Gelsenkirchen. . Gelsenkirchener Landwirte betreiben ihren Hof nach dem Modell der solidarischen Landwirtschaft. So profitieren Verbraucher und Bauern davon.

Freitags ist Erntetag. Kohlrabi, Mairübchen und Salate holen Martin Schulze Schleithoff und seine Mitarbeiter dann vom Acker und sortieren sie in unzählige Gemüsekisten. Denn: Freitags ist auch Abholtag. Der Lindenhof in Gelsenkirchen arbeitet nach dem wirtschaftlichen Konzept der solidarischen Landwirtschaft. Stefanie und Martin Schulze Schleithoff haben sich mit einigen Verbrauchern zusammengeschlossen, die den Landwirten einen monatlichen Betrag zahlen und somit die Kosten des Betriebs tragen.

Die Mitglieder bekommen den Ernteertrag, der Landwirt ein gesichertes Einkommen und ein Stück Unabhängigkeit vom Markt. „Es gibt heute Weißkohl, Salat, Wirsing“, zählt Stefanie Schulze Schleithoff einem Mitglied gerade einige der am Morgen geernteten Sorten auf, die sie ihm auch sogleich in eine große, grüne Gemüsekiste packt.

Interessierte schnell gefunden

175 Familien halten einen Gemüse,- Eier- oder Fleischanteil am Lindenhof. „Wir haben noch etwa zehn Gemüseanteile frei“, sagt der Landwirt. Schon als Junge habe er davon geträumt, eines Tages Bauer zu werden. Seine Eltern hatten bereits in seiner Kindheit Gemüse zur Selbstversorgung angebaut. Der Jung-Unternehmer wollte den Anbau auf größere Füße stellen. Nach einem Landwirtschafts-Studium kehrte er mit seiner Frau auf den elterlichen Hof zurück.

Die junge Familie überlegte, wie viele Menschen sie mitversorgen müsste, um den Traum finanzieren zu können. Verbraucher, die deren Idee der solidarischen Landwirtschaft unterstützen wollten, brauchten sie nicht lange suchen. „Wir haben einen offenen Tag des Hofes organisiert. Nach zwei Stunden waren alle Anteile verkauft.“ Inzwischen haben die Landwirte die Zahl der Anteile aufgestockt. Im März dieses Jahres ist die Familie in den Vollbetrieb gestartet, Martin Schulze Schleithoff gab seinen Job als Futtermittelvertreiber auf.

Lebensmittel bekommen eine neue Bedeutung

„Wir haben mit unserem Konzept den Nerv der Zeit getroffen. Lebensmittel bekommen eine neue Bedeutung“, sagt Stefanie Schulze Schleithoff. Sie arbeitet halbtags als Wirtschaftsjuristin und unterstützt ihren Mann auf Hof und Acker wann immer es geht. Auch Tiere hält die Familie, unter anderem Rinder und Ziegen. Entweder ihr Fleisch oder ihre Milch verarbeiten die Landwirte.

„Du kannst dir von den Erbsen noch was nehmen“, sagt die Landwirtin jedem der Abholer. Es ist inzwischen Freitagnachmittag und die Ausgabe der Lebensmittel in vollem Gange. „Nimmst du auch einen aufgeplatzten Kohl?“, fragt die 32-Jährige einen Mann. Nimmt er. „Bei uns haben auch die Hässlichen eine Chance“, sagt sie, während sie den Kohl einpackt.

Produkte aus der Region

Die Mitglieder seien gefühlt selbst Landwirte, so der Jung-Bauer. „Wenn es zu trocken ist, denke ich tatsächlich an den Kohl auf dem Feld“, sagt Marco Langfeldt, der gerade zum Hof geradelt ist, um Gemüse abzuholen. Angela Huhn würde sich so gar nicht als Landwirtin bezeichnen. Sie überzeugt, dass die Produkte aus der Region kommen. „Außerdem entfällt der Verpackungsmüll“, sagt sie und fischt sich einige Erbsen aus der grünen Gemüsekiste.

80 Euro monatlich kostet ein Gemüseanteil, der Fleischanteil 65 Euro und der Eieranteil 16 Euro. „Es ist ein Stück Luxus“, sagt Langfeldt. Einen Gemüseanteil hat seine vierköpfige Familie am Lindenhof. Das reicht nicht aus, denn der ist so berechnet, dass es etwas mehr ist als für eine Person genügend. „Wir müssen im Geschäft Obst und Gemüse dazu kaufen.“ Erst einmal ein Jahr möchte er den Hof unterstützen, denn: „Die Idee ist super.“ Ob es danach weitergeht, weiß er nicht.

Die Ernte wird untereinander aufgeteilt

Bei der solidarischen Landwirtschaft liegt das Risiko nicht nur beim Bauern, sondern auch beim Mitglied. Ist die Ernte schlecht, gibt es weniger Ware. Doch: „Ich lerne Sorten kennen, deren Namen ich noch nie gehört habe“, sagt Langfeldt. Allerdings sei es viel Arbeit, das Gemüse immer gleich zu verarbeiten. Es sei ein Unterschied, ob ein Salat aus dem Supermarkt kommt oder frisch vom Feld. „Im Kühlschrank kann auch schon mal ein Käfer sitzen.“

>>>>> Auf einem gemieteten Acker Gemüse selbst anbauen

Immer mehr Menschen wollen sich selbst versorgen. Wer keinen eigenen Garten hat, kann Gemüse auf einem gemieteten Acker anbauen. Einige Bauern stellen dafür einen Teil ihrer Fläche zur Verfügung. Eine Übersicht gibt es unter www.meine-ernte.de.

  • Die beiden Essener Birger Brock und Tobias Paulert haben 2012 das Unternehmen Ackerhelden gegründet. Sie bieten vorbepflanzte Flächen in ganz Deutschland an, auf denen Verbraucher selbst ackern können. Infos: www.ackerhelden.de