Essen. . Rentner im Ruhrgebiet sind häufiger als anderswo auf das Sozialamt angewiesen. Und die vielen Langzeitarbeitslosen von heute werden ihnen folgen
Altersarmut in Deutschland könnte d a s Thema des Bundestagswahlkampfs werden. Die Parteichefs Sigmar Gabriel (SPD) und Horst Seehofer (CSU) haben es auf die Agenda gehoben. Zwar versucht sich Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) an einer großen Reform noch vor der Wahl, ob das gelingt, bleibt aber offen.
Parteiübergreifend wird ein dramatischer Anstieg der Altersarmut befürchtet. Das sinkende Rentenniveau und die häufig unterbrochenen Erwerbsbiografien der heutigen Berufstätigen legen dies nahe. Ebenso die absolute Zahl der Bezieher von Grundsicherung im Alter, die seit Jahren steigt. Wenn die Rente nicht für das Nötigste reicht, stockt das Sozialamt sie bis zum Hartz-IV-Niveau auf (siehe Kasten). Ende 2015 erhielten bundesweit gut eine halbe Million Ältere Grundsicherung, in NRW waren es 137 000, darunter 92 000 Frauen.
Weil aufgrund der Demografie gleichzeitig aber auch die Zahl der Über-65-Jährigen wächst, blieb der Anteil der armen Alten bundesweit seit Jahren nahezu konstant, zuletzt lag er bei 3,1 Prozent. Zum Vergleich: Von den Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren lebten in Deutschland zuletzt rund 13 Prozent in Hartz-IV-Familien, die Kinderarmut ist rechnerisch damit ungleich größer als die Altersarmut. Deutlicher sichtbar ist sie aber bereits heute in den Ruhrgebietsstädten. Das zeigt eine exklusiv für diese Zeitung erstellte Statistik der Landesdatenbank IT.NRW.
Darin werden für jede Stadt die Bezieher von Grundsicherung im Alter ins Verhältnis zur Bevölkerung im Rentenalter gesetzt. In der turnusmäßigen Veröffentlichung fehlt diese Prozentangabe für die Kommunen. Nur sie gibt aber Aufschluss über die Verbreitung von Altersarmut in einer Stadt. Für manche überraschend hat die schicke Landeshauptstadt Düsseldorf mit 7,2 Prozent anteilig mehr arme Rentner als jede Ruhrgebietsstadt. Doch auch im Revier sind deutlich mehr ältere Menschen aufs Sozialamt angewiesen als in den ländlicheren Gegenden von NRW.
Die Aufregung darüber hält sich in den Rathäusern noch in Grenzen. Sie wäre womöglich größer, würde nicht der Bund anders als bei anderen Sozialleistungen die Kosten der Grundsicherung im Alter seit 2014 komplett übernehmen. Mit Sorge blicken aber die Sozialdezernenten auf das Problem und seine Tendenz für die Zukunft: Allein die rund 50 000 älteren Arbeitslosen im Revier werden mehrheitlich wohl ebenfalls zum Sozialamt gehen müssen, wenn sie bald ins Rentenalter kommen.
Der Strukturwandel wirkt laut Essens Sozialdezernent Peter Renzel noch immer nach und sei längst nicht beendet. „Die Jobs, die es gibt, passen nicht zu den oft ungelernten Langzeitarbeitslosen. Uns fehlen gewerblich-technische Arbeitsplätze“, sagt er. Er rechnet deshalb mit einem auch künftig steten Anstieg der Altersarmut in seiner Stadt.
Hinzu kommt „die im Ruhrgebiet traditionell niedrige Erwerbstätigkeit von Frauen“, auf die Dortmunds Sozialdezernentin Birgit Zoerner hinweist. Niedrige Einkünfte, Jobpausen und die vor allem bei Frauen verbreitete Teilzeitarbeit erhöhten die Gefahr von Altersarmut.
Warum in Dortmund und Essen mehr Rentner zum Sozialamt gehen müssen als etwa in Herne, kann in den Städten niemand genau sagen. NRW-Sozialminister Rainer Schmeltzer (SPD) zufolge ziehen gerade die großen Städte Menschen mit Problemen an, sie erhofften sich dort Arbeitsplätze, eine bessere Gesundheitsversorgung und günstige Mietwohnungen. Auf dem Land lebten die meisten dagegen im eigenen Haus und häufig in engeren Familienbünden.
Wie SPD-Chef Gabriel fordert Schmeltzer, das Rentenniveau dürfe nicht weiter sinken. Allerdings verfügt jeder vierte Empfänger von Grundsicherung im Alter über gar keine Altersrente, wie eine Auswertung der Deutschen Rentenversicherung für 2014 ergab. Betroffen seien viele Hausfrauen, die nicht auf die erforderlichen fünf Versicherungsjahre kommen, und kleine Selbstständige, die nicht vorgesorgt haben. Das muss bedenklich stimmen hinsichtlich der diskutierten Konzepte zur Vermeidung von Altersarmut. Die geplante Mindestrente etwa mit ihren 35 Beitragsjahren als Voraussetzung wird diese Menschen nicht erreichen.