Essen. Händler und Hersteller beklagen das Überangebot und die schwindende Wertschätzung für Textilien. Darunter leiden vor allem mittelständische Anbieter.
. Boecker, Pohland und Gerry Weber schließen Filialen, Sinn Leffers ist in der Planinsolvenz, Steilmann zerschlagen – die mittelständischen Modeanbieter aus NRW haben ein hartes Jahr hinter sich. Doch diese Unternehmen mit klangvollen Namen sind nicht die einzigen, die unter dem scharfen Wettbewerb leiden. Nach Angaben des Bundesverbands des Textileinzelhandels (BTE) verschwinden unter dem Strich deutschlandweit jährlich 1000 Anbieter vom Markt.
„Das letzte Jahr ist für die meisten Modehändler, die mehrere Marken führen, unbefriedigend verlaufen“, zieht BTE-Präsident Steffen Jost eine ernüchternde Bilanz. Der mittelständische Fachhandel, so erste Hochrechnungen, hat 2016 rund ein Prozent Umsatz verloren. „Es ist nun schon etliche Jahre her, dass sich die Branche über ein wirklich erfolgreiches Jahr mit nennenswerten Zuwächsen freuen konnte“, klagt Jost.
Discounter legen zu
Es gibt eine Reihe von Gründen, die den Boutiquen, Herrenausstattern, Boeckers & Co das Leben schwer machen. „Im Textilhandel gibt es einen knüppelharten Wettbewerb“, sagt BTE-Sprecher Axel Augustin. Da sind Online-Riesen wie Amazon und Zalando, die immer mehr Mode bequem per Mausklick verkaufen. Parallel dazu wachsen die sogenannten vertikalen Ketten wie Zara, H&M oder Primark, die unter eigenen Marken direkt in Textilfabriken produzieren lassen. „Das erzeugt einen erheblichen Druck in der Branche“, so Augustin. Hinzu kommen Discounter wie Kik und Takko, die an der Preisschraube drehen, im wachsenden Maße aber auch Lebensmitteldiscounter wie Aldi und Lidl, die zunehmend auch Textilien verkaufen. Und nicht zuletzt erfreuen sich Factory Outlets immer größerer Beliebtheit.
„Es ist zu viel Ware zum falschen Zeitpunkt am Markt“, schließt BTE-Präsident Jost aus der Fülle von Angebotskanälen. „Seit mindestens zehn Jahren kennen und diskutieren wir dieses Problem, geändert hat sich in der Zwischenzeit leider wenig“, sagt er und meint damit das Dauerärgernis, dass im August und September bei 30 Grad Winterklamotten in den Läden hängen und jetzt im tiefen Winter allmählich schon die Frühjahrsware in die Regale drängt. Die großen Ketten mit ihren Eigenmarken, heißt es in der Branche, könnten flexibler auf Wetterentwicklungen reagieren. Die Folgen sind Rabattschlachten, bei denen kleine Händler kaum mithalten können.
Kunde erwartet Jeans für 9,99 Euro
In der Analyse sind sich Händler und Hersteller einig: „Auf dem deutschen Bekleidungsmarkt gibt es 30 bis 40 Prozent zu viel Ware“, sagt Thomas Rasch, Hauptgeschäftsführer des Modeverbands German Fashion, der rund 350 deutsche Produzenten vertritt. Das Überangebot führe dazu, dass es auch zu viel Verkaufsfläche für Textilien gebe. Bundesweit gebe es 80 bis 100 Millionen Quadratmeter. Rasch: „Das entspricht grob einem Quadratmeter pro Einwohner.“
Die Hersteller setze aber auch unter Druck, dass die Treue zu bestimmten Modemarken schwinde. „Die Kunden werden flatterhafter und erwarten, dass sie eine Jeans für 9,99 Euro kaufen können wie beim Discounter“, sagt der Verbandsgeschäftsführer. Hinzu komme eine „zurückgehende Wertschätzung für Kleidung“. Für viele Verbraucher seien Smartphones und Reisen wichtiger als ein hochwertiger Anzug oder ein schickes Kleid.
Und so klagt nicht nur der Textilhandel über einen Umsatzrückgang im vergangenen Jahr. Die Hersteller bekommen den Abwärtstrend noch heftiger zu spüren. Bis Oktober sei der Umsatz der deutschen Produzenten um 4,8 Prozent zurückgegangen. Im ersten Halbjahr erlösten sie geringfügig mehr als drei Milliarden Euro – nach 3,13 Milliarden Euro im Vorjahreszeitraum. Neben dem rückläufigen deutschen Textilhandel verhagelt vor allem auch der schwächelnde Export den Produzenten das Geschäft. Rasch: „Russland ist uns weggebrochen. Auf anderen Märkten ist es ähnlich schwierig.“
„Textilkauf ist auch Stimmungskauf“
Zur komplizierten Lage gehört nach Einschätzung von German Fashion auch, dass den Verbrauchern im Moment offenbar nicht so sehr der Sinn nach Mode stellt. „Textilkauf ist immer auch Stimmungskauf. Die negativen Nachrichten der letzten Zeit über Terror und Gewalt beeinflussen die Gesamtstimmung“, sagt Rasch.