Arnsberg. . Der Olsberger Unternehmer Ralf Kersting ist Präsident der IHK Arnsberg, steht aber auch dem Dachverband der Industrie- und Handelskammern in NRW vor.

In dieser Eigenschaft macht sich Ralf Kersting Sorgen um die Lage der NRW-Wirtschaft, die nicht mehr wächst und im Bundesländervergleich inzwischen das Schlusslicht bildet.

Herr Kersting, die Zinsen liegen historisch niedrig, die Inflationsrate ist kaum wahrnehmbar, der Ölpreis günstig, die Arbeitslosigkeit in Südwestfalen auf Tiefstand. Für die Unternehmen gute Voraussetzungen, optimistisch zu sein und auf breiter Front zu investieren. Ist das tatsächlich so?

Ralf Kersting: Wir haben derzeit eigentlich gute Bedingungen. Die Unternehmen nutzen diese auch. Das spiegelt sich in unseren Konjunkturumfragen wider. Daneben haben wir in NRW aber ein strukturelles Problem. Das hat jetzt auch die Landesregierung aufgeschreckt durch die neuesten Zahlen, nach denen das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes in NRW bei null liegt - das heißt, im Bundesländervergleich befindet sich NRW an letzter Stelle. Dafür gibt es Gründe.

Welche?

Ralf Kersting: Wir ziehen uns zu sehr zurück auf Faktoren wie etwa die Energiewende. Es fehlt uns in NRW jedoch an einer Idee, wie der Wirtschaftsstandort etwa im Jahr 2030 aussehen soll. Wir als Dachverband der Industrie- und Handelskammern im Land fordern von der Regierung einen Masterplan für NRW, der darlegt, wo wir 2030 stehen wollen, der sich nicht allein auf strukturelle Schwächen, sondern auf Ideen konzentriert, wie wir unser Land wieder nach vorn bringen.

Viele der jüngsten Konjunkturumfragen geben vor allem außenpolitische Rahmenbedingungen wie die Schwäche der Märkte in Russland und China als Gründe für die Investitionszurückhaltung an.

Ralf Kersting: Das trifft die Unternehmen ohne Zweifel, greift aber zu kurz, um das Nullwachstum im Land zu begründen. Hausgemachte Fehler und Probleme kommen dazu. 47 Prozent der bei den jüngsten Konjunkturumfragen befragten Unternehmen in NRW nennen die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen als größtes Risiko für ihr Unternehmen. Und die sind Sache der Politik.

Was meinen Sie konkret?

Ralf Kersting: Die Betriebe schultern immer mehr zusätzliche Lasten, die auch durch die Politik in NRW verursacht werden: die lange Diskussion um den Landesentwicklungsplan, das Landesnaturschutzgesetz, das jede größere Infrastrukturmaßnahme als erheblichen Eingriff wertet, das Landeswassergesetz, die Initiative zum Unternehmens-Strafrecht und jetzt die Hygiene-Ampel - alles Initiativen des Landes und keine Signale, die das Vertrauen in den Standort stärken. Dabei hat NRW gute Voraussetzungen, um als Bundesland eine führende Rolle einzunehmen. Wir müssen nur die Fesseln unendlich vieler Regulierungen und Vorgaben ablegen.

Können Sie weitere Beispiele nennen?

Ralf Kersting: Schiene, Straße, Wasserstraße, der Ausbau des Breitbandnetzes. Wir müssen noch mehr in den Standort NRW investieren. Ein Masterplan für NRW müsste daher klare Aussagen und Mittel für eine Infrastruktur-Offensive enthalten. Auch hier benötigen wir ein Bekenntnis zu dem, was wirklich wichtig ist, und das können wir nicht erkennen.

Ist nicht die Aufnahme genuin südwestfälischer Projekte wie der A45-Sanierung in den Bundesverkehrswegeplan ein Beweis, dass sich doch etwas bewegt im Land?

Ralf Kersting: Die Bundesregierung hat mit der Aufnahme von Landes-Straßenprojekten in den Bundesverkehrswegeplan NRW als große Logistik-Drehscheibe gewürdigt. Und als größtes Stau-Land in Deutschland. Wir werden uns jetzt daran messen lassen müssen, ob wir die Mittel, die wir erhalten, im Rahmen planungsreifer Projekte auf die Straße bekommen. Sonst fließen diese Mittel in andere Bundesländer. Im Übrigen beträgt das Landes-Budget für den Straßenbau derzeit 120 Millionen Euro. Notwendig wäre aber mehr als das Doppelte.

Welche Gründe verhindern, dass es in NRW ausreichend planungsreife Projekte gibt?

Ralf Kersting: In NRW gibt es seit langem eine starke Tendenz, die Notwendigkeit von Infrastruktur- oder Industrieprojekten in Zweifel zu ziehen. Das wirkt sich vor allem in langen und aufwändigen Planungsverfahren aus.

Steht die NRW-Landesregierung also dem Wachstum im Wege?

Ralf Kersting: NRW ist kein schlechterer Standort als andere. Wir machen aber zu wenig aus unseren Möglichkeiten und stehen uns zu häufig selbst im Weg.

Wir brechen Probleme und Schwierigkeiten gern auf Regionen herunter und vergleichen Südwestfalen mit Ostwestfalen-Lippe, dem Ruhrgebiet oder dem Rheinland. Ist das noch zeitgemäß, wenn man will, dass NRW das Schlusslicht im Ländervergleich abgibt?

Ralf Kersting: Um NRW nach vorn zu bringen, brauchen wir einen ganzheitlichen Ansatz. Mit vereinzelten Fördermaßnahmen nach einem Branchen- oder Regionalproporz kommen wir nicht weiter, denn viele Probleme sind nur Regionen übergreifend zu lösen. Das heißt, dass wir es schaffen müssen, einen Ausbildungsplatzsuchenden aus dem Revier jeden Morgen per Bus etwa von Dortmund nach Arnsberg zu bringen, wo es Stellen gibt, und abends zurück. Wir brauchen eine stärkere Vernetzung, wie gesagt, einen ganzheitlichen Ansatz.

Was würde das bedeuten?

Ralf Kersting: Die Regionen müssen dann nicht mehr in Konkurrenz zueinander arbeiten und um Aufmerksamkeit aus Düsseldorf buhlen. Das Brückenproblem auf der A 45 wäre dann nicht mehr ausschließlich das Problem der Region Südwestfalen, sondern das von ganz NRW. Das bedeutet ausdrücklich nicht das Ende des Eintretens für die Belange der Region Südwestfalen, sondern nur eine andere Prioritätensetzung auf solche Maßnahmen, die aus dem Masterplan folgen.

Sollten wir in Südwestfalen nur eine IHK haben?

Ralf Kersting: Auf den ersten Blick mag das politisch Sinn machen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass in einer so großen Region – immerhin 2,5mal so groß wie das Saarland – dann das fehlen würde, was die Stärke der Industrie- und Handelskammern ausmacht: der tagtägliche Service für die vielen Unternehmen vor Ort in der Fläche. Die großen Fragestellungen behandeln die drei Industrie- und Handelskammern stets im Einklang. Darüber hinaus gibt es zahlreiche administrative Aufgaben, die jeweils eine der Kammern für die beiden anderen übernimmt, so dass auch die möglichen Einsparungen eine Fusion derzeit allein nicht rechtfertigen würden. Meiner Antwort können Sie aber entnehmen, dass wir ein solches Szenario mit seinen Vor- und Nachteilen durchaus schon diskutiert haben. Daher, wer weiß, was die Zukunft bringt?