Essen. . Schuh-Unternehmer Heinrich Deichmann ist ein bekennender Christ. Im Interview verrät er, wie er über verkaufsoffene Sonntage denkt.

Mit mehr als 3800 Filialen und 38 000 Mitarbeitern ist das Essener Unternehmen Deichmann Europas größter Schuh-Einzelhändler. Firmenchef Heinrich Deichmann (54) spricht im Interview mit Andreas Tyrock und Ulf Meinke über seine Grundsätze, den Wandel im Unternehmen und die Frage, wie lange ein guter Schuh halten muss.

Herr Deichmann, lassen Sie uns über das Thema verkaufsoffene Sonntage sprechen. In vielen Städten von NRW hat die Gewerkschaft Verdi geplante Termine vor Gericht gekippt. Wie beurteilen Sie als bekennender Christ dieses Thema?

Deichmann: Ich habe mich nie aktiv für den verkaufsoffenen Sonntag eingesetzt – wohl wissend, dass es für unsere Filialen im Verkauf sehr erfolgreiche Tage sind. Generell glaube ich, dass sich die Umsätze ohne den Sonntagsverkauf auf die anderen Tage verteilen. Aus christlicher Perspektive bin ich jedenfalls froh, wenn es einen Tag gibt, an dem alles ruht.

Wäre es denkbar, dass Sie die Läden an einem verkaufsoffenen Sonntag bewusst geschlossen halten?

Deichmann: Das könnten unsere Kunden wohl kaum nachvollziehen. Im Übrigen gibt es in vielen Einkaufszentren vertragliche Regelungen, die besagen, dass alle Händler bei einem verkaufsoffenen Sonntag mitziehen müssen.

Das Internet kennt keinen Ladenschluss. Auch deshalb wünschen sich viele Einzelhändler Verkaufsmöglichkeiten am Sonntag. Wie wichtig ist der Online-Handel für Deichmann?

Deichmann: Prozentual ist das Geschäft noch überschaubar, aber es wächst stark. Der Onlinehandel ist eine wichtige Ergänzung zu unseren Filialen.

Werden Schuhe in Zukunft häufiger am Computer oder mit dem Smartphone gekauft als im Laden?

Deichmann: Das kann ich mir nicht vorstellen. Auch in zehn oder zwanzig Jahren wird es noch viele Schuhgeschäfte geben. Einkaufen ist mehr als reine Bedürfnisbefriedigung. Viele Kunden suchen den menschlichen Kontakt. Deshalb ist es so wichtig, dass unser Personal freundlich ist und gut berät. Außerdem arbeiten wir daran, unsere Läden noch einladender zu machen.

Sie sind Europas größter Schuhhändler. Möchten Sie auch Marktführer im Online-Handel sein?

Deichmann: Wir betrachten den Online-Handel und unsere Filialen nicht getrennt, sondern gemeinsam. Unser Ziel ist, beide Bereich noch stärker als bisher zu verknüpfen. Ein Beispiel ist unser Heimlieferdienst. Wenn ein Kunde im Laden einen Schuh in einer bestimmten Größe nicht findet, kann er sich die Ware nach Hause schicken lassen. Hierfür statten wir unsere Verkäufer mit kleinen Geräten aus, die dem iPod ähnlich sind. Wir testen auch große Bildschirme, auf denen wir Schuhe zeigen, die es im Laden nicht gibt. Das nennen wir intern virtuelle Regalverlängerung.

Wie lange muss ein guter Schuh halten?

Deichmann: Generell ist es unser Anspruch, dass die Schuhe nicht schon nach wenigen Monaten den Geist aufgeben. Der niedrigste Preis ist nichts wert, wenn die Qualität nicht anständig ist. Ein Schuh unserer Marke Gallus sollte schon mindestens drei Jahre halten. Für junge Leute, die immer die neueste Mode haben wollen, ist es nicht unbedingt entscheidend, dass ein Schuh viele Jahre lang hält, trotzdem muss die Qualität stimmen.

Sie setzen im Marketing auf den britischen Popstar Ellie Goulding. Möchten Sie die Marke Deichmann verjüngen?

Deichmann: Es ist wichtig, ständig jung zu bleiben. Deshalb arbeiten wir auch mit Künstlern oder Popmusikern wie Ellie Goulding oder früher den Pussycat Dolls oder den Sugar Babes zusammen. Deichmann steht für aktuelle Mode.

