Mülheim. Außenminister Sigmar Gabriel will sich für Siemens und die Beschäftigten in Mülheim einsetzen. Wie genau, sagt er im Interview.
Mit seinen knapp 5000 Beschäftigten ist das Werk in Mülheim der größte Siemens-Standort in NRW. In der Fabrik werden Turbinen und Generatoren für Kraftwerke produziert. Aktuell gestaltet sich das Geschäft insbesondere in Deutschland schwierig. Die deutschen Energieversorger halten sich beim Bau von Gaskraftwerken zurück, weil Solaranlagen und Windräder die konventionelle Stromerzeugung zunehmend vom Markt verdrängen. Vor einem Besuch des Siemens-Werks in Mülheim antwortete Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) auf die Fragen unserer Redaktion. Dabei ging er auch auf die Lage des Siemens-Standorts im Ruhrgebiet ein.
Gehören die Beschäftigten von Siemens in Mülheim zu den Verlierern der Energiewende?
Gabriel: Wieso das denn? Mal abgesehen davon, dass wir auch in Deutschland Gaskraftwerke und damit auch Gasturbinen als Absicherung der erneuerbaren Energien brauchen, haben wir im letzten Jahr die Förderbedingungen für kommunale Kraft-Wärme-Koppelung deutlich verbessert. Moderne, flexibel fahrbare Gasturbinen sind der Teilbereich der konventionellen Kraftwerkstechnik, der auch im Rahmen der Energiewende zukünftig noch eine Rolle hat. Davon profitieren natürlich auch die heimischen Anlagenhersteller.
Geht es künftig aber noch mehr um den Export?
Gabriel: Weltweit wächst der Bedarf an modernen Gaskraftwerken. Auf Bitten von Siemens habe ich mich sehr um den Ägypten-Auftrag gekümmert. Der Standort Mülheim gehört ebenso wie Berlin zu den Gewinnern. Vor wenigen Tagen war ich in Libyen, auch dort geht es um Siemens-Technologien bei Gaskraftwerken. Wir kümmern uns sehr darum, dass Aufträge zur Sicherung der Arbeitsplätze hier bei uns in Deutschland beitragen.
Die Kraftwerksbauer müssen sich radikal verändern. Wie kann die Politik den Wandel begleiten?
Gabriel: Natürlich steigt der Wettbewerbsdruck weltweit. Und das Wichtigste, was wir tun müssen, um dabei vorne zu bleiben, sind Investitionen in Forschung, Entwicklung und neue Technologien. Dass sich immer wieder internationale Investoren für Turbinen von Siemens aus Deutschland entscheiden, ist ja vor allem eine Anerkennung für die hervorragende Arbeit, die die Beschäftigten hier leisten. Und gute Arbeit braucht auch guten Lohn. Gut ist nie billig. Und sehr gut schon gar nicht.
Was schwebt Ihnen konkret vor?
Gabriel: Wir können auch in der Politik mehr dafür tun, dass der Wettbewerb fair bleibt. Europa hat jetzt erste Schritte unternommen, damit endlich unfairer Wettbewerb durch Lohn- und Sozialdumping und staatliche Subventionierungen bekämpft werden können. Wir sind ja nicht wehrlos. Und innerhalb Europas muss endlich gelten: gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Man kann nicht in Essen oder Hamburg zu den Löhnen Bulgariens oder Portugals konkurrieren, denn die deutschen Arbeitnehmer müssen ja auch die Mieten in Hamburg oder in Essen bezahlen können. Beim Wettbewerb in Europa muss es um Qualität gehen, aber nicht um die miesesten Löhne und die schlechtesten Sozialabgaben.
Dennoch: Die Kraftwerksbauer planen Stellenabbau. Kann die Politik dabei nur hilflos zusehen?
