Mülheim. . In Mülheim liegt ein Röhrenwerk-Areal brach. Doch der Bau einer Umgehungsstraße liegt seit 17 Jahren auf Eis. Neuer Druck durch Aldi-Expansion.
Im Jahr 2000 fällte der Rat der Stadt Mülheim eine zukunftsweisende Entscheidung: Eine Umgehungsstraße soll gebaut werden, um den Stadtteil Styrum vom Lkw-Verkehr zu entlasten und eine riesige Industriefläche zu erschließen, die die Mannesmannröhren-Werke schon damals nicht mehr benötigten. Die Straße fehlt bis heute und das potenzielle Gewerbeareal dümpelt vor sich hin.
Die unendliche Geschichte im Norden Mülheims schmerzt die Stadt umso mehr, als ihre Gewerbeflächen inzwischen allesamt ausverkauft sind. Die 90 000 m² bei Mannesmann könnte Wirtschaftsförderer Jürgen Schnitzmeier gut gebrauchen. „In Mülheim sind alle Industrieflächen belegt. Gleichzeitig gibt es eine hohe Nachfrage in diesem Bereich, die wir nicht befriedigen können“, klagt er. Erst hatte es Uneinigkeit in der Kommunalpolitik gegeben, später katapultierte die Landesregierung das Projekt „Styrumer Tangente“ auf einen hinteren Platz der zu fördernden Straßenbauprojekte.
Viele Ruhrgebietsstädte haben dieses Dilemma
Jetzt keimt neue Hoffnung auf, dass irgendwann die Bagger rollen könnten. Die Stadt prüft, ob sie Mittel für den Bau der Tangente in den Haushalt einstellt. Knapp 4,6 Millionen Euro soll die Straße kosten. „Seitens des Landes wurde die Maßnahme mehrere Jahre nicht priorisiert und ist im Hinblick auf die gegenwärtigen Förderbestimmungen überhaupt nicht mehr förderfähig“, heißt es bitter in einer Ratsvorlage.
Das Mülheimer Beispiel zeigt das Dilemma an vielen Stellen im Ruhrgebiet: Es gibt Flächen, auf denen auch Unternehmen, die rund um die Uhr produzieren, angesiedelt werden können. Die meisten von ihnen sind mit Altlasten verseucht oder nicht an das öffentliche Straßennetz angeschlossen. So ist es auch in Styrum.
Zusätzlicher Lkw-Verkehr erwartet
Das Areal, das der Größe von zwölf Fußballfeldern entspricht, liegt mitten im Mülheimer Röhrenwerk und wird von den dort ansässigen Betrieben des Salzgitter-Konzerns nicht mehr benötigt. Schon vor Jahren hatte das Unternehmen angeboten, sich an den Kosten für die Erschließung zu beteiligen. Doch gebaut wurde bis heute nicht, weil der Stadt das Geld fehlte und die Kommunalpolitiker sich nicht einig werden konnten.
Dabei wird der Druck immer größer. Nur wenige Hundert Meter entfernt baut der Discounter Aldi Süd gerade seine Zentrale massiv aus. Auch das Logistikzentrum gleich nebenan soll wachsen. „Wir rechnen deshalb mit zusätzlichem Verkehrsaufkommen“, sagt Wirtschaftsförderer Schnitzmeier. Die geplante „Styrumer Tangente“ könnten auch die Aldi-Sattelschlepper nutzen und müssten auf dem Weg zur Autobahn 40 nicht mehr durch Wohngebiete fahren.
„Industrieller Keim“ immer noch von großer Bedeutung
Die Wirtschaftsförderer des Ruhrgebiets weisen seit Jahren darauf hin, dass es in der Region zu wenige Standorte gebe, an denen sich produzierende Unternehmen niederlassen können. Schnitzmeier ist bemüht, auch mögliche Bedenken in der Bevölkerung zu zerstreuen: „Durch die Digitalisierung kann Industrie viel verträglicher für die Anwohner werden. Ein 3 D-Drucker etwa macht keinen Lärm und riecht auch nicht.“
Auch wenn die Dienstleistungsbranchen wie Logistik und Gesundheitswirtschaft im Revier auf dem Vormarsch sind, ist der „industrielle Kern“, wie er genannt wird, immer noch von großer Bedeutung. „Wir haben uns jeden Quadratmeter in der Stadt angeschaut. Wir brauchen aber Industrie, weil sie die größte Wertschöpfung bringt“, sagt der Mülheimer Schnitzmeier stellvertretend für die Region.
Neue Unternehmen haben sich angesiedelt
Den Wirtschaftsförderern kommt entgegen, dass die großen Konzerne sich von ihrer Politik der Flächen-Vorratspolitik verabschiedet haben. Über Jahrzehnte verkauften sie keinen Quadratmeter, um für den Expansionsfall gerüstet zu sein. Die Mannesmannröhren-Werke in Mülheim gründeten bereits im Jahre 1998 mit Partnern eine Entwicklungsgesellschaft für Flächen am Rande des Werkes.
Darauf haben sich inzwischen neue Unternehmen angesiedelt. Evonik stellte im Marler Chemiepark einige Flächen zur Verfügung, um Platz zu machen für das gigantische Logistikzentrum von Metro und Real. Der Industriekonzern Thyssen-Krupp trennte sich im vergangenen Jahr von 1040 Hektar „nicht mehr betriebsnotwendigen“ Flächen. Allein in Essen waren es 400 Hektar. Am Krupp-Gürtel ist nun unter anderem der Neubau der Essener Ikea-Filiale geplant.