Der frühere Konzernchef Heinrich von Pierer soll doch etwas von Korruptionspraktiken gewusst haben.Die Behörden ermitteln nun auch gegen die Stromverteilungssparte PTD wegen Schmiergeldzahlungen

München. Im Zuge der Siemens-Affäre um schwarze Kassen gerät der frühere Konzernchef Heinrich von Pierer erneut in Verdacht. Es seien bislang unbekannte interne Vermerke aufgetaucht, nach denen der 67-Jährige von Korruptionspraktiken im Haus frühzeitig gewusst habe, berichtet der Spiegel.

Von Pierer lässt allerdings eine solche Mitwisserschaft über Anwälte bis heute bestreiten. Angebliche Siemens-Papiere, datiert vom April und Mai 2004, mit denen der frühere Anti-Korruptionschef des Konzerns, Albrecht Schäfer, von Pierer und andere Topmanager informiert haben will, sprechen dagegen eine andere Sprache. 2004 wurde gegen Siemens wegen Schmiergeldes für einen Turbinenauftrag in Italien ermittelt. "Die Existenz schwarzer Kassen bei Siemens zeigt, dass die von Siemens praktizierte Aufsicht völlig ineffizient war und das Unternehmen Schmiergeldzahlungen zumindest als mögliche Unternehmensstrategie ansah", hat Schäfer nach eigenen Angaben 2004 in einem Vermerk unter anderem an von Pierer aus den Anordnungen eines italienischen Ermittlungsrichters zitiert.

Neu sind derartige Vorhaltungen an die Adresse von Pierers nicht. Bislang hat er sich aber stets auf die Position zurückgezogen, zwar über einzelne Korruptionsfälle informiert gewesen zu sein, nicht aber vom flächendeckenden Ausmaß der Praktiken gewusst zu haben. Ein iranischer Geschäftsmann behauptet jedoch nun, dass von Pierer in den 1980er Jahren selbst einen Korruptionsfall "orchestriert" habe. Ein derartiges Vorgehen war damals noch legal. Firmen konnten im Ausland gezahlte Schmiergelder von der Steuer absetzen.

Siemens selbst will zu den Vorwürfen an die Adresse von Pierers nichts sagen. Einen neuen Sachstand zu den intern laufenden Ermittlungen gebe man Ende April. Andreas Pohlmann als neuer Anti-Korruptionschef bei Siemens hat allerdings jüngst klar Stellung bezogen. "Es ist doch kaum vorstellbar, dass aus einem Unternehmen eine so große Summe Geld verschwindet und die Führung davon nichts bemerkt hat", räumte der Siemens-Aufklärer ein und drohte überführten Managern mit Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe.

Schweigen herrscht im Haus dagegen vorerst zur angeblichen Ausweitung der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft auf eine weitere Konzernsparte. Betroffen sei das Geschäft mit der Stromverteilungssparte PTD, will der Spiegel erfahren haben. Ermittelt werde deswegen nun gegen einen weiteren Ex-Zentralvorstand.

Die Behörden wollen das weder bestätigen noch dementieren. Allerdings hat Siemens-Finanzchef Joe Kaeser vor kurzem erst fragwürdige Zahlungen auch in diesem Geschäftsfeld eingeräumt. Demnach sind dort 80 Millionen Euro unter dubiosen Umständen transferiert worden.

Es ist auch nicht das erste Mal, dass die Stromverteilungssparte PTD ins Zwielicht gerät. Zuletzt hatten die EU-Kommission und das Bundeskartellamt dieses Geschäftsfeld wegen des Verdachts illegaler Preisabsprachen bei Transformatoren im Visier. Im Februar hatte Siemens eingeräumt, dass es tatsächlich in dem Bereich von 2001 bis 2003 ein Kartell gegeben habe.

Daneben hatte die EU-Kommission bereits im Januar eine Rekordstrafe von 418 Millionen Euro gegen Siemens wegen Preisabsprachen bei so genannten gasisolierten Schaltanlagen in Umspannstationen verhängt. Und diese sind wiederum ein Produkt aus dem PTD-Stromverteilungsgeschäft.

Für Lothar Gries, Sprecher der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) aus München, kommt der neue Korruptionsverdacht bei Siemens nicht überraschend. "Ich bin erstaunt, dass nicht schon längst andere Geschäftssparten des Konzerns ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten sind", sagte er der WAZ. Auch könne er sich nicht vorstellen, dass der ehemalige Siemens-Chef Heinrich von Pierer nichts von Schmiergeldzahlungen gewusst haben will. Denn: "Wir reden dabei von mindestens 1,3 Milliarden Euro", so Gries.

Diesen Betrag, nämlich 1,3 Milliarden Euro, hatte Siemens bislang an Schwarzgeld eingeräumt. Der Hauptast der fragwürdigen Geldströme konzentriert sich mit 449 Millionen Euro auf den jüngst aufgelösten Geschäftsbereich Kommunikation. Kommentar