Essen. . Jörg Bergmann, der neue Chef von Open Grid Europe, kritisiert US-Sanktionen gegen Nordstream. Deutschland rät er zu Kohleausstieg und Gasautos.
Gas ist klimafreundlicher als Kohle und dürfte im Zuge der Energiewende an Bedeutung gewinnen. Was die Politik dafür tun müsste und warum sich die USA und Russland um den europäischen Markt streiten – darüber sprachen Stefan Schulte und Janet Lindgens mit Jörg Bergmann, dem neuen Chef des Netzbetreibers Open Grid Europe.
Herr Bergmann, Sie führen den mit Abstand größten Gasnetzbetreiber in Deutschland. Trotzdem ist der Name ihrer Vorgängerin Ruhrgas, die es längst nicht mehr gibt, noch immer bekannter als Open Grid Europe. Woran liegt das?
Jörg Bergmann: Wir sind nicht beim Endkunden unterwegs, sondern versorgen etwa Stadtwerke, die dann die Haushalte bedienen. Wie deren Lieferketten aussehen, ist nicht sehr sexy für den Verbraucher, der will nur, dass sein Haus warm wird. Die alte Ruhrgas hat alles gemacht: gekauft, gefördert, transportiert, gespeichert und auch vertrieben. Nach der von der EU verordneten Trennung von Vertrieb und Netz konzentrieren wir uns auf die Ferngasleitungen samt Verdichterstationen. Mit dieser Regulierung müssen wir leben und machen das Beste draus: 60 Prozent des Erdgases in Deutschland fließt durch unsere Leitungen. Und wir sind entscheidend für den innereuropäischen Transport.
Regulierte Märkte bieten sichere Renditen, aber wenig Wachstums-Perspektiven. Was ist Ihre Strategie als neuer Chef der OGE?
Zunächst einmal erhöhen wir derzeit den Wert unseres Netzes, indem wir massiv in den Ausbau der Leitungen und Verdichteranlagen investieren – in diesem Jahr den Rekordwert von gut 500 Millionen Euro. Das ist bei einer Milliarde Umsatz sehr viel. Den Wert unserer Anlagen erhöhen wir damit in den nächsten fünf Jahren um 50 Prozent. Dabei müssen wir uns immer fragen, ob wir das Richtige tun – eine neue Gasleitung ist erst in 55 Jahren abgeschrieben, die politischen Pläne reichen aber bisher nur bis 2050.
Also ist politische Lobbyarbeit entscheidend für Ihre Zukunft?
Seitdem die Ruhrgas weg ist, ist die Branche ziemlich unorganisiert. Wir haben etwas zu lange gebraucht, um uns zu sammeln. Das gehen wir jetzt an. Wir wollen die Energiewende aktiv begleiten. Mit einfacher Lobbyarbeit ist es da auch nicht getan. Politik will fertige Konzepte sehen, wie Gas in die grüne Energiewirtschaft integriert werden kann.
Überzeugen Sie doch zuerst einmal uns. Wie grün kann Gas sein?
Zum Beispiel lässt sich Ökostrom mit der „Power to Gas“-Technik in Gas umwandeln und Gas aus erneuerbaren Quellen ins Netz einspeisen und bei Bedarf speichern. Als Brennstoff in der Mobilität ist Erdgas viel sparsamer, effizienter und damit umweltschonender als Benzin und Diesel. Deshalb haben wir uns einer Initiative von VW angeschlossen, mehr Erdgasautos auf die Straße zu bringen und dafür mehr Tankstellen mit dem Treibstoff CNG bereitzustellen.
Dafür sollte der Dieselskandal doch hilfreich sein . . .
In der Tat stoßen Erdgasautos nicht nur weniger CO2 aus, was für die Flottenziele der Autobauer wichtig ist, sie stoßen auch nahezu keine Stickoxide aus. Wir sollten das Momentum nutzen, um die Erdgas-Mobilität in Deutschland zu fördern, so lange Elektroautos noch nicht massenfähig sind. Entscheidend dafür ist aber, dass die Autoindustrie ihre Flotten erdgasfähig macht. Da kommt nun endlich einiges in Bewegung.
In Deutschland wird Erdgas vor allem zur Wärmeerzeugung genutzt, kaum für die Stromerzeugung. Warum haben derzeit saubere Erdgaskraftwerke keine Chance gegen dreckige Kohlekraftwerke?
Weil Kohle billiger ist als Gas und der höhere CO2-Ausstoß der Kohle nicht so eingepreist wird, wie es für den Klimaschutz richtig wäre. Wir setzen hier auf die künftige Bundesregierung. Sie muss einen geordneten Kohleausstieg zeitnah festlegen. Denn bisher hat die Energiewende dummerweise nicht zu mehr Klimaschutz geführt, weil der Atomausstieg aktuell nicht nur mit Ökostrom, sondern auch mit viel klimaschädlichem Kohlestrom kompensiert wird.
Also sehen Sie Gaskraftwerke als einzige Brückentechnologie?
Wir brauchen sie nicht nur als Brücke, sondern auf Dauer. Auch nach 2050 werden wir nicht ausschließlich mit Strom aus Wind und Sonne auskommen. Im Januar wird es auch dann noch Dunkelflauten geben, die mit flexiblen und emissionsarmen Gaskraftwerken aufgefangen werden müssen.
Aber zur Wahrheit gehört auch, dass es mit Gaskraftwerken im Vergleich zur Kohle viel teurer wird.
Der Klimaschutz wird so oder so teuer, den kriegen wir nicht umsonst. Das muss man den Leuten schon sagen. Am Ende muss der Staat aber Kosten und Risiken, die etwa der Klimawandel mit sich bringt, gegeneinander aufrechnen. Ich wünsche mir da Technologie-Offenheit. Entscheidend sollte sein, wie die erforderliche CO2-Reduktion mit den geringsten Kosten erreicht werden kann.
Die zweite Ostseepipeline stößt in Brüssel auf Widerstand, die USA bekämpfen Nordstream 2 offen mit Sanktionen. Wie wichtig ist diese Gasleitung für Deutschland?
Wir freuen uns über jede neue Pipeline, weil dadurch die Transportkapazitäten steigen. Das ist gut für die Versorgungssicherheit. Nordstream wird in eine politische Ecke gedrängt, in die sie nicht hingehört.
Gleichzeitig wollen die USA unseren Markt mit Flüssiggas fluten.
Wir haben genug Terminals für Flüssiggas in Europa, das ist nicht das Problem. Allerdings ist das immer noch teurer als Erdgas durch Pipelines zu transportieren, deshalb bin ich gespannt, ob die Amerikaner eine entsprechende Nachfrage generieren können. Bisher sehe ich das nicht.
Droht uns ein kalter Krieg zwischen den USA und Russland um den europäischen Gasmarkt?
So weit würde ich nicht gehen. Aber klar ist: Die Amerikaner haben ein hohes Interesse, ihre riesigen durch Fracking gewonnenen Gasmengen zu exportieren. Damit werden sie in Europa zu Konkurrenten der etablierten Gaslieferanten, mit Russland an der Spitze. Die USA nutzen derzeit die Politik, um ihre wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen, das ist nicht mein Verständnis von Marktwirtschaft.