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Vor nicht allzu langer Zeit war Sarah Ungar bei Thyssen-Krupp noch „Herr Ungar“. Zehn Jahre im Konzern, davon sieben Jahre lang in einer Führungsposition – und vor wenigen Monaten hat Ungar Vorgesetzten und Kollegen mitgeteilt, dass sie ab sofort als das leben und arbeiten möchte, was sie ist: als Frau.

„Als Betriebswirtin bin ich da ganz strukturiert vorgegangen und habe eine Liste mit Personen aus meinem engsten beruflichen Umfeld erstellt“, erzählt die 35-Jährige. „Zuerst habe ich jene eingeweiht, bei denen mit Unterstützung zu rechnen war. Die schwierigeren Gespräche kamen zum Schluss.“

Wie sag ich’s den Kollegen...?

Ihre Vorgesetzten, die Führungskräfte und einige der weiteren rund 400 Mitarbeiter der beiden Thyssen-Krupp-Gesellschaften, für die sie tätig ist, informierte sie persönlich. Diejenigen, die es nicht direkt von ihr erfahren haben, wurden entweder von den Führungskräften informiert oder haben es auf anderem Wege erfahren. Auch die optischen Veränderungen kamen am Ende, andere Kleidung etwa und neue Visitenkarten.

Sarah Ungar ist bei den Thyssen-Krupp-Konzerntöchtern Uhde Engineering Services und Uhde Inventa-Fischer als Personalleiterin oder Personalverantwortliche tätig. „Wegen meiner Führungsposition bin ich sichtbarer als andere. Das war, was mein Outing angeht, sicherlich ein Hemmnis“, erzählt sie. „Eine Freundin hat mir gesagt: Wenn dein Job nicht wäre, hättest du dich längst geoutet.“

Der Essener Industriekonzern will seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nun beim Outing im Job unterstützen. Die Frage, „sag’ ich’s meinen Kollegen und wenn ja, wie?“, beschäftige schließlich viele Menschen, die lesbisch, schwul, bi- oder transsexuell sind. „Wir sind ein Unternehmen, das die Vielfalt seiner Mitarbeiter schätzt und fördert“, betont Personalvorstand Oliver Burkhard. „Dazu gehört eben auch, dass die sexuelle Orientierung keine Rolle spielt.“ Hinzu komme ein wirtschaftlicher Aspekt: „In einer Zeit des Fachkräftemangels können wir es uns gar nicht leisten, dass Talente uns verlassen, weil sie sich nicht akzeptiert fühlen“, sagt Burkhard. Kürzlich hat sich der Konzern dem Netzwerk „Proutemployer“ angeschlossen. Die Mitgliedskonzerne – darunter die Deutsche Bank, Post und Telekom sowie Adidas, BASF, Bosch, SAP, Siemens und die Commerzbank – verpflichten sich damit gewissermaßen, ein möglichst vorurteilsfreies Arbeitsumfeld zu schaffen. Mitunter sei es längst noch keine Selbstverständlichkeit, sich offen zu seiner sexuellen Orientierung zu bekennen, wird bei Thyssen-Krupp betont. Experten schätzen, dass sich jeder zweite der Betroffenen nicht traue, sich im Job zu outen. Aus Angst vor offener oder versteckter Diskriminierung schweigen die Menschen lieber. Das erzwungene Versteckspiel koste aber viel Energie. Auch Sarah Ungar sagt: „Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt mehr Kraft habe. Und ich weiß, dass ich authentischer und ausgeglichener bin.“

Die Reaktionen auf ihr Coming-out seien „meist neutral bis positiv“ gewesen, berichtet Ungar. Es habe aber auch Kollegen gegeben, die ihren Kontakt danach deutlich einschränkten. „Wer sich outet, sollte nicht mit Jubel rechnen“, sagt die Managerin. Aber sie erwarte zumindest Respekt. Immerhin: „Keiner hat mir ins Gesicht gesagt: Damit komme ich nicht klar.“