Bonn. . Post-Chef Frank Appel im Interview: Appel will im großen Stil Elektrofahrzeuge bauen – und frische Lebensmittel ausliefern.

Post-Tower in Bonn, 40. Stock. In seinem gläsernen Büro kann Frank Appel (56) weit übers Land blicken. Der Chef von weltweit 510.000 Mitarbeitern versprüht Gelassenheit. Er kommt gerade aus dem Urlaub – und es läuft rund im Unternehmen. Das Paketgeschäft brummt. Der Aktienkurs befindet sich auf einem Rekordniveau. Was Appel nun vorhat, verrät er im Gespräch mit Andreas ­Tyrock und Ulf Meinke.

Herr Appel, sind Sie dieser Tage manchmal froh, nicht Chef eines großen deutschen Automobilkonzerns zu sein?

Frank Appel: Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Mich beschäftigt aber, dass sich durch die aktuellen Ereignisse das Ansehen von Unternehmen insgesamt verschlechtern könnte. Das wäre bedauerlich, denn eigentlich hat sich durch die gewachsene Transparenz und die damit verbundene Kontrolle einiges verbessert. Doch die Wahrnehmung vieler Menschen ist nun, es gäbe mehr Fehlverhalten in den Chefetagen als früher. Und mich treibt außerdem die Frage um: Können wir noch mehr als bisher dafür tun, um auszuschließen, dass etwas Ähnliches bei uns im Unternehmen passiert?

Stehen Deutschlands Automanager zu Recht in der Kritik?

Appel: Klar ist: Wenn es Gesetze gibt, muss man sich daran halten. Daran führt kein Weg vorbei. Aber den Diesel pauschal zu verteufeln, ist auch keine Lösung.

Aber Sie haben doch für die Deutsche Post DHL Group frühzeitig eine Entscheidung gegen den Diesel getroffen und bauen nun den Elektrotransporter Streetscooter.

Appel: Das tun wir, weil wir keinen Anbieter gefunden haben, der unsere Bedürfnisse erfüllen konnte. Die Kapazität für Pakete war zu niedrig, während die Reichweite unsere Anforderungen übertraf. Außerdem steht außer Frage, dass es wichtig ist, den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids zu verringern. Zudem ist der Elektroantrieb eine sehr gute Lösung für Stop-and-go-Betrieb. Eine Grundsatzentscheidung gegen eine bestimme Antriebstechnik war das aber nicht.

Wie hoch ist der Anteil von Diesel-Fahrzeugen in der Flotte von Post und DHL?

Appel: Von unseren rund 50.000 Fahrzeugen hat derzeit noch der weit überwiegende Anteil einen Diesel-Antrieb. Aber wir stellen mit großem Tempo um. Ende dieses Jahres werden wir mit 5.000 Streetscootern auf der Straße sein.

Verzeichnen Sie beim Streetscooter angesichts der Diesel-Krise zusätzliche Nachfrage von externen Kunden?

Appel: Wir haben eine extrem hohe Nachfrage. Das ist eine Chance, die wir so nicht erwartet hatten. Erste Kunden wie den Energieversorger EnBW und den Großhändler Deutsche See gibt es schon. Ich bin mir sicher, dass im Laufe der kommenden Monate weitere hinzukommen werden.

Wie weit sind Sie beim Aufbau eines neuen Produktionsstandorts in NRW?

Appel: Wir produzieren schon länger in Aachen und fahren dort die Jahreskapazität auf 15.000 Fahrzeuge hoch. Zusätzlich planen wir mit einem weiteren Standort. Wo dieser Standort sein wird, werden wir bald bekanntgeben.

Aber er wird in NRW sein?

Appel: Wie gesagt: Wir werden das zu gegebener Zeit kommunizieren.

Möchten Sie sich als Konkurrenz zu den etablierten Autokonzernen positionieren?

Appel: Unser Ziel ist, ein hochwertiges Fahrzeug zu produzieren, mit dem wir unsere eigenen ehrgeizigen Klimaschutz-Ziele erreichen können, das die Anforderungen unserer Zusteller erfüllt und das nicht teurer ist als die am Markt verfügbaren Produkte. Wenn es dafür auch extern eine Nachfrage gibt, werden wir diese auch bedienen. Wir stoßen genau im richtigen Zeitpunkt in eine Lücke. Die Preise für Batterien, die derzeit noch vergleichsweise hoch sind, werden bald massiv fallen.

