Frankfurt/Main. Analysten rechnen mit einem Quartalsverlust von einer halben Milliarde Euro. Die Probleme des Geldhauses Deutsche Bank reichen weit.
Sie war einmal die Nummer eins in Deutschland und in Europa, eine Zeit lang sogar weltweit. Inzwischen bemüht sich der seit gut 15 Monaten amtierende Vorstandschef John Cryan, die Deutsche Bank vor dem Niedergang zu bewahren. Doch die Rechtsrisiken machen ihm fast jeden Befreiungsschritt schwer. Und für diese Anhäufung an Risiken sind vor allem die Investmentbanker verantwortlich.
Das Selbstverständnis der Deutschen Bank hat dadurch stark gelitten. Die Chefs der Bank, die das „deutsch“ wie ein Seriositätsversprechen in ihrem Namen trägt, prägten lange Jahre das Bewusstsein einer hohen gesellschaftlichen Verantwortung der Bank.
Weitreichende Verflechtungen der Deutschen Bank
Alfred Herrhausen etwa, Vorstandssprecher von 1985 bis zu seiner Ermordung durch die RAF im Jahr 1989, sagte sechs Wochen vor seinem Tod, man müsse sich jeden Tag fragen, „ob die Entscheidungen, die wir treffen, Verantwortungsbewusstsein widerspiegeln“. Das bedeute, sich zu fragen, „ob sie dem Interesse der ‚Res Publica‘, der Gemeinheit ebenso dienen wie dem Interesse unserer Kunden, unserer Mitarbeiter und unserer Aktionäre.“
Dieses Selbstverständnis zeigte sich auch in der Verflechtung der Deutschen Bank mit den großen Unternehmen der deutschen Wirtschaft – kaum ein Aufsichtsrat eines großen Unternehmens, in dem die Deutsche Bank nicht vertreten war.
Die Investmentbanker übernahmen die Macht
Doch in den Neunzigerjahren strebte die Deutsche Bank nach mehr: Sie wollte global expandieren. Das hatte mit der Konkurrenz der reinen Kreditbanken, also der Sparkassen und Volksbanken im Heimatmarkt zu tun. Denn die hätten der Deutschen Bank das Wachstum schwer gemacht, analysiert im Rückblick Thomas Mayer, der bis zum Amtsantritt von Anshu Jain und Jürgen Fitschen Chefvolkswirt der Bank war. Gleichzeitig entstanden in den USA und England große Investmentbanken, denen das deutsche Institut im globalen Markt nacheifern wollte.
Deshalb habe man ein neues Geschäftsfeld gesucht und gefunden – das internationale Investmentbankgeschäft: „Das war die Antwort, die Alfred Herrhausen auf die Herausforderung gab, die sich im deutschen Markt stellte.“
Ende der Rolle als Hausbank
Denn international waren diese Investmentbanken schon sehr erfolgreich unterwegs. Schon Ende 1989 kaufte die Deutsche Bank deshalb die britische Investmentbank Morgan Grenfell und zehn Jahre später die amerikanische Bankers Trust Company und begann mit dem Aufbau der Investmentbank, sie führte aber gleichzeitig das klassische Privatkundengeschäft weiter.
Das war gleichzeitig das Ende der Rolle als Hausbank vieler deutscher Unternehmen, erklärt Reinhard Schmidt, Professor am Frankfurter House of Finance. Das eine sei unvereinbar mit dem anderen. Deshalb kam es zur Entflechtung, zur Auflösung der „Deutschland AG“. Und damit konnten die Investmentbanker in der Bank frei agieren. Sie brauchten auf die früheren Stammkunden der Bank keine Rücksicht mehr zu nehmen. Sie waren die neuen Herrscher im globalen Reich des Geldhauses.
