Essen. . Zitterpartie für Thyssen-Krupp: Eine Krise beim potenziellen Fusionspartner Tata sorgt für Unsicherheit. Ein Verkauf des Brasilien-Werks rückt näher

Zuletzt war es vergleichsweise ruhig geblieben um das brasilianische Stahlwerk von Thyssen-Krupp. Jahrelang galt die gigantische Anlage im Bundesstaat Rio de Janeiro als Inbegriff für die Probleme des Revierkonzerns. Schon vor Jahren wollte Vorstandschef Heinrich Hiesinger einen Schlussstrich unter das unrühmliche Kapitel setzen. Doch im Spätsommer 2013 platzten die Verhandlungen zum Verkauf an einen Konkurrenten. Der Plan B – ein Verbleib des verlustreichen Stahlwerks bei Thyssen-Krupp – entwickelte sich einstweilen zum Dauerzustand.

Doch nun kommt Bewegung in die vertrackte Angelegenheit. Ein Verkauf der Companhia Siderúrgica do Atlântico – kurz CSA – scheint in greifbare Nähe zu rücken. Derzeit laufen Verhandlungen mit dem in Südamerika stark vertretenen Stahlkonzern Ternium. Die Gespräche sollen weit fortgeschritten sein, berichten Insider.

Ein möglicher Befreiungsschlag

Es könnte ein Befreiungsschlag für Vorstandschef Hiesinger sein. Die Probleme beim Bau des Brasilien-Werks verursachten Milliardenverluste, die den Essener Traditionskonzern vor wenigen Jahren beinahe in den Abgrund gezogen hätten. Zwar lief es jüngst etwas besser in Brasilien, doch bilanzielle Effekte sorgten unter dem Strich weiterhin für einen Verlust in den Büchern.

In gut einem Monat will Hiesinger über den Verlauf des Ende September abgeschlossenen Geschäftsjahres 2015/16 berichten. Ob bis dahin spruchreife Ergebnisse aus den Gesprächen mit dem Ternium-Konzern vorliegen, ist unklar. Thyssen-Krupp dürfte Interesse daran haben, keine zu hohen Erwartungen zu wecken.

„Ein Verkauf des brasilianischen Werks käme zum jetzigen Zeitpunkt etwas überraschend“, urteilt Rochus Brauneiser vom Investmenthaus Kepler Cheuvreux. „Bislang sah es so aus, dass der Fokus auf einer möglichen Lösung für die Probleme der europäischen Stahlsparte liegt.“

Gespräche zum Modell „Tütata“

Seit Monaten laufen Gespräche mit dem indischen Konkurrenten Tata zur Gründung einer Gemeinschaftsfirma, in der die Traditionssparte von Thyssen-Krupp mit großen Standorten in Bochum und Duisburg aufgehen könnte. Doch die Verhandlungen entwickeln sich zur Zitterpartie. Da Tata auch britische Stahlwerke in das Geschäft einbringen wollte, sorgten der überraschende Brexit und der Rückzug des britischen Premiers David Cameron für Unsicherheiten. Die Cameron-Regierung war in die Gespräche zum Modell „Tütata“ (Thyssen-Krupp-Tata) eingebunden.

Nun schürt auch noch ein plötzlicher Wechsel an der Spitze von Tata Zweifel an einer schnellen Stahl-Fusion. „Mit dem Brexit und dem Führungswechsel bei Tata sind die Risiken für ein mögliches Scheitern der Gespräche gestiegen“, sagt Rochus Brauneiser. „Für das Thyssen-Krupp-Management ist das unglücklich gelaufen.“ Die Tata-Führungskrise könnte zumindest zu einer Verzögerung der Gespräche mit Thyssen-Krupp um mehrere Monate führen, vermutet Brauneiser. Auch Marc Gabriel, Analyst vom Bankhaus Lampe sagt: „Ich sehe den Wechsel in der Tata-Führung eher negativ für das Ziel von Thyssen-Krupp, die europäische Stahlsparte in ein Gemeinschaftsunternehmen mit Tata einzubringen.“

„Ein Verkauf unter Buchwert wäre schlecht“

Umso willkommener dürfte Vorstandschef Hiesinger eine Lösung für das brasilianische Stahlwerk sein. Hiesinger verfolgt seit geraumer Zeit das Ziel, die Abhängigkeit des Konzerns von der Stahlsparte zu verringern. Die Zukunft von Thyssen-Krupp sieht er als Industrie- und Technologieunternehmen mit Geschäften rund um Aufzüge, Autozulieferung und Anlagenbau. „Wenn es nun zu einer Trennung kommt, dürfte das sicherlich die Spekulationen über einen Abschied des Konzerns vom Stahl anheizen“, vermutet Thomas Hechtfischer von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz.

Das Stahlwerk in Brasilien soll mit rund zwei Milliarden Euro in den Büchern von Thyssen-Krupp stehen. Das „Wall Street Journal“ berichtet, Ternium wolle wohl weniger zahlen. Dies hätte Folgen für Thyssen-Krupp. „Ein Verkauf unter Buchwert wäre schlecht“, betont Hechtfischer. „Denn die Konsequenz wären Abschreibungen. Damit könnte die Eigenkapitaldecke noch dünner werden, als sie ohnehin schon ist.“ Die Eigenkapitalquote lag zuletzt bei 7,9 Prozent – ein magerer Wert für einen Dax-Konzern. Finanzchef Guido Kerkhoff betont indes, Thyssen-Krupp sei finanziell solide ausgestattet.