Muss ein Chef jede Mode mitmachen? Ein Trend ist ja, dass Unternehmenslenker gezielt auf die Krawatte verzichten. In manchen Firmen wird flächendeckend das Du eingeführt. Würde das auch zu Deichmann passen?

Deichmann: Flache Hierarchien haben wir schon lange. Bei uns geht es nicht um die Position, sondern um die Sache. Es ist selbstverständlich, dass Vorgesetzte anständig mit ihren Mitarbeitern umgehen. Uns ist auch die Nähe zu unseren Kunden besonders wichtig. Deshalb ist die Krawatte bei uns sehr selten geworden. Und was das Du angeht: Das ist bei uns auch viel stärker verbreitet als in der Vergangenheit. Du oder Sie – das ist aber nicht entscheidend. Es kommt auf die Menschen den menschlichen Umgang miteinander an.

Wofür steht Deichmann?

Deichmann: Unser Grundsatz lautet: Das Unternehmen muss dem Menschen dienen. Das ist der tiefere Sinn dessen, was wir tun. Unsere Arbeit erschöpft sich nicht darin, Gewinne zu machen. Wir möchten unseren Kunden dienen – durch gute und modische Schuhe zu günstigen Preisen. Und wir möchten den Mitarbeitern dienen, indem wir sie wertschätzen und nicht nur als Kostenfaktor oder Rädchen im Getriebe sehen. Bei uns wird hart gearbeitet, aber wir wollen auch ein Ohr haben für die Bedürfnisse der Menschen. Und wenn Hilfe gebraucht wird, helfen wir, beispielsweise durch unsere Unterstützungskasse.

Worauf achten Sie, wenn Sie Führungskräfte einstellen?

Deichmann: Das fachliche Profil muss stimmen. Darüber hinaus legen wir großen Wert darauf, dass sich die Führungskräfte mit unseren Zielen identifizieren. Schnell Karriere auf Kosten von anderen machen – das passt nicht zu uns. Wir schätzen es auch nicht, wenn sich Manager arrogant verhalten oder andere wie Menschen zweiter Klasse behandeln. Wer so auftritt, hält sich bei uns nicht lange.

Karrieristen lehnen Sie ab?

Deichmann: Wir wollen schon Leute, die Karriere machen wollen, aber so, dass es zu unserer Unternehmenskultur passt.

Jahr für Jahr weiten Sie das Filialnetz aus. Für das laufende Jahr planen Sie weltweit 262 neue Filialen und lediglich 114 Schließungen. Kommt das Wachstum irgendwann an seine Grenzen?

Deichmann: Es wird nicht leichter. In vielen Märkten kommen wir an unsere Grenzen. Wir haben generell das Ziel, jedes Jahr kontinuierlich zu wachsen. Das gehört meiner Einschätzung nach zu einem gesunden Unternehmen. Für künftiges Wachstum sehen wir unter anderem noch großes Potenzial in Russland. In Belgien und Frankreich gehen wir gerade neu an den Start.

Wie profitiert der Standort Essen von der internationalen Expansion?

Deichmann: Die Zahl unserer Mitarbeiter in der Essener Zentrale ist innerhalb von drei Jahren von 700 auf über 800 gestiegen. Daher bauen wir auch gerade ein neues Verwaltungsgebäude in Essen-Borbeck.

Weltweit ging die Zahl der Deichmann-Beschäftigte im vergangenen Jahr um fast 1000 auf mehr als 38.000 nach oben. Geht es weiter so aufwärts?

Deichmann: Angesichts der Zahl der Filialen, die wir eröffnen wollen, rechne ich mit einem Zuwachs in ähnlicher Größenordnung. Die Zahl der Mitarbeiter könnte 2017 sogar noch etwas stärker steigen als im vergangenen Jahr.

Deutschland ist für Sie nach wie vor der wichtigste Markt, aber das Geschäft im Ausland gewinnt an Bedeutung. Verschieben sich die Gewichte weiter?

Deichmann: Wir sind nun in 25 Ländern tätig. Derzeit liegt der Auslandsanteil bei 60 Prozent. Ich gehe davon aus, dass der Anteil des Auslandsgeschäfts am Umsatz weiterwachsen wird.

Bedeutet Internationalisierung auch, dass in Besprechungen in Essen verstärkt englisch gesprochen wird?