Eine Bank in der Bank entstand
Es begann der Aufbau einer Bank in der Bank: 1996 wurde dazu ein Team der amerikanischen Investmentbank Merrill Lynch eingekauft – unter Führung von Ed Mitchell, dem seine Leute treu ergeben waren, darunter auch Anshu Jain. Dieses Team sollte zunächst die zugekauften Investmentbanken Morgan Grenfell, später auch Bankers Trust in die Gesamtbank integrieren. An Integration waren diese Mitarbeiter aber gar nicht interessiert, da habe man die „Böcke zu Gärtnern“ gemacht, meint Klaus Nieding, Vizepräsident der Deutschen Schutzgesellschaft für Wertpapierbesitz. Etwas vorsichtiger formuliert das der frühere Chefvolkswirt der Bank, Thomas Mayer.
Es sei schwierig gewesen, in diesem Umfeld eine einheitliche Risikokultur zu schaffen, weil die Vorstellungen so unterschiedlich gewesen seien: „Die Managementstruktur in der Deutschen Bank war nicht gut genug, diese unterschiedlichen Mentalitäten gut genug zu managen, dass sich da nicht Verhaltensweisen einschleichen konnten, die der Bank dann großen Schaden zugefügt haben.“ Das sei ein „reverse takeover“ gewesen, analysiert Dieter Hein, von den unabhängigen Finanz-Analysten fairesearch. „Die Deutsche Bank hat zwar Morgan Grenfell übernommen, aber Morgan Grenfell hat das Investmentbanking der Deutschen Bank übernommen.“ Solange die Truppe der Bank Milliardengewinne einbrachte, schien alles gut. Doch die Risiken wuchsen.
Wer den Kurs hinterfragte, wurde kaltgestellt
Wer diese hinterfragte wie Thomas Fischer, der um den Jahrtausendwechsel das Risikomanagement der Bank verantwortete, wurde kaltgestellt: 2002 verließ Fischer die Bank, Josef Ackermann, selbst Investmentbanker, wurde Vorstandssprecher, baute das Führungsgremium aber um und stärkte seine Macht als Chef.
In dieser Zeit wuchs in Frankfurt die Sorge, die Deutsche Bank könnte ihren Sitz nach London verlegen – ins Herz der Macht der Investmentbanker. Dazu aber kam es nicht, und nach dem Ausbruch der Finanzkrise gab Ackermann sich nach außen hin lauter: Kein Geschäft sei es wert, den guten Ruf aufs Spiel zu setzen, sagt er da etwa vor Aktionären. Aber da waren diese Geschäfte weitgehend schon gemacht.
Ansehen der Deutschen Bank wurde beschädigt
Im Jahr 2012 beerben Ackermann – gegen dessen Willen – zwar Anshu Jain und Jürgen Fitschen, doch Jain holen die Sünden der Vergangenheit ein. „Das, was dann im Rahmen des Investmentbanking stattgefunden hat, die unendlich vielen Vorgänge, die zu Verurteilung, Strafzahlung aller möglichen Art im In- und Ausland geführt haben, sozusagen das tägliche Eintrudeln von Horrormeldungen, das hat das Ansehen der Deutschen Bank massiv geschädigt“, fasst Reinhard Schmidt vom House of Finance die Folgen zusammen.
Die Marktrisiken hatte die Deutsche Bank lange im Griff, doch die Rechtsrisiken hatte sie vernachlässigt. Die Aufseher haben den Umbau der Bank zur Universalbank begleitet – lange Jahre, ohne daran Anstoß zu nehmen. Seit der Finanzkrise haben die Regulatoren für die Branche die Zügel angezogen. Das hat die Bank in noch größere Nöte gebracht. Der Börsenkurs, der zwischenzeitlich auf unter zehn Euro gesunken war, ist ein Spiegelbild dessen.
Dabei zeigen sich deutliche Verbesserungen: „Das Eigenkapital der Bank ist höher als vor der Krise“, meint etwa Ralph Hamers, Chef der niederländischen Großbank ING. Außerdem verfügt sie über Liquiditätsreserven von 215 Milliarden Euro. Das aber dürfte sie nicht vor einem weiteren Verlust im dritten Quartal bewahrt haben: Da rechnen Analysten unter dem Strich mit einem Minus von 610 Millionen Euro.