Berlin. Weil Piloten und Stewardessen krank feiern, muss Air Berlin Flüge streichen. Die Passagiere sind sauer. Sie fühlen sich alleingelassen.

Annullierte Flüge und was sie für die Reisenden heißen: Die Probleme bei Air Berlin treffen vor allem Urlauber völlig unvorbereitet – und wecken bei vielen Frust und Wut. Unsere Redaktion hat sich angeschaut, wie die Gesellschaft mit den Ausfällen umgeht. Ausfälle gibt es nicht erst seit dem Wochenende, da hat sich die Lage aber deutlich verschärft.

Nicht jeder kann es sich nach einem gecancelten Flug so einfach machen wie Model Franziska Knuppe: In Mailand kaufte sie sich kurzerhand ein Lufthansa-Ticket, als Air Berlin ihren Flug cancelte. An Air Berlin schrieb sie: „Danke, dass Ihr meinen Flug streicht.“ Gekümmert habe sich niemand um die Passagiere.

Familie zu zehnt gestrandet

Eine Schilderung, die Michael Johne aus Berlin nur bestätigen kann: „Das Verhalten von Air Berlin ist ein Skandal, empathielos und absolut unangemessen für ein Unternehmen“, sagt er unserer Redaktion.

Zu zehnt mit kleinen Kindern und Großeltern sollte es für ihn am 1. Oktober von Tegel nach Mallorca gehen. Die Schlange bis vor das Terminal C konnte die Vorfreude noch nicht trüben auf die gemietete Finca und Touren mit den zwei Mietwagen. Dann kam aber die Durchsage: Reisende des Fluges AB3092 wurden zum Ticketschalter gebeten. Dort dann die Nachricht: Der Flug ist annulliert. „Von Air Berlin war dort niemand, es wurde nur ein Zettel mit deren Nummer verteilt.“

An den Flughäfen Wut bei Reisenden

Beschwerden über den Umgang von Air Berlin mit den Annullierungen gab es in den vergangenen Tagen immer wieder. Aus Hamburg berichteten Reisende, zwei Mitarbeiter hätten sich um 100 Reisende kümmern sollen, aus Wien gab es Fotos langer Schlangen, aus Zürich kam die Klage, jemand sei „der 218. in der Schlange“ und die Hotline nicht mehr erreichbar. „Unser Service Center ist sehr beschäftigt“, bat Air Berlin auf Twitter um Verständnis.

Einem Reisenden, dessen Flug von Düsseldorf nach Wien gestrichen wurde, antwortete die Gesellschaft auf Twitter: „Bleib in der Schlange, aber ruf das Call Center an. Das wird beides leider dauern.“ Einen Grund gab die Gesellschaft auf Nachfrage nicht an, wie auch bei anderen Reisenden nicht.

Die Airports müssen den Ärger zum Teil ausbaden. Ein Sprecher des Flughafens Hannover sagte: „Dass das ausgerechnet zu den verkehrsreichen Urlaubstagen passiert, ist misslich – wir als Flughafen sind darüber erbost.“

Air Berlin-Chef hatte abgewiegelt

Noch am Freitag hatte der Vorstandsvorsitzende von Air Berlin, Stefan Pichler, den Kunden geschrieben: „Ich möchte Ihnen versichern, dass wir alle Flüge wie geplant durchführen“. Die Fluggesellschaft muss alles tun, um nicht durch mögliche Verunsicherung über die Zukunft Kunden zu verlieren.

Unter seinem Beitrag hagelte es aber Reaktionen von Reisenden, die genau das Gegenteil erfahren hatten. Auf Twitter berichtete ein Niederländer, in einer Woche Opfer von zwei Ausfällen geworden zu sein.

Am Montag gestand die Gesellschaft dann „Crewengpässe“ beim Partner Tuifly ein, die zu Verspätungen und Ausfällen geführt hätten. Die „Crewenpässe“ lägen vor allem an kurzfristigen Krankmeldungen. Ein Drittel der Tuifly-Flotte fliegt samt Besatzung für Air Berlin.

Beim Verbraucherzentrale Bundesverband vbzv beobachtet man die Entwicklung aufmerksam: „Air Berlin müsste jetzt eigentlich alles tun, um das Vertrauen der Kunden zu behalten oder zurückzugewinnen“, sagt Marion Jungbluth, Leiterin des Bereichs Mobilität und Reise unserer Redaktion. „Beste Kundenbetreuung bei Flügen, die kurzfristig annulliert werden, müsste eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.“

Gutschein reichte nicht für Pizza-Stück

Eine Reisende in Düsseldorf konnte nach der Absage ihres Flugs nach Dresden immerhin sechs Stunden später einen anderen Flieger nehmen. Der Gutschein über 5 Euro zur Entschädigung hätte aber nicht mal zum Kauf eines Stücks Pizza am Flughafen gereicht.

Es geht offenbar aber auch anders: Nach einem gestrichenen Flug von Düsseldorf nach Kopenhagen kommt Lob für das höfliche Personal und das ausgzeichnete Hotel:

Eine Sprecherin von Air Berlin erklärte am Dienstagabend, es sei „höchste Priorität, unsere Fluggäste sicher und so schnell wie möglich an ihr Ziel zu bringen“. Aus operationellen Gründen könne es in seltenen Fällen zu kurzfristigen Flugstreichungen kommen. Man versuche dann umgehend, die Gäste auf andere Flüge umzubuchen oder ihnen alternative Reisemöglichkeiten anzubieten.