Deichmann: Das hängt davon ab, wer am Tisch sitzt. Wenn Mitarbeiter aus den USA oder England dabei sind, ist das so. Allerdings haben wir aber gerade in Osteuropa viele zweisprachige Geschäftsführer, so dass wir nach wie vor häufig deutsch sprechen.

Sie haben schon 1999 die Führung im Unternehmen als Vorsitzender der Geschäftsführung der Deichmann-Gruppe übernommen. Bald sind Sie also 20 Jahre in verantwortlicher Position. Haben Sie trotzdem den Eindruck, immer wieder Neues zu erleben?

Deichmann: Wir befinden uns in bewegten Zeiten. Die Digitalisierung bringt viele Veränderungen mit sich. Wir müssen uns permanent weiterentwickeln. Da kommt keine Langeweile auf.

Was treibt Sie an?

Deichmann: Meine unternehmerische Aufgabe heißt Verantwortung – insbesondere für die Menschen, die bei uns arbeiten. Außerdem ist es mir wichtig, durch gute Geschäfte Gewinne zu erwirtschaften, die in unsere Hilfsprojekte fließen. Es macht auch einfach Spaß, dieses tolle Unternehmen zu führen. Mein Ziel ist, das Unternehmen ohne externe Geldgeber in die nächste Generation zu führen.

Ist die nächste Generation schon im Unternehmen aktiv?

Deichmann: Nein, im Moment noch nicht. Aber die Chancen stehen gut, dass wir diesen Schritt demnächst tun können.

Sie finanzieren auch eine eigene Hilfsorganisation namens „Wort und Tat“. Welche Projekte sind gerade aktuell?

Deichmann: Die großen Schwerpunkte liegen in Indien, wo wir unter anderem acht Schulen mit jeweils 2000 Kindern finanzieren. Auch in Afrika engagieren wir uns stark. In Tansania haben wir mitten im Busch eine Klinik und verschiedene Schulen errichtet. Wir sind aber auch im Ruhrgebiet aktiv. Wir unterstützen beispielsweise ein großes Zentrum für Jugend- und Sozialarbeit im Dortmunder Norden. Im Borsig-Viertel haben wir dazu eine ehemalige Kantine von Thyssen-Krupp angemietet. Hier gibt es Hausaufgabenhilfe, Mutter-Kind-Kurse oder Unterstützung für Flüchtlinge.

Helfen Sie vor allem dort, wo Sie Schuhe produzieren oder verkaufen?

Deichmann: Nein, darum geht es nicht. Der Grund sind meist persönliche Begegnungen, die mein Vater und später ich hatten. Prägend war: Vor genau 40 Jahren stand mein Vater vor 500 Lepra-Kranken in Indien. Seine Reaktion war: Entweder ich laufe sofort weg – oder ich bleibe und komme immer wieder. Er hat sich für Letzteres entschieden. Das war der Beginn von Wort und Tat. Wir setzen diese Tradition fort.

Warum unterstützen Sie die Flüchtlingshilfe?

Deichmann: Für mich ist ganz klar: Die schnelle Reaktion, gestrandete Flüchtlingen in Deutschland aufzunehmen, war richtig. Die riesige Hilfsbereitschaft gehört für mich zu den Sternstunden der deutschen Geschichte. Ich habe selbst Flüchtlingsunterkünfte besucht und fand es absolut großartig, was dort geleistet wurde. Das gehört für mich zu den Werten, für die Europa mit seinem christlichen Erbe stehen sollte.

Sind Sie verwundert darüber, dass es Akzeptanzprobleme gibt?

Deichmann: Das Problem war, dass in sehr kurzer Zeit sehr viele Menschen aus einem anderen Kulturkreis kamen. Doch mittlerweile ist die Situation eine andere. Jetzt geht es darum, die Aufgabe der Integration zu meistern. Gleichzeitig sollte klar sein: Wer kein Recht auf Asyl hat, sollte Deutschland auch wieder verlassen.

Welche Verantwortung trägt die Wirtschaft?

Deichmann: Als Unternehmen können wir dazu beitragen, dass Flüchtlinge Arbeit finden. Doch es ist blauäugig zu glauben, die Flüchtlinge könnten kurzfristig unser Facharbeiterproblem lösen. Oft fehlen Sprachkenntnisse oder das Ausbildungsniveau ist zu niedrig. Auch für uns war es zunächst schwierig, Menschen zu finden, die deutsch sprechen. Doch mittlerweile haben wir bis zu 100 Flüchtlinge beschäftigt.