Hagen/Arnsberg/Düsseldorf. . CDU und FDP planen eine Initiative, um Vorgaben zu Ruhe- und Pausenzeiten zu flexibilisieren. Die Gewerkschaften laufen Sturm dagegen.
- CDU und FDP planen eine Initiative, um Vorgaben zu Ruhe- und Pausenzeiten zu flexibilisieren
- Die Wirtschaft begrüßt die Initiative
- Gewerkschaften laufen Sturm dagegen
Es sind nur wenige Sätze im 121-seitigen Koalitionsvertrag von CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen, aber der Passus beinhaltet offenbar Sprengstoff: Die neue schwarz-gelbe Landesregierung will über den Bundesrat eine Initiative zur Aufweichung der Arbeitszeiten- und Pausenregelungen anschieben. Dagegen formiert sich schon jetzt der Widerstand der Gewerkschaften. Aus den Reihen der Wirtschaft hingegen kommt Zustimmung. Damit zeichnet sich der erste Konflikt für Schwarz-Gelb ab.
Worum geht es konkret?
Es geht um diesen Satz aus der Vereinbarung von CDU und FDP: „Wir wollen die Chancen der Digitalisierung nutzen und deshalb über eine Bundesratsinitiative das Arbeitszeitgesetz flexibilisieren.“ Das Vorhaben ist offenbar Teil der „Entfesselung der Wirtschaft“, die sich die neue Regierung auf die Fahnen geschrieben hat und für die sie im Wahlkampf geworben hat. Der Vorstoß soll auf Drängen der FDP ins Koalitionspapier gekommen sein. Insbesondere geht es in dem Vorhaben wohl um die bislang vorgeschriebenen elf Stunden Ruhezeit am Tag.
Was steckt hinter dem Vorhaben?
Schwarz-Gelb will die „Spielräume innerhalb der Vorgaben der europäischen Richtlinie für die Arbeitszeitgestaltung nutzen“, um, gemeinsam mit den Tarifparteien – also den Gewerkschaften – „eigene Regelungen zu treffen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Es soll darum gehen, die maximale Arbeitszeit und die vorgeschriebenen Pausen- und Ruheregelungen den Anforderungen einer nahezu durchdigitalisierten Arbeitswelt mit einer Erreichbarkeit rund um die Uhr anzupassen.
Was sagt das NRW-Arbeitsministerium?
Das CDU-geführte Ministerium erkennt das Anliegen des liberalen Koalitionspartners an: „Die digitalisierte Arbeitswelt ist eine andere als die der Industrialisierung im letzten Jahrhundert“, sagt ein Sprecher. Es gehe um eine Flexibilisierung, nicht aber etwa um eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit. „Gegen die Interessen der Gewerkschaften kann es keine Flexibilisierung geben“, sagt der neue NRW-Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS), Karl-Josef Laumann, selbst. Der CDU-Mann kommt aus der Ecke der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) und ist Anhänger der katholischen Soziallehre – also nicht unbedingt ein Fan marktliberaler Thesen. Laumann sagt aber auch, dass geprüft werden solle, wo „Anpassungsbedarf im Arbeitszeitgesetz im Hinblick auf die Vorgaben“ auf europäischer Ebene bestehen. Die EU-Regelung ist allerdings wesentlich arbeitgeberfreundlicher als das bundesdeutsche Gesetz. Laumann führt „die Sicherheit und den Gesundheitsschutz“ der Beschäftigten als rote Linien an, die nicht überschritten werden dürften.
Wie reagieren die Gewerkschaften auf den Vorstoß?
Als „Stück aus dem Tollhaus“ und „handfesten Skandal“ bezeichnet Bernd Schildknecht, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Mark, das Vorhaben, das CDU und FDP im Wahlkampf „unterschlagen“ hätten. Der Gewerkschafter weiter: „Hier will die FDP wie einst bei der ‚Mövenpick-Steuer‘ gerade das Gaststättengewerbe bevorteilen. Nach dem Motto: Wer bis 3 Uhr auf einer Feier bedient, soll um 7 Uhr auch Frühstücksdienst machen dürfen.“ Schildknecht kündigt an, die Beschäftigten aufzuklären, was die Initiative bedeute – gerade mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl im September: Es sei klar, was „mit einer Neuauflage von Schwarz-Gelb auf Bundesebene zu erwarten ist“, schaltet der Gewerkschafter in den Wahlkampfmodus.
„Flexibilisierung ja – aber nicht immer zu Lasten der Arbeitnehmer“, so Clemens Bien vom DGB in Hagen. Wenn über Arbeitszeiten im Zeitalter der Digitalisierung diskutiert werde, dann müsse es auch um Arbeitszeiterfassung und Überstunden gehen. Bien berichtet von „ziemlicher Aufruhr unter den Kolleginnen und Kollegen“, was das schwarz-gelbe Vorhaben angeht.
„Die Arbeitnehmerschutzrechte dürfen nicht ausgehöhlt werden“, bezieht Bettina Schwerdt, stellvertretende Bezirksgeschäftsführerin bei Verdi Südwestfalen in Hagen, Stellung. Den Arbeitnehmern werde schon „viel Flexibilisierung abverlangt“, etwa wenn es um die Erreichbarkeit durch Mobiltelefone oder E-Mails gehe.
Was sagen die Unternehmen?
Der Unternehmensverband Westfalen-Mitte mit Sitz in Arnsberg und Hamm hat sich bereits klar positioniert: Der Vorsitzende Egbert Neuhaus (Arnsberg) spricht sich für eine Modernisierung der veralteten und starren Arbeitszeitregelungen aus; sie müssten der heutigen betrieblichen Realität angepasst werden. Dabei gehe es „um die Verteilung“ der Arbeitszeit, nicht um eine unnötige Belastung der Beschäftigten. Neuhaus bringt einen Zeitkorridor ins Spiel; das „Arbeitszeitkorsett“ müsse dadurch abgelöst werden. Der Vorsitzende des Unternehmensverbands stützt sich auf eine Umfrage von Gesamtmetall, ein Ergebnis dabei: „Mehr als 60 Prozent der Betriebe fordern eine tarifliche Anpassung an neue Arbeitsformen, ebenfalls 60 Prozent würden gerne die Zehn-Stunden-Grenze für die tägliche Arbeitszeit zu Gunsten einer wochenbezogenen Betrachtung aufheben“. Dazu seien im Übrigen drei von vier Beschäftigten bereit.
Welche Chance hat das Vorhaben der Landesregierung?
Die CDU-FDP-Koalition kann ihr Vorhaben nur über den Bundesrat, also die Länderkammer, anstoßen; die Gesetzgebung zu Arbeitszeiten liegt bei der Bundesregierung. Derzeit hätte es ein Vorstoß wohl eher schwer im Bundesrat eine Mehrheit zu bekommen – vor der Bundestagswahl dürfte ein so sensibles Thema wie die Arbeitszeitregelung kaum angepackt werden. Je nach Ausgang des Urnengangs am 27. September könnte eine Novellierung aber durchaus Fahrt aufnehmen: Insbesondere, wenn CDU/CSU und FDP eine Mehrheit im Berliner Parlament erreichen und die neue Bundesregierung bilden.
>>>HINTERGRUND: Stimmabgabe nur einheitlich möglich
- Der Bundesrat, die Ländervertretung, hat 69 Sitze, die absolute Mehrheit liegt also bei 35 Stimmen. Die Stimmen eines Bundeslandes können nur gemeinsam (einheitlich) abgegeben werden.
- Die NRW-Regierung aus CDU und FDP hat sechs Sitze im Länderparlament. Die Union, inkl. CSU, ist an weiteren acht Regierungen, die Liberalen sind an einer weiteren Landesregierung beteiligt.