Reisende haben nach einer Annullierung Anspruch auf „Betreuungsleistungen“ wie den Verzehrgutschein und die Wahl zwischen Flugpreiserstattung oder Ersatzbeförderung zum frühestmöglichen Zeitpunkt, erläutert Heinz Klewe, Geschäftsführer der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (söp). Wenn Reisende bei der Fluggesellschaft nicht weiterkommen, können sie sich an söp oder die Verbraucherzentralen wenden oder selbst klagen.

Neuen Mallorca-Flug selbst bezahlt

Auch Mallorca-Urlauber Johne wurde am Telefon neben der Flugpreiserstattung eine Ersatzbeförderung angeboten: Die Familie hätte zwei Tage später von München aus fliegen können oder drei Tage später von Hamburg – bei einem achttägigen Urlaub.

Seine Schwester war mit Familie schon auf dem Weg zurück ins heimische Erzgebirge, als Johne sie erreichte: Er hatte selbst eine Alternative gefunden. Nachdem alle zehn Urlauber in der Wohnung in Neukölln übernachtet hatten, ging es morgens über Brüssel nach Mallorca. Auf eigene Rechnung.

Hunderte Urlauber saßen fest

Bei einem annullierten Flug nach Portugal sollen Reisende das Angebot bekommen haben, für 1000 Euro einen Alternativflug zu buchen. „Ihr wolltet 1000 Euro bar auf die Hand?!“, empört sich die Hamburgerin Sophie Wenzel in einer Nachricht an Air Berlin. „Ohne Auskünfte wurde der Flug storniert.“ Air Berlin hat zu dem Fall bisher nicht Stellung genommen. Auf Faro saßen offenbar zeitweise Hunderte Reisende wegen verspäteter und annullierter Flüge fest, auf Thessaloniki ereilte Urlauber ein ähnliches Schicksal.

Das ist auch ein Grund, warum Michael Johne und die Familie ihren Urlaub auf Mallorca nicht uneingeschränkt genießen: „Wir wissen ja nicht, ob der Flieger zurück am 8. nicht auch annulliert wird.“ Und dann wird er auch noch um die Erstattung der 1500 Euro kämpfen müssen, die die Ersatzflüge gekostet haben. „Für zehn Leute kurzfristig war das ein Schnäppchen. Air Berlin war aber nicht bereit, uns umzubuchen.“

Bis zu 400 Euro Entschädigung

Die Fluggastrechte sehen bei Annullierung und deshalb verspäteter Ankunft je nach Entfernung bis zu 400 Euro Entschädigung vor. Doch darauf gibt es keinen Anspruch, wenn eine Fluggesellschaft früh informiert oder „außergewöhnliche und unvermeidliche Umstände“ nachweist.

Nach Auskunft von söp-Geschäftsführer Klewe gibt es bisher keine höchstrichterliche Entscheidung, ob auch die Erkrankung von Crewmitgliedern einen außergewöhnlichen Umstand darstellt. „Wie sich das für uns als Schlichtungsstelle darstellt, betrachten die Instanzgerichte die Erkrankung von Mitgliedern der Besatzung als Teil der normalen Ausübung.“

Air Berlin erklärt, bei den „weitreichenden, kurzfristigen Flugausfällen und Verspätungen am 3. udn 4. Oktober wegen der Crewengpässen bei TuiFly habe man schnellstmöglich Maßnahmen in die Wege geleitet, um den Großteil unserer Gäste noch am gleichen Tag an ihr Ziel zu bringen. „Wir bedauern die Unannehmlichkeiten, die unseren Gästen aus den Flugstreichungen und Verspätungen entstanden sind.“

Tuifly-Personal zeigt Gesicht

Die Krankmeldungen bei Tuifly gehen zurück auf die Befürchtungen, die Gesellschaft könnte in eine neue ausländische Dachholding mit Air Berlin-Großaktionär Etihad integriert werden. Betriebsratschefin Karin Grobecker sagte: „Wir sind völlig entsetzt und befürchten massiven Arbeitsplatzabbau.“ Im Raum steht die mögliche Eingliederung in den Betrieb der bisherigen Air-Berlin-Tochter Niki in Österreich. Die Crew-Engpässe seien keine gezielte Aktion. „Aber die Betroffenheit unter dem fliegenden Personal ist groß – dass sich einige da nicht wohl und fit zum Fliegen fühlen, war zu erwarten“, so Grobecker.

Tuifly-Geschäftsführer Jochen Büntgen versicherte am Dienstag in einem Brief, Gerüchte über eine Verlagerung des Sitzes der Gesellschaft seien falsch. „Tuifly ist eine deutsche Gesellschaft, die auch in Zukunft weiter am Standort Hannover operieren wird.“

Viele Mitarbeiter demonstrierten derweil auf eine Art, unter der Reisenden nicht leiden: Sie verbreiten Fotos von sich, in denen sie sich zu der Gesellschaft bekennen: „Ich bin Tuifly und möchte es auch bleiben.“ Auch Mitarbeiter anderer Gesellschaften zeigen sich solidarisch: