Berlin. Es ist der erste bundesweite Vergleich von insgesamt 391 Sparkassen. Das Resultat: Die Höhe der Dispozinsen variiert teilweise extrem.



Wer sein Konto überzieht, muss Dispozinsen bezahlen. Doch die Höhe dieser Zinsen kann jede Sparkasse anders festlegen. Das führt zu großen Unterschieden. Selbst bei Instituten in unmittelbarer lokaler Nähe. Die Sparkassen sprechen nicht gerne darüber. Für Kunden bedeutet das Nachteile, denn sie können nicht vergleichen.

Eine bundesweite Daten-Erhebung des gemeinnützigen Recherchezentrums „Correctiv“ zeigt jetzt erstmals, wie sehr die Marktintransparenz dem Wettbewerb schadet. Nur bei fünf der 391 untersuchten Sparkassen lagen die Zinsen unter acht Prozent. Insgesamt reichte die Bandbreite von 5,71 Prozent bis 12,75 Prozent. In einer interaktiven Grafik auf correctiv.org sind die Unterschiede deutlich zu erkennen. Im Schnitt wollten die Sparkassen 10,75 Prozent von ihren Kunden für die Nutzung des Dispositionskredites.

Unterschiede zwischen einzelnen Sparkassen sind überraschend groß

Für Kunden war bislang völlig undurchschaubar, ob sie einer Sparkasse mit günstigem oder ungünstigem Zinssatz die Treue hielten. Nun wird deutlich, dass das Schweigekartell der Filialen einen Grund hatte: Denn die Unterschiede zwischen den einzelnen Sparkassen sind überraschend groß.

Einige besonders frappierende Beispiele: Wer am Südrand des Harzes wohnt und sein Konto bei der Kreissparkasse Nordhausen hat, zahlt 12,2 Prozent Dispozinsen. Direkt nebenan bei der Sparkasse Mansfeld-Südharz sind es dagegen nur 8,26 Prozent.

Eine ähnlich große Abweichung findet sich etwa bei der Sparkasse Olpe-Drolshagen-Wenden im Sauerland: Dort werden 11,25 Prozent Dispozinsen berechnet. Nur wenige Kilometer weiter bei der Sparkassen Siegen sind es dagegen nur 8,73 Prozent.

Kunden zahlen an vielen Orten Zinsen weit über dem Mittelwert

Auch die heimlichen Spitzenreiter bei den Kosten für die Kunden fallen im bundesweiten Vergleich auf: Den höchsten Dispozins in Deutschland verlangt etwa die Sparkasse Scheeßel in Niedersachsen mit 12,75 Prozent. Am günstigsten ist die Sparkasse Holstein, nördlich von Lübeck. Dort zahlen liquide Sparer und Neukunden nur 5,71 Prozent Dispozinsen. Für Kunden mit weniger guter Bonität werden allerdings auch dort 8,71 beziehungsweise 12,71 Prozent fällig.

Die Zahlen zeigen: Kunden erhalten völlig andere Zinskonditionen, je nachdem an welche Filiale in welcher Region sie geraten. Nur auf eines können sich die Kunden verlassen: Dass die meisten Sparkassen ihnen stillschweigend Zinssätze zumuten, die deutlich über dem Mittelwert liegen.

CDU sperrt sich gegen Höchstsatz

Verbraucherschützer und Politiker fordern deshalb seit Langem eine Obergrenze für den Dispokredit. „Wir wollen Abzocke vermeiden“, so Peter Knitsch, Staatssekretär im Verbraucherschutzministerium in NRW. Maximal acht Prozent über dem Richtzins – der derzeit sogar negativ ist – dürfe der Dispo liegen, forderten die SPD-geführten Länder im September im Bundesrat. Sie konnten sich aber nicht gegen die CDU durchsetzen. „Einen gesetzlich gedeckelten Zinssatz lehnen wir ab“, sagt Mechthild Heil, Verbraucherschutzbeauftragte der CDU/CSU-Fraktion. Die Wahrscheinlichkeit sei sonst groß, dass die Banken die Dispozinsen bis zur gesetzlichen Obergrenze anheben. Gerichte könnten „im Einzelfall urteilen, ob Wucher vorliegt oder nicht“, meint Heil.

Die Interessen der Banken stünden für die CDU höher als die Interessen der Verbraucher, kritisiert dagegen Dorothea Mohn, Finanzexpertin beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. In der Realität hätten die Verbraucher hier wenig Macht. „Wenn der Markt versagt, muss die Politik eingreifen. Das gilt auch beim Dispozins“, sagt Mohn.

„Eine Dispodeckelung würde eine faire Kalkulation erschweren“, hält der Dachverband der Sparkassen (DSGV) dagegen. Dadurch würden Marktkräfte ignoriert. Die unterschiedlichen Zinssätze zeigen aus Sicht des Verbandes gerade, „dass der Markt funktioniert.“

Durchschnitt bei der Sparkasse liegt bei 10,75 Prozent

Doch unter der zuletzt diskutierten Obergrenze von acht Prozent würden aktuell nur fünf der 391 ausgewerteten Sparkassen liegen. Der Durchschnitt bei den Dispozinsen der Sparkassen liegt bei 10,75 Prozent. Zum Vergleich: Kunden der Commerzbank zahlen ebenfalls 10,75 Prozent und die Deutschen Bank berechnet zwischen 7,95 und 10,95 Prozent. Und die Direktbank ING-Diba berechnet derzeit nur 7,76 Prozent.

