlich wegen der Rettung von Kaiser’s Tengelmann sehr gelobt.

Haub: Sigmar Gabriel steht am 24. September nicht zur Wahl. Die Anzeigen zu früheren Bundestagswahlen haben wir im Übrigen eher als Abwehr gegen die Kanzlerkandidaten Scharping und Steinbrück geschaltet. Sie waren für mich nicht für das Kanzleramt geeignet. Gegen Gabriel hätte ich keine Anzeige geschaltet.

Ihr Vater Erivan Haub hat den Umweltschutz ganz vorn auf die Agenda des Unternehmens gesetzt und die Industrie dazu bewegt, phosphatfreies Waschmittel herzustellen. In seiner Zeit wuchs das Unternehmen zudem außerordentlich stark. Mit welchen Taten und Eigenschaften wollen und werden Sie einmal in die Familienchronik eingehen?

Haub: Darüber soll die nächste Generation befinden. Ich habe ja auch noch eine ganze Weile Zeit. Ich würde mich freuen, wenn sie stolz darauf wäre, was alle Generationen zu ihrer Zeit geleistet haben.