Gabriel: Wir tun wirklich alles, um gerade den Kraftwerksbauern gute Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Siemens selbst baut ja zum Beispiel erstmals in Deutschland wieder eine neue Fabrik mit immerhin bis zu 1000 Beschäftigten, allerdings in Cuxhaven und im Bereich der Windenergie. Auch in NRW gab es in den letzten Jahren bei der Beschäftigung insgesamt eine positive Tendenz durch die Windenergie von 16.300 in 2012 auf 18.500 in 2015. Also mehr als 2000 neue Jobs. NRW spielt insbesondere eine Rolle als Zulieferer von Komponenten beziehungsweise allgemein in der Vorleistungskette. Diesen Wandel gibt es. Aber natürlich muss das Unternehmen für unsere staatliche Begleitung und Hilfe auch eine Gegenleistung erbringen.
Was heißt das für Mülheim?
Gabriel: Was den Standort Mülheim angeht, so ist ja eines ganz sicher: Die Qualität stimmt, und die Motivation der Beschäftigten stimmt ebenfalls. Ein gemeinsamer Runder Tisch von Management, Belegschaft und der Politik wie ihn der Betriebsrat kürzlich vorgeschlagen hat, kann neue Wege für die Zukunft des Standorts aufzeigen. Ich kann der Konzernleitung nur raten, sich hier gesprächsbereit zu zeigen. Übrigens finde ich, dass sich auch die neue Landesregierung dabei engagieren muss. So wie es die alte Landesregierung unter Hannelore Kraft und der SPD ja auch getan hat.
Wie sehen Sie Ihre Rolle als Außenminister? Möchten Sie Türen für deutsche Exporte öffnen?
Gabriel: Das gehört zu unseren ganz normalen Aufgaben. Aber natürlich fahre ich nicht mit einem Bauchladen in fremde Länder, nur um den Regierungen etwas verkaufen. Zu einer Außenpolitik mit Augenmaß gehört eine kluge Handelspolitik, die Kooperationen anstößt und nachhaltige Erträge für beide Seiten möglich macht. Für die deutsche Außenpolitik geht es nicht kurzfristig um einen besseren „Deal“, sondern um ein langfristig gutes Miteinander. Beide Seiten müssen zufrieden sein: Die Menschen in Ägypten können nun mit Mülheimer Turbinen auf eine sichere Energieversorgung bauen. Gleichzeitig wird hier im Ruhrgebiet Beschäftigung gesichert. Wenn es so läuft, dann setze ich mich als Außenminister gern für deutsche Unternehmen ein.
Wie wichtig ist es, dass die Bundesregierung den Unternehmen bei großen Projekten im Ausland Rückendeckung gibt – etwa durch Hermes-Bürgschaften?
Gabriel: Sehr wichtig, denn es geht dabei häufig um die Entwicklung von Schwellenländern. Mit wirtschaftlich positiver Entwicklung geht in der Regel auch sozialer und gesellschaftlicher Fortschritt einher. Wir haben ein vitales Interesse an stabilen politischen Verhältnissen in der Welt, um Flüchtlingsströme, Krieg und auch Terrorismus zu verhindern. Ganz wichtig ist dieses Engagement in schwierigen Regionen wie zum Beispiel Nordafrika.
Wird Außenpolitik in zunehmendem Maße auch Wirtschaftspolitik?
Gabriel: Wir werden die negativen Folgen Globalisierung nicht mit dem Mitteln der Kabinettspolitik aus dem 19. Jahrhundert in den Griff bekommen. Wir brauchen wirtschaftlichen, aber auch kulturellen Austausch. Wer miteinander Handel treibt, der lernt auch die kulturellen Gewohnheiten des Gegenübers besser kennen. Das ist ein guter Weg, um langfristig zu stabilen Partnerschaften und friedlichen Verhältnissen zu kommen. Wer sich wirtschaftlich abschotten will, der verweigert damit eigentlich auch den kulturellen Austausch. Wer sich selbst isoliert, der muss sich nicht wundern, dass auch die Integrität seiner Werte infrage gestellt wird. Von daher sind wirtschaftliche Zusammenarbeit und kultureller Austausch wichtige Bausteine für eine erfolgreiche Außenpolitik.