„Einfach mehr Spielraum“ – mit diesem Spruch werben die Sparkassen für den Dispokredit. Tatsächlich ist es eine flexible Kreditform. Kurzfristig und ohne lange Beratungsgespräche kommt fast jeder Kunde dank Dispo schnell an Geld. Doch für viele wird das überzogene Girokonto zur Schuldenfalle.

Es gilt: je höher die Bonität, desto höher der Dispokreditrahmen. Dort ist aber noch nicht Schluss. Wie alle Banken dulden die Sparkassen weitere Überziehungen jenseits des Dispos – und langen dann richtig zu. Rund die Hälfte der Sparkassen berechnet einen Überziehungszins. Bis zu 6,5 Prozent kommen dann noch einmal auf den Dispo drauf. Am teuersten wird es für die Kunden der Sparkasse Mittelsachsen: 18,33 Prozent müssen sie für den Überziehungszins berappen.

Mit Dispozinsen verdienen Banken viel Geld

Mit Abstand am fairsten ist die Sparkasse Jena-Saale-Holzland in Thüringen. Das Institut unterscheidet seit 2015 nicht mehr zwischen Dispo- und Überziehungszins – und berechnet beide mit 6,85 Prozent. Wenige Kilometer flussaufwärts liegt die Kreissparkasse Saale-Orla. Hier zahlen Kunden derzeit 11,38 Prozent – fast doppelt so viel wie in Jena. Vorstandschef Helmut Schmidt hat trotzdem keine Angst, dass seine Kunden abwandern: „Die Höhe des Dispos hat keine Signalwirkung“, sagt er. Trotzdem will die Sparkasse demnächst ihre Zinsen auf 9,75 Prozent senken.

Nach Angaben von Dorothea Mohn vom Bundesverband der Verbraucherzentralen rutschen vor allem Kunden ohne hohe Rücklagen in die Dispofalle: „Betroffen sind die, die ohnehin schon am Limit sind.“ Junge Leute ohne Rücklagen, Alleinerziehende oder Geringverdiener – der Dispozins wird am Monatsende ihre teure Notlösung. Für die Banken wird der kostspielige Dispo vermehrt zum Geschäftsmodell. Denn angesichts eines historisch niedrigen Zinsniveaus sind Dispokredite für Banken eine der wenigen Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Bisher gab es keinen Vergleich und keine Transparenz des Marktes. Denn viele Sparkassen veröffentlichen ihren „Preisaushang“ nicht im Internet. In dem Aushang stehen die wichtigsten Konditionen; darunter auch die Dispozinsen. Üblicherweise kann die zentrale Preisliste im Kassenraum einer Sparkasse eingesehen werden.

Geheimniskrämerei zulasten der Kunden wird fortgesetzt

Die Geheimniskrämerei zulasten der Kunden wird von vielen Instituten weiter aufrechterhalten. Etliche Sparkassen weigerten sich auch im Rahmen dieser Erhebung, ihren Preisaushang zu übermitteln. Aus der Stadtsparkasse Grebenstein hieß es etwa, man habe nicht die „zeitlichen Ressourcen“, um zu antworten. Und die Kreissparkasse Waiblingen ließ ausrichten, man gebe „überregionalen Medien generell keine Auskunft“. In Baden-Württemberg verweigerten mehr als die Hälfte der Institute anfangs die Informationen.

Um dennoch für Transparenz zu sorgen, ermunterte das Recherchezentrum „Correctiv“ bundesweit die Bürger zur Mitarbeit. Über Twitter und Facebook wurden sie aufgerufen, die Preisaushänge jener 87 Sparkassen zu fotografieren, deren Zinsniveau in der Datenbank noch fehlte. Aus ganz Deutschland trugen Bürger daraufhin die Preisaushänge zusammen – und plötzlich schickten auch 24 Institute den bis dahin verweigerten Preisaushang. Doch 19 der 410 Sparkassen blieben auf Tauchstation.

Dabei ergab die Erhebung nicht nur große Zinsunterschiede, sondern auch Gemeinsamkeiten: Bei den Guthabenzinsen unterscheiden sich die Sparkassen nämlich kaum. Maximal 0,05 Prozent können ihre Kunden noch bekommen, wie in St. Blasien im Schwarzwald. Ansonsten gibt es für Sparkassenkunden mit Guthaben fast überall den gleichen Zinssatz: null Komma null Prozent.


• Die Daten wurden im Zeitraum von November 2015 bis Februar 2016 vom gemeinnützigen Recherchezentrum
correctiv.org
und der FAZ erfasst. Die Redaktion finanziert sich über Mitgliedsbeiträge und Spenden. Correctiv.org gibt seine Recherchen grundsätzlich kostenlos an andere Medien ab, ist unabhängig und nicht-gewinnorientiert.