Rechnen Sie mit Fahrverboten für Diesel-Autos?

Appel: Ich erwarte zumindest nicht, dass es kurzfristig Fahrverbote für Lieferanten gibt. Die Konsequenz in unserer Branche wäre ja: Nur noch die Deutsche Post dürfte zustellen, weil wir die einzigen sind, die breit auf Elektrofahrzeuge setzen.

Auf dem ehemaligen Opel-Gelände in Bochum bauen Sie ein neues Paketzentrum. Welche Bedeutung hat der Standort Bochum für DHL?

Appel: Der Standort hat eine fundamentale Bedeutung in unserem Zustellnetz. Wir können in Bochum ab 2019 rund 50.000 Pakete pro Stunde bearbeiten. Am derzeit für das Ruhrgebiet zuständigen Standort in Dorsten endet die Kapazität noch bei 32.000 Paketen. Mit dem neuen Paketzentrum können wir künftig mehr und schneller Pakete im Ruhrgebiet zustellen. Bochum wird zu einem Schlüsselstandort für uns.

Amazon ist ein wichtiger Kunde, in Teilen aber auch Konkurrent. Der US-Konzern baut ein eigenes Logistik- und Zustellnetzwerk in Deutschland auf. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Appel: Amazon ist für uns ein wichtiger Partner – und wird das auch bleiben. Wir wollen Amazon auf seinem Wachstumskurs begleiten und die Zusammenarbeit ausbauen. Dabei ist es das gute Recht von Amazon, selbst Dinge auszuprobieren. Unser Anspruch ist: die beste Qualität zu guten Preisen. Dass es noch viel Potenzial für neue Logistiklösungen gibt, zeigt das Beispiel Amazon Fresh. Hier liefern wir im Auftrag von Amazon frische Lebensmittel an Kunden im Großraum Berlin.

Wie wichtig wird das Lebensmittelgeschäft für DHL? Möchten Sie Aldi und Edeka Konkurrenz machen?

Appel: Ich bin überzeugt davon, dass sich das Angebot von Lebensmittellieferungen an die Haustür durchsetzen wird. Sie können bei unserem Lieferdienst Allyouneed Fresh schon jetzt mehr Produkte einkaufen als in jedem Supermarkt. Auch die etablierten Lebenmittelhändler wachen auf und sehen: Da passiert etwas.

Aber der Einkauf im Internet kostet meist noch mehr als im Supermarkt.

Appel: Viele Leute sagen: Zeit und Freizeit sind mir wichtiger, als ein paar Cent zu sparen. Darüber hinaus sind die Produkte bei uns oft frischer als im Geschäft, da wir direkt aus dem Lager zustellen und so Schritte in der Lieferkette sparen. Wir können die Menschen überzeugen, wenn sie positive Erfahrungen machen.

Wie wichtig ist es, dass DHL Pakete auch innerhalb von zwei oder vier Stunden zustellen kann?

Appel: Für solche Dienstleistungen gibt es derzeit eine überschaubare Notwendigkeit. Kunden, die beispielsweise ein neues Smartphone kaufen, sagen: Ich kann auch bis morgen warten. Wenn sie das Kabel für ihr Handy verloren haben, kann es natürlich dringender sein. Dennoch glaube ich, dass eine Zustellung innerhalb von zwei Stunden zunächst ein Nischenprodukt bleiben wird.

Wie wichtig sind die Paketboxen, die sich Kunden vor der Haustür aufstellen können?

Appel: Sie sind ein wichtiges Produkt für uns, weil es für unsere Kunden eine weitere Möglichkeit ist, ihr Paket bequem und einfach zu empfangen. Aber wir stellen fest, dass viele Menschen mit unserem Service schon so zufrieden sind, dass sie keinen eigenen Paketkasten vor ihrem Haus benötigen. Sie lassen sich ihre Bestellung zum Beispiel einfach in die Packstation oder eben an die Haustür liefern.

Ein Thema ist auch die Zustellung in den Kofferraum eines Autos. Gibt es dafür tatsächlich Nachfrage?

