Kassel. Opel will sich von General Motors lösen und den Staat um Geld bitten. Doch damit sind die Probleme nicht gelöst. Die Krise ist auch hausgemacht. Der einstige Opel-Marketingvorstand Dieter Dahlhoff erklärt, was bei Opel falsch gelaufen ist und wie die Marke wieder zu alter Stärke zurückfindet

Die Situation ist ernst, sehr ernst. Gelingt es Opel nicht, mit einem schlüssigen Rettungskonzept wieder auf die Beine zu kommen, droht das Aus. Im Moment kreisen die Lösungsansätze vor allem um die Fragen: Wie kann sich Opel stärker von General Motors lösen? Sollte der Staat helfen und wenn in welcher Form? Bleiben die Standorte mit ihren vielen tausenden Arbeitsplätzen erhalten?

Alles wichtige Fragen, meint der Wirtschaftswissenschaftler Professor Dieter Dahlhoff. Und doch greifen sie seiner Meinung nach zu kurz. Denn die Probleme von Opel bestehen nicht erst seit der Finanzkrise. Sinkende Absatzzahlen, wegbrechende Marktanteile, verlorenes Image - die Ursachen dafür liegen weit länger zurück. Die Krise ist zu großen Teilen hausgemacht, meint Dahlhoff und fordert deshalb: Wenn Opel überleben will, muss auch darüber gesprochen werden, wie Opel in Zukunft wieder erfolgreich Autos verkaufen kann.

Dahlhoff, der heute an der Uni Kassel lehrt, kennt den Konzern gut. Er war Anfang der 90er Jahre Marketingvorstand bei Opel. Seine Werbekampagne mit dem Louis-Armstrong-Song „What a wonderful world“ ist vielen noch in Erinnerung und ließ den Opel-Marktanteil von 13 auf 17 Prozent ansteigen. Davon kann der Autobauer heute nur träumen. Zuletzt sank der Marktanteil von Opel auf unter sieben Prozent.

Herr Professor Dahlhoff, kann Opel gerettet werden?

Prof. Dieter Dahlhoff: Ja, aber dafür braucht es ein Konzept, das über eine Herauslösung aus dem Konzern General Motors hinausgeht.

Ist eine Trennung von General Motors, wie jetzt geplant, überhaupt möglich?

Dahlhoff: Das ist eine schwierige Aufgabe, aber ich halte es für machbar.

Es heißt, Opel ist zu klein, um allein zu überleben. Wer wäre denn ein geeigneter Partner?

Dahlhoff: Aus meiner Sicht geht es nicht darum, einen Käufer zu finden. Wenn Opel eigenständig würde, ließen sich verschiedene Kooperationen bauen. Ich denke da beispielsweise an eine Zusammenarbeit mit Fiat bei Kleinwagen oder im Komponentenbereich mit Peugeot und Citroen. In Teilbereichen kann ich mir auch Partnerschaften mit deutschen Autobauern wie BMW und Mercedes vorstellen.

Muss der Staat Opel zur Seite springen?

Dahlhoff: Ich halte das für sinnvoll. Allerdings sollte der Staat wie ein Unternehmer agieren und einen Zukunftsplan einfordern. Ein solches Konzept darf jedoch nicht nur die Frage beinhalten, wie die Fabriken erhalten werden können. Sie muss auch zeigen, wie künftig die Fahrzeuge ihre Käufer finden. Eine Rettung von Opel besteht aus meiner Sicht aus drei Phasen: Zunächst muss geklärt werden, wie Opel zu Geld kommt. Dann muss es darum gehen, wie sich das Unternehmen aufstellt, das heißt: mit welchen Werken und welchen Partnern. Und dann kommt die dritte, und ebenso entscheidende Phase: Wie kann man welche Markenprodukte wieder zu den Kunden bringen. Gerade darüber redet im Moment aber keiner.

Wer hat Schuld an der Krise – General Motors, Opel selbst, die Finanzkrise?

Dahlhoff: Die Krise ist zu komplex, um einen Schuldigen allein zu benennen. Die Automobilbranche war überhitzt. Opel hat in den letzten Jahren eine nicht sehr positive Entwicklung in Deutschland genommen. Und dann kamen die Folgen der Finanzkrise hinzu. All das zusammen hat die gegenwärtige Situation verursacht.

Was hat Opel selbst falsch gemacht?

Dahlhoff: Opel hat sich zu wenig am deutschen Markt orientiert. Die Marketingpolitik war falsch konzipiert. Die technisch einwandfreien Fahrzeuge wurden nicht an die richtigen Kundengruppen gebracht. Aber auch im Vertrieb und der Kommunikation mangelte es an der richtigen Strategie.

Das heißt konkret?

Dahlhoff: Opel hat den soliden Mittelstand aus den Augen verloren. Es gab zuviel Lifestyle-Getöse. Und man hat sich zu sehr wie die Premium-Marken dargestellt und zu amerikanisch. Das hat viel Glaubwürdigkeit gekostet.

Wie sieht aus Ihrer Sicht der typische Opel-Fahrer aus?

Dahlhoff: Das sind „die Vielen“ im Lande, Facharbeiter und Angestellte mit mittleren Einkommen, die ihre eigenen Ansprüche an ein Auto haben. An die hat man sich nicht genug gewendet.

Was ist im Vertrieb falsch gelaufen?

Dahlhoff: Eine große Stärke von Opel ist die Händlerschaft. Das sind Mittelständler, die in ihren Regionen meist seit Jahrzehnten verwurzelt sind und ihre treue Kundschaft kennen. Doch bei Opel ist die Vertriebsausrichtung in den letzten Jahren alles andere als gut gewesen. Die Zusammenarbeit mit den Händlern war kritisch.

Welche Hausaufgaben muss Opel erledigen, wenn der Autobauer eine Zukunft haben will?

Dahlhoff: Erstens muss man genaue Marktforschung betreiben und mit den Menschen sprechen, bzw. direkt und unmittelbar in den Dialog treten. Zweitens geht es darum, die Marke Opel, die viel Substanz hat, wieder zu pflegen. Drittens muss die Kooperation mit den Händlern auf eine andere Basis gestellt werden. All dies muss schließlich auf einen deutschen Markt ausgerichtet werden, denn auch dieser Punkt wurde in der Vergangenheit zu sehr vernachlässigt.

Gelingt diese Neuausrichtung ohne das amerikanische Diktat besser?

Dahlhoff: Davon bin ich überzeugt. Opel braucht Manager, die vor Ort marktorientiert entscheiden können und keinen globalen Zusammenhang berücksichtigen müssen.

Sie sagten einmal, Sie würden sich Sorgen um die Marke Opel machen. Wie stark hat die Marke in den letzten Jahren gelitten?

Dahlhoff: Die Marke ist in ihrem Kern stark. Meine Sorge ging und geht dahin, dass diese Marke falsch gepflegt wurde beziehungsweise wird.

Ihre Vision: Wie steht Opel in zehn Jahren da?

Dahlhoff: Ich könnte mir vorstellen, dass Opel zehn Prozent Marktanteil im deutschen Markt erreicht hat, dass das Unternehmen eine ordentliche Rendite erzielt, eine multiple Eigentümerstruktur aufweist und wieder als positive volkstümliche deutsche Ingenieurs-Marke dasteht.

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