Duisburg/Dinslaken. .
Wenn Detlef Esser in den vergangenen Monaten auf den dicken blauen Aktenordner auf seinem Schreibtisch blickte, ist in ihm oft die Wut aufgestiegen. Und die Angst. Der 64-jährige Rentner hatte sein aktives Arbeitsleben längst hinter sich gelassen, und doch traf ihn die Insolvenz seines ehemaligen Arbeitgebers mit voller Wucht. Esser war 33 Jahre in der Walsumer Papierfabrik, arbeitete sich bis zum Papiermachermeister und Werkführer hoch. Nach seinem Ausscheiden 2003 bezog er eine Betriebsrente. Auch noch, als ein Investor aus Norwegen das Werk übernahm. Doch die Zahlungen blieben mit dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Juni 2015 aus – und Detlef Esser fehlten von heute auf morgen mehr als 50 Prozent seiner Einkünfte. Ähnlich ging es 200 weiteren ehemaligen Mitarbeitern aus dem Werk.
So weit, so normal, wie Dr. Hermann Peter Wohlleben vom Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) bestätigt. „Es geht um die Sicherung der Arbeitsplätze der aktiven Belegschaft“, erklärt er. Wird ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eingereicht, zahlt die Agentur für Arbeit nach Verfahrenseröffnung Insolvenzgeld für die aktive Belegschaft. Maximal für die letzten drei Monate. „Diese Zeit wird genutzt, um Insolvenzmasse zu generieren und Möglichkeiten zum Weiterbetrieb des Unternehmens zu prüfen“, sagt Wohlleben. In der Regel wird nach Ablauf von drei Monaten zügig das Insolvenzverfahren eröffnet. Für die Bezieher von Betriebsrenten springt dann zum Beispiel der PSV ein und sichert die Fortzahlung der Renten.
94 000 Unternehmen lassen aktuell ihre Betriebsrenten durch den PSV absichern. Elf Millionen Arbeitnehmer sind auf diese Weise geschützt. Seit 1975 zahlte der PSV für rund eine Million Bezugsberechtigte die Pensionen. „Daten werden meist zügig an uns übermittelt, wir prüfen die Bezugsberechtigung, und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens setzen wir die Zahlungen schnell wieder in Gang“, so Wohlleben.
Gesetzliche Grundlage dafür ist aber die formelle Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch das Insolvenzgericht. Im Fall von Detlef Esser und Walsum Papier ließ die rund acht Monate auf sich warten – alles andere als üblich. Acht Monate, in denen sich bei Esser die fehlenden Rentenzahlungen auf einen fünfstelligen Betrag summierten. „Ich musste mir viel Geld leihen, um meine laufenden Ausgaben decken zu können. Sonst hätte ich mein Haus verloren“, sagt Esser.
Um zumindest Komplettausfälle auszuschließen, werden die Bezüge rückwirkend für bis zu zwölf Monate gezahlt. „Zunächst sah das Insolvenzrecht nur die rückwirkende Zahlung für sechs Monate vor. Das wurde aber vor einigen Jahren geändert und auf zwölf Monate ausgeweitet“, erklärt Wohlleben, der das deutsche Insolvenzrecht dadurch gut aufgestellt sieht. So lange aber ein Insolvenzverfahren nicht offiziell eröffnet ist, müssen Betriebsrentner ohne die Zahlungen über die Runden kommen. Eine Schwachstelle im Gesetz.
Für Detlef Esser ist die Sache inzwischen gut ausgegangen. Am 15. Februar wurde die Insolvenz der Norske-Skog Walsum Papier offiziell eröffnet, und der PSV sprang für die Zahlungen ein. Abzusehen war das für ihn lange Zeit nicht, weil der Insolvenzverwalter lange Zeit mit Investoren verhandelte und um den Fortbestand des Werkes kämpfte. Eine Insolvenzverschleppungsklage hatte Esser mit seinem Rechtsanwalt bereits vorbereitet, um seine Ansprüche zu wahren. „In solchen Fällen sind wir kleinen Rentner die Leidtragenden solcher Auswüchse der Globalisierung.“