Bonn. Fast unhörbar fahren bald 2000 gelbe Lieferwagen durch die Straßen. Das erfolgreichste E-Auto des Jahres baut die Post in Eigenregie.
Die Verkaufszahlen von Elektroautos in Deutschland stagnieren 2016 auf dem Kellerniveau des Vorjahrs, und es ist fraglich, ob die kürzlich ausgelobte staatliche Kaufprämie von 4000 Euro daran viel ändern wird. Deshalb könnte ein kleiner gelber Lieferwagen zu dem am häufigsten zugelassenen E-Mobil des Jahres in Deutschland werden. Dabei gibt es den von der Post in Eigenregie gebauten Streetscooter noch nicht einmal im Handel zu kaufen.
Christoph Jörke hat keinen einfachen Job: 150 Mal am Tag anhalten, Tür öffnen, vom Sitz klettern, den Laderaum öffnen, Briefe und Pakete greifen, zur Haustür bringen, Ladeklappen schließen, wieder auf den Sitz klettern, Motor anlassen, weiterfahren. Das schlaucht nicht nur den 33-jährigen Zustellteamleiter bei der Post, sondern auch sein Fahrzeug, bislang ein T5 von Volkswagen, also ein dieselnder VW Bus in der Transporterausführung. Jetzt fährt Jörke im Rahmen des Post-Pilotprojektes in Bonn einen Streetscooter. Das 4,60 Meter lange Elektrofahrzeug wurde speziell auf die Anforderungen im Stop-and-go-Lieferverkehr zugeschnitten. Eine hohe Ladekante macht das rückenmordende Bücken entbehrlich, die Türen und Klappen sind im Gegensatz zu den krachenden Schiebetüren des T5 federleichtgängig, der völlig ebene Laderaum ein 4,3 Kubikmeter fassender Karton (Nutzlast 650 Kilogramm) ohne irgendeine störende Einbuchtung. Der leise Elektroantrieb schont die Nerven des Fahrers und auch die der Anwohner.
Der Elektroantrieb ist fast wartungsfrei
Nur 20 Kilometer am Tag fährt dieses sogenannte Verbundfahrzeug für die gleichzeitige Auslieferung von Briefen und Paketen – derzeit am Niederrhein, wo der Scooter bereits eingesetzt wird. Für die kurze Strecke genügt eine vergleichsweise kleine und damit kostensparende Lithiumbatterie. Deren Speichervermögen von 21 Kilowattstunden genügt für eine realistische Reichweite von 80 Kilometern, ein 30 Kilowatt (40 PS) schwacher Elektromotor für 80 km/h Spitzengeschwindigkeit bei ausreichendem Spurtvermögen. Weil die Wagen die ganze Nacht auf dem Posthof stehen, wird auf die teurere Schnelllademöglichkeit mit Starkstrom verzichtet.
Entscheidend sind dabei die niedrigen Betriebskosten. Während Verbrennungsmotoren im Ultrakurzstreckenverkehr extrem viel Sprit brauchen und im Eiltempo verschleißen, schadet das Anforderungsprofil dem fast wartungsfreien Elektroantrieb nicht. Kupplung, Auspuff, Getriebe – alles gar nicht erst vorhanden (aber auch kein Radio oder eine Klimaanlage), und die Bremsen werden auch noch geschont. Das rechnet sich enorm auf 16 Jahre Lebensdauer des Streetscooters.
Das leichte Mobil geht auf ein Projekt im Umfeld der Technischen Hochschule in Aachen zurück. Rund 80 eher kleinere Zulieferer der Automobilbranche schlossen sich 2010 zusammen, um nach der Finanzkrise ein bezahlbares Elektroauto auf die Räder zu stellen. 2011 stieg die Post ein. Aus dem ersten Entwurf, dem Stadtauto Smart ähnlich, wurde das Post-Auto entwickelt.
5000 Streetscooter pro Jahr in Serienproduktion geplant
Die ersten Vorserienfahrzeuge wurden nach einer rekordverdächtig kurzen Entwicklungszeit Ende 2013 ausgeliefert. Im Dezember 2014 übernahm die Post die Firma, seit September wird die Serienproduktion hochgefahren. 50 Mitarbeiter sollen bald 20 Streetscooter am Tag und 5000 im Jahr bauen. Der Manufakturbetrieb ist nicht automatisiert, dafür kommen viele einbaufertige Module von den Zulieferern zur Montage nach Aachen. Auf der Nutzfahrzeuge-Automobilausstellung im September wird der große Bruder gezeigt, mit acht Kubikmeter Volumen auch für die reine Paketauslieferung geeignet.
500 Streetscooter fahren bereits, 2016 sollen 2000 in den Verkehr kommen. In Europa gebe es kein vergleichbares Projekt – kein Wunder, die Post-Flotte zählt stolze 30.000 Autos. Weil der Eigenbedarf so hoch ist, sollen erst zum Jahresende Streetscooter für Kommunen, Handwerker und den innerbetrieblichen Verkehr in der Industrie angeboten werden. Bis dahin muss nur noch die Farbpalette erweitert werden.