Essen. . Verdi-Spitzenfrau Stefanie Nutzenberger lehnt Freigabe des Sonntags für Händler strikt ab. Das heize den „Vernichtungswettbewerb“ weiter an.

Im Frühjahr beginnen die Tarifverhandlungen für den deutschen Einzelhandel. Im vergangenen Jahr konnte die Gewerkschaft Verdi bei Kaiser’s Tengelmann, Karstadt und Real große Erfolge verbuchen. Stefanie Nutzenberger, im Verdi-Bundesvorstand für den Handel verantwortlich, blickt im Gespräch mit Frank Meßing zurück und nach vorn.

Sie haben in diesem Jahr Tarifverträge bei Real, Karstadt und Kaiser's Tengelmann/Edeka durchgesetzt. Hat Verdi gerade einen guten Lauf?

Stefanie Nutzenberger: Tarifverträge basieren auf dem, was von den aktiven Gewerkschaftsmitgliedern und den Beschäftigten in den Unternehmen diskutiert wird. Bei Kaiser's Tengelmann gab es die Forderung der Kolleginnen und Kollegen, nach dem Verkauf die Tarifbindung, nachhaltige Beschäftigungssicherung und Mitbestimmung zu sichern sowie die Ausgliederung an selbstständige Kaufleute zu verhindern. Alle vier Punkte haben wir erreicht, weil wir eine breite Unterstützung auch aus der Politik erhalten haben.

Das Verhältnis von Verdi zu Edeka war bislang nicht das Beste. Ist das Eis mit den Vereinbarungen zu Kaiser's Tengelmann nun gebrochen?

Stefanie Nutzenberger, Mitglied des Bundesvorstand der Gewerkschaft Verdi.
Stefanie Nutzenberger, Mitglied des Bundesvorstand der Gewerkschaft Verdi. © Gregor Fischer/dpa

Nutzenberger: Es gibt zum Teil Tarifbindung bei der Edeka – im Groß- und Außenhandel, aber auch im Einzelhandel. Es gibt aber auch große Bereiche insbesondere bei den selbständigen Kaufleuten ohne Tarifbindung. Im Fall von Kaisers Tengelmann ist es uns gelungen, aufeinander zuzugehen.

Eine mindestens fünfjährige Beschäftigungsgarantie gilt in der heutigen Zeit als fast schon paradiesisch. Ist Verdi bei den Verhandlungen um Kaiser's Tengelmann ein Coups gelungen?

Nutzenberger: Durch den langen Verkaufsprozess gab es bei den Mitarbeitern sehr viele Unsicherheiten. Wir haben nun Rahmenbedingungen vereinbart, die diese Unsicherheiten reduzieren. Tarifverträge schützen die Beschäftigten und sind kein Paradies. Sie sorgen für existenzsichernde Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.

Wäre der ausgehandelte Supermarkt-Kompromiss ohne die Ministererlaubnis denkbar gewesen?

Nutzenberger: Herr Haub hatte sich sehr früh entschieden, allein an die Edeka zu verkaufen. Insofern liegt die Vermutung nahe, dass Rewe ohne die Ministererlaubnis nicht zum Zuge gekommen wäre.

Es gibt eine politische Debatte, das Instrument der Ministererlaubnis abzuschaffen.

Nutzenberger: Das wäre der falsche Weg. Die Entscheidung von Wirtschaftsminister Gabriel zum Antrag von Edeka und Kaiser's Tengelmann hat deutlich gemacht, dass der Erhalt von Arbeitsplätzen und Mitbestimmung Gemeinwohlinteressen sind. Das ist auch gesamtgesellschaftlich ein wichtiger Aspekt.

Hat die Sondererlaubnis für den Verkauf von Kaiser's Tengelmann eine Signalwirkung für künftige Fälle dieser Art?

Nutzenberger: Es ist richtig und wichtig, dass bei einem Unternehmensverkauf endlich einmal der Schutz von Arbeitsplätzen stärker in den Fokus gerückt ist. Bei Kaiser's Tengelmann standen mehr als 15.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Ihr Verlust hätte massive Auswirkungen auf persönliche Existenzen, aber auch die Sozialsysteme gehabt.

Haben Sie nicht die Befürchtung, dass die guten Tarifbedingungen für die ehemaligen KT-Mitarbeiter zu Unmut in der restlichen Belegschaft von Rewe und Edeka führen?

Nutzenberger: Wir gehen davon aus, dass eine positive Regelung für die Kaiser’s-Tengelmann-Beschäftigten nicht zu Nachteilen für die vorhandenen Belegschaften führen darf. Es gibt eine Gesamtverantwortung des Arbeitgebers, die für alle Beschäftigten – neu dazugekommene und vorhandene – gleichermaßen gilt.

Real und Karstadt kehren nicht nur schrittweise in die Tarifbindung zurück. Verdi hat auch Bestandsgarantien für Filialen ausgehandelt.

Nutzenberger: Das war eine Forderung der Tarifkommission. Ohne die Standorte können die Arbeitsplätze nicht erhalten werden. Bei Real ist es uns sogar gelungen, die Investition von einer Milliarde Euro in die Filialen im Tarifvertrag festzuschreiben. Das hat es zuvor noch nicht gegeben.

Trotz aller Verhandlungserfolge bei anderen Handelskonzernen scheint sich Verdi bei Amazon seit drei Jahren die Zähne auszubeißen.

Nutzenberger: Beim Kampf um die Tarifbindung brauchen wir einen langen Atem. Wir bleiben mit Beharrlichkeit daran. Das zeigt ja auch die ungebremste Streikbereitschaft der Beschäftigten. Der Protest richtet sich auch gegen die zum Teil schlechten Arbeitsbedingungen in den Versandzentren. Amazon wirbt für sich selbst als größter Onlinehändler der Welt. Deshalb muss der Konzern seine Mitarbeiter auch nach dem Tarifvertrag des Einzelhandels bezahlen. Leider ist Amazon immer noch nicht zu Verhandlungen bereit.

Auch im Hinblick auf die wachsende Online-Konkurrenz fordert Karstadt-Chef Fanderl mittelfristig eine generelle Freigabe des Sonntags als Verkaufstag. Ist die Forderung für Verdi verhandelbar?

Nutzenberger: Eindeutig nein. Wir treten allen Bestrebungen, den Sonntagsschutz auszuhöhlen, entschieden entgegen. Der Sonntag ist ein hohes Gut für die Beschäftigten. Am Sonntag sollen sie sich erholen, ehrenamtlich engagieren und Zeit mit der Familie verbringen können. Der stationäre Handel braucht nicht mehr verkaufsoffene Sonntage, um seine Stärken gegenüber dem Internet auszuspielen. Viele Unternehmen sind auf dem richtigen Weg und stellen sich mit unterschiedlichen Vertriebswegen gut gegen die Online-Konkurrenz auf.

Aber auch der Handelsverband spricht sich für eine moderate Ausweitung der Sonntagsöffnungszeiten aus.

Nutzenberger: Im deutschen Einzelhandel herrscht ein Vernichtungswettbewerb, der u. a. über Personalkosten und Öffnungszeiten ausgetragen wird. Trotz verlängerter Öffnungszeiten sind die Umsätze nicht signifikant gestiegen. Während die großen Konzerne ihre Vorteile daraus ziehen, können viele kleine und mittlere bei den längeren Ladenöffnungszeiten kaum noch mithalten. Eine Ausweitung der Öffnungszeiten würde weder den Beschäftigten, noch großen Teilen des Einzelhandels etwas bringen – ebenso wenig wie der gesamten Gesellschaft.