Appel: Absolut. Das ist eine sehr wichtige Innovation, die vor allem von jungen Leuten sehr gut angenommen wird. Die Kofferraumzustellung gibt es derzeit in Stuttgart und Böblingen, Köln, Bonn und in Berlin. Wir werden das Angebot weiter ausweiten.

Sie testen auch die Zustellung mit Drohnen. Ist das wirklich alltagstauglich?

Appel: Technisch ist die Zustellung per Drohne schon jetzt möglich. Die Drohne könnte beispielsweise eine Packstation ansteuern, einen Carport oder eine Terrasse. Wichtig ist, dass wir zeitnah klare staatliche Regeln für den Einsatz von Drohnen bekommen. Dazu gehört ein Nummernschild wie beim Auto, damit die Drohnen jederzeit identifizierbar sind. Und für den Betrieb von Drohnen sollte auch eine Lizenz wie ein Führerschein Pflicht sein.

Werden irgendwann Roboter die Paket- und Briefzusteller ersetzen?

Appel: Roboter werden in Zukunft wichtiger, aber es geht vor allem darum, dass sie unsere Mitarbeiter unterstützen und zum Beispiel im Lager schwere Gegenstände heben. Die Briefzustellung selbst ist so komplex, dass sie in absehbarer Zeit nicht von einem Roboter erledigt werden kann. Jeder Briefkasten ist anders, oft sind Namensschilder schlecht lesbar. Davon ist ein Roboter schnell überfordert.

Paket-Zusteller – das ist ein Knochenjob. Der Tariflohn in NRW liegt bei 12,29 Euro pro Stunde. Briefträger erhalten in aller Regel mehr als Paket-Zusteller – im Durchschnitt rund 18 Euro pro Stunde inklusive Weihnachts- und Urlaubsgeld. Ist das gerecht?

Appel: Die größte Ungerechtigkeit wäre, ein Versprechen nicht einzuhalten. Wer bei uns vor zwanzig Jahren angefangen hat, ist mit anderen Voraussetzungen gestartet, als er es heute tun würde. Das Wettbewerbsumfeld war damals ein anderes, aber wir können und wollen niemandem etwas wegnehmen. Wer aber heute bei uns einsteigt, dem sagen wir: Du musst Deine Entscheidung auf einer neuen Basis treffen. Wir haben es hier mit einem Dilemma zu tun, für das es keine bessere Lösung gibt. Dass wir – vor allem im Vergleich zu unseren Wettbewerbern – aber weiterhin Jobs zu sehr guten Konditionen anbieten, sehen wir im starken Zulauf von Bewerbern aus Deutschland und darüber hinaus.

Als das Porto für den Standardbrief auf 70 Cent erhöht worden ist, hat sich die Post verpflichtet, das Porto für alle Briefprodukte bis einschließlich 2018 stabil zu halten. Kommt 2019 eine Porto-Erhöhung?

Appel: Das wird sich im nächsten Jahr entscheiden. Dabei spielen Kriterien wie Kostensteigerungen und die Gehaltsentwicklung eine wichtige Rolle.

Ihr Vorstandskollege Gerdes hat unlängst darauf hingewiesen, dass ein Brief im europäischen Durchschnitt 80 Cent kostet – und er hat einen solchen Preis als verkraftbar im wirtschaftlich stärksten Land Europas dargestellt. Sehen Sie das auch so?

Appel: Das Porto für den Standardbrief in Deutschland liegt unter dem europäischen Durchschnitt. Schauen Sie, wie stark sich die Preise an Tankstellen zuweilen innerhalb weniger Stunden verändern. Ich habe neulich gesehen, dass die Preisdifferenz bei einem Liter Benzin um 16 Uhr und um ein Uhr nachts bei 25 Cent lag. Das ist fast doppelt soviel wie unsere gesamte Briefpreiserhöhung in den letzten fünf Jahren.

Sie sind seit fast zehn Jahren Post-Chef. Was kann Sie eigentlich noch überraschen im Job?

Appel: Meine Arbeit macht mir großen Spaß und ich habe immer noch das Gefühl, dass ich etwas dazulernen kann. Und manches möchte ich auch nochmal neu lernen. In jungen Jahren habe ich mal Programmieren gelernt. Jetzt beschäftige ich mich wieder mit Digitalisierung und künstlicher Intelligenz, weil diese Themen auch die Logistik wesentlich verändern werden.