Berlin. Eine Untersuchungskommission sollte die VW-Abgasaffäre aufklären. Doch an der Unabhängigkeit des Gremiums kommen jetzt Zweifel auf.

Eigentlich sollte die Untersuchungskommission „Volkswagen“ für eine unabhängige Aufklärung der Dieselaffäre sorgen. Als Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) das Gremium im September 2015 kurz nach Bekanntwerden des Abgasskandals einsetzte, gehörte es zu den Zielen, den Sachverhalt der Vorwürfe aus den USA zu analysieren und die von VW angebotenen Abhilfemaßnahmen zu bewerten.

Nach 53 Sitzungen legte das Gremium dann im April einen 128-seitigen Bericht vor. Doch an der Unabhängigkeit kommen nun erhebliche Zweifel auf.

An dem Wortlaut des Untersuchungsberichts haben offenbar die Autohersteller direkt mitgewirkt – und zwar oft bis in einzelne Formulierungen hinein. Zwischen Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), Bundesverkehrsministerium und Konzernen bestand ein reger schriftlicher Austausch, wie interne Mailwechsel aus der Untersuchungskommission zeigen, die dieser Redaktion vorliegen.

Mail von KBA-Präsident Ekhard Zinke taucht auf

Die Mails deuten darauf hin, dass mit den Herstellern vor der Veröffentlichung konkrete Absprachen vereinbart wurden. So heißt es in einem Mailwechsel zwischen Mitarbeitern des Kraftfahrt-Bundesamts und dem Verkehrsministerium: „(...) ich habe unseren Bericht jetzt als Rohfassung für den Untersuchungs-KOM Bericht umgestellt (...) Der Porsche-Text ist darin mit dem Hersteller abgestimmt. Bei Deinem Satz würde ich das ‚jedoch‘ lieber möglichst umgehen, weil die Hersteller an der Stelle sehr empfindlich sind.“

In einer weiteren Notiz vom Januar schreibt ein Mitarbeiter: „Es werde mit den Herstellern zuvor konkret besprochen, was veröffentlicht werde.“ Volkswagen schreibt unterdessen an das KBA: „Sehr geehrte Herren, wie in der heutigen Telefonkonferenz vereinbart, erhalten Sie anbei den diskutierten Stand des Wirksamkeitsnachweis in der Thermofenster Diskussion. Es wäre Klasse, wenn Sie uns bis morgen Mittag 12 Uhr eine Rückmeldung geben könnten, damit wir diesen Stand ggfs. bereits als ,abgestimmten Vorschlag‘ an die Odenwald-Untersuchungskommission versenden können.“ Odenwald-Kommission, weil Staatssekretär Michael Odenwald das Gremium leitet.

In den Unterlagen taucht auch eine Mail von KBA-Präsident Ekhard Zinke auf. Er schreibt an seine Mitarbeiter, er halte die Ausführungen von Opel „insbesondere im techn. Teil im Grunde nach für nachvollziehbar“ und unterschreibt die Mail: „Mit industriefreundlichem Gruß.“

Bundesverkehrsminister wollte sich nicht äußern

Der Bundesverkehrsminister, dem das KBA unterstellt ist, wollte sich nicht persönlich zu den Mailwechseln äußern. Ein Ministeriumssprecher sagte: „Mit den Herstellern wurden im Rahmen dieser Untersuchungen Gespräche geführt und technische Fragen erörtert. Ein solches Prozedere ist international üblich und notwendig.“ Die Meinungsbildung sei unabhängig erfolgt und für 2,4 Millionen VW-Autos ein verpflichtender Rückruf festgelegt worden.

Auch VW sieht kein Fehlverhalten. „Die beteiligten Marken haben konkrete Lösungen erarbeitet und dem KBA zur Überprüfung und Freigabe vorgestellt“, sagte ein Sprecher. „ Wenn das KBA mit Blick auf die angekündigte Veröffentlichung des Untersuchungsberichtes Rücksprachen mit betroffenen Unternehmen führt, ist dieses aus unserer Sicht erst einmal nachvollziehbar und naheliegend.“ Auch der Autoindustrieverband hält das Vorgehen „für völlig üblich“.

Umweltverbände bezeichnen Vorgang als Skandal

Umweltverbände und Oppositionspolitiker kritisieren den Vorgang scharf. Der Verkehrsclub Deutschland spricht von einem „Skandal“ und sieht den seit lange gehegten „Verdacht der Mauschelei“ zwischen KBA und Herstellern dadurch bestätigt. „Sich von der Industrie die Berichte für eine unabhängige Untersuchungskommission diktieren zu lassen, untergräbt demokratische Instanzen“, sagt Jens Hilgenberg, Verkehrsexperte des Bundes für Umwelt und Naturschutz.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter spricht von „Kumpanei“ und einem „Versagen“ staatlicher Kontrollgremien. „Das ist schädlich für das Ansehen unserer Institutionen und es ist schädlich für unseren Industriestandort.“ Die Konsequenz könne nur sein, dass eine unabhängige Kommission das Ganze noch einmal aufrolle.

„Kungelwirtschaft wie in einer Bananenrepublik“

Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer sieht das Problem im Kraftfahrt-Bundesamt und fordert die Absetzung des Präsidenten Ekhard Zinke. „Verkehrsminister Dobrindt muss den Behördenchef heute noch beurlauben“, sagt der Direktor des CAR-Instituts an der Universität Duisburg-Essen dieser Redaktion.

„In der Behörde scheint eine Kungelwirtschaft zu herrschen wie in einer Bananenrepublik.“ Der KBA-Präsident schädige mit seinem Verhalten die gesamte deutsche Autoindustrie. „Kein Mensch der Welt vertraut doch deutschen Autobauern, wenn so in Zeiten von Dieselgate, deutlich zu hohen Treibstoffverbrauchs und laxen Politikern Autos verkauft werden, deren Standards von solchen Behörden geprüft werden“, sagt Dudenhöffer.

US-Behörden deckten Abgasskandal auf

Dass US-Behörden den VW-Abgasskandal aufdeckten und nicht deutsche, wirft bis heute ein schlechtes Licht auf die Aufsichtsbehörden. Um Interessenskonflikte des Verkehrsministers – einerseits die Autoindustrie zu schützen und sie gleichsam zu kontrollieren – zu lösen, plädiert Dudenhöffer dafür, das KBA aus dem Verkehrsministerium auszugliedern und dem Umweltministerium zu unterstellen, das Gesundheits- und Umweltbelastungen in den Vordergrund stelle:

„Das Umweltministerium sollte prüfen können, inwieweit Produkte wie Kraftfahrzeuge dem Umweltschutz genügen.“ Schließlich war es auch in den USA die Umweltbehörde EPA, die den VW-Abgasskandal ans Licht brachte.