Duisburg. .

Soziale Sicherungssysteme und alternde Gesellschaft sind heute das Thema bei einer Talkshow im Südwestfunk SWR – mit dabei ist der Duisburger Arbeitsmarktexperte Prof. Dr. Gerhard Bosch. Die NRZ sprach vorab mit ihm:

NRZ: Sie beobachten seit Jahren, dass immer mehr ältere Menschen arbeiten. Wie sieht es konkret aus?

Bosch: Inzwischen arbeiten 1,2 Millionen Personen im Rentenalter. Das sind etwa doppelt so viele wie 2001. Fast 50 Prozent von ihnen sind Selbstständige, die einfach weiterarbeiten, der Rest ist abhängig beschäftigt. Die durchschnittliche Arbeitszeit liegt bei den selbstständigen Älteren bei 29 Stunden, bei den abhängig Beschäftigten bei 15 Wochenstunden. Man will also schon etwas kürzer treten!

Bei welchen Menschen und in welchen Branchen ist das besonders auffällig?

Die arbeitenden Rentner/innen sind überdurchschnittlich gut qualifiziert. Es sind eher Männer als Frauen. Gearbeitet wird vorwiegend im Dienstleistungssektor. 80% sind im Handel, Gastgewerbe, Verkehr oder sonstigen Dienstleistungen tätig. Bevorzugt werden selbst von den Qualifizierten oft einfache Tätigkeiten. Man will sich eben nicht mit zu viel Verantwortung belasten.

Was ist der Grund dafür?

Spaß an der Arbeit und der Wunsch nach einer Aufgabe und sozialen Kontakten sind die wichtigsten Gründe. Mehr als ein Drittel gibt auch finanzielle Gründe an. Da geht es nicht nur um Armutsvermeidung, sondern auch um den Wunsch, sich etwas Besonderes leisten zu können, wie einen Urlaub oder Geschenke an die Enkelkinder. Übrigens wollen noch mehr Rentner arbeiten, finden aber keine Stelle. Der Arbeitsmarkt spielt also auch eine Rolle.

Viele arbeiten vollzeitig, können wegen der geringen Löhne aber dennoch auf keine ausreichende Rente hoffen? Diese Lage verschärft sich immer weiter. Wie soll die Politik das lösen?

Zunächst brauchen wir anständige Löhne für gute Arbeit. Das kann man nur durch eine höhere Tarifbindung erreichen. Vor allem müssen mehr Frauen eine eigenständige Alterssicherung aufbauen, was nur durch eine kontinuierlichere Erwerbstätigkeit gelingt. Der Ausbau der Kinderbetreuung und der Ganztagsschulen ist da ein längst fälliger Schritt.

Derzeit wird wieder viel über einen Umbau des Rentensystems gesprochen. Welche Gedanken sind dabei gut, welche nicht?

Die Riester-Rente ist leider misslungen, da sie nicht verpflichtend ist und von Geringverdienern kaum in Anspruch genommen wird. Richtig war die schmerzhafte Heraufsetzung der Altersgrenze. Falsch war, diejenigen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht länger arbeiten konnten und eine Erwerbsunfähigkeitsrente beziehen, nicht besser abzusichern. Forderungen nach der Rente mit 70 oder 75 gehen an der Realität der heutigen hektischen und jugendorientierten Arbeitswelt völlig vorbei. Das Beste wäre eine Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung auch um den Preis eines höheren Rentenbeitrags. Das wäre im Übrigen auch im Interesse der heute Jüngeren, die ja in 30 oder 40 Jahren voll von der Absenkung des Rentenniveaus erfasst werden.

Sind die Rentengrenzen und die Zuverdienstmöglichkeiten zu starr in Deutschland?

Nein! Jeder kann nach Erreichen der Altersgrenze so viel verdienen, wie er will, ohne dass die Rente gesenkt wird. Wer länger arbeitet, wird auch belohnt und bekommt eine höhere Rente. Außerdem können seit 2014 in gegenseitigem Einvernehmen die Arbeitsverträge über die Altersgrenze verlängert werden. Das wollen aber die meisten Unternehmer nicht. Das System ist also hoch flexibel.