Miami/Hamburg. „Tiffany’s“-Filiale, Rutschen über zehn Decks, Laser-Sternenhimmel: Superlative auf Kreuzfahrtschiffen sind noch lange nicht vorbei.
Vor Weihnachten sind die Kreuzfahrtgäste auf dem zentralen Einkaufsboulevard der „Oasis of the Seas“ noch an einem mit Geschenken beladenen Oldtimer vorbeigeschlendert, es gab einen drei Meter hohen Tannenbaum und Leuchtsterne. Und wer wollte, konnte auf einem anderen der 18 Decks die Schlittschuhbahn besuchen. Eine skurrile Szenerie, hier in Florida, bei Außentemperaturen von 30 Grad und einer Luftfeuchtigkeit, die jeden Aufenthalt außerhalb klimatisierter Räume in ein Dampfbad verwandelt.
Wirklich verlassen müssen die Kreuzfahrtgäste ihre glitzernde Scheinwelt aber nicht. Das Schiff der Reederei Royal Caribbean gilt zusammen mit der Schwester „Allure of the Seas“ als das größte seiner Art. Es ist eine Kleinstadt auf hoher See mit 6000 Passagieren. Hinzu kommen 2500 Mann Besatzung.
Ein Schiff mit 2000 Außen-Balkonen
Ein Rundgang zeigt, in welchen Dimensionen sich die internationale Kreuzfahrtbranche mittlerweile bewegt. Angesichts des weltweiten Booms in diesem Sektor investieren vor allem die großen US-Reedereien in immer neue Massenfrachter, die Tausende Passagiere gleichzeitig über die Weltmeere schippern. Allein 2016 werden elf zusätzliche Schiffe in Dienst gestellt, darunter auch das Nachfolgemodell der „Oasis“, die „Harmony“, die noch mal einen Tick größer ist und maximal fast 6500 Passagiere befördern kann.
Wie groß schon die 2009 in Dienst gestellte „Oasis“ ist, zeigt sich an ein paar Details. Das Schiff verfügt nicht nur über fast 2000 Balkone an der Außenseite, es gibt auch Balkone, die sich zur Innenseite öffnen. Die Gäste blicken dann nicht aufs Meer, sondern auf einen künstlichen Park mit tropischen Pflanzen, das Vogelgezwitscher kommt vom Band. Besonders betuchte Kundinnen können im sogenannten Central Park bei Tiffany’s sündhaft teure Diamantringe erstehen. Auf dem Schiff befindet sich die erste schwimmende Filiale der Juwelierkette überhaupt. Die größten Kabinen erstrecken sich über zwei Etagen und wirken wie kleine Maisonettewohnungen – oben das Doppelbett, unten Wohn- und Badezimmer.
Roboter mixen Cocktails, eine Rutsche führt über zehn Decks
Kapitän Trym Selvag dürfte einer der wenigen Männer in der Seefahrt sein, der nicht mehr von der einen Nock seiner Brücke bis zur anderen sehen kann, dafür ist die „Oasis“ mit ihren mehr als 60 Metern schlicht zu breit. Wenig störend, es gibt genügend Technik, die ihm das Manövrieren des Vergnügungsdampfers erleichtert. Der gebürtige Norweger dürfte auch der Einzige sein, auf dessen Brücke eine Sitzgruppe mit bequemen, goldfarbenen Sesseln steht, um Besucher willkommen zu heißen.
Selvag wird die „Oasis“ bald durch die westliche Karibik steuern, zu einer Halbinsel namens Labadee, die zu Haiti gehört, die Royal Caribbean aber exklusiv zum Baden gepachtet hat. Von dort geht es weiter nach Jamaika und Cozumel in Mexiko. Wirklich wichtig ist das nicht, denn die wahre Attraktion einer Kreuzfahrt dieser Art sind nicht die besuchten Länder, es ist das Schiff selbst.
Der Mann, der für die Größenrekorde in der Kreuzschifffahrt verantwortlich ist, heißt Adam M. Goldstein, ein Manager mit schmalem Gesicht und fast asketischer Erscheinung, der seine Abschlüsse auf den US-Eliteuniversitäten Princeton und Harvard erworben hat. Der Präsident und Chief Operating Officer von Royal Caribbean empfängt seine Gäste in einem Konferenzraum mit Blick auf den Hafen von Miami, in dem 2015 fast fünf Millionen Kreuzfahrtbucher abgefertigt wurden. 2020 sollen es sieben Millionen sein.
„Ich glaube nicht, dass wir das Limit bei der Größe der Kreuzfahrtschiffe schon erreicht haben“, sagt Goldstein. Vielleicht werde es eine kleine Pause geben, aber er selbst könne sich durchaus noch größere Modelle als die „Oasis“ oder „Harmony“ vorstellen. Für den Royal-Caribbean-Chef hat Größe vor allem mit der Vielfalt des Angebots zu tun. „Wir wollen unseren Passagieren eine möglichst umfangreiche Auswahl an Aktivitäten bieten“, sagt er. Auf der „Harmony“, die derzeit auf der Werft STX im französischen Saint-Nazaire entsteht, wird etwa eine Rutsche über zehn Decks installiert. An einer Bionic Bar werden Roboter Cocktails mixen. Im bordeigenen Theater werden sie ein Ballett aufführen.
Künstliche Crewmitglieder sollen von 2016 an auch auf den Schiffen des größten Konkurrenten von Royal Caribbean, der Carnival-Gruppe, arbeiten. Sie sollen Passagieren bei der Orientierung an Bord und beim Einchecken behilflich sein. Alle Aida- und Costa-Schiffe, die zu Carnival gehören, werden schrittweise mit den mechanischen Stewards ausgerüstet. Man möchte technologisch nicht hinter dem Konkurrenten zurückstehen.
Wirklich nötig hat Carnival solche Muskelspiele nicht. Konzernchef Arnold Donald, der ebenfalls in Miami sitzt, strahlt das Selbstbewusstsein eines Weltmarktführers aus. Breites Lächeln, joviale Art, kräftiger Händedruck. Der 60-Jährige ist der erste Afroamerikaner auf dem Posten, eine Ausnahmeerscheinung in der Branche. Konkurrent Royal Caribbean mag die Schiffe mit den meisten Betten und den neuesten Innovationen haben, doch die Flotte von Carnival ist mit fast 100 Schiffen deutlich größer. Nicht nur die Aida- und Costa-Schiffe gehören dazu, sondern auch die Marken Seabourn, P&O Cruises, Princess und Cunard (Queen Mary 2). Der Marktanteil liegt bei 50 Prozent. Der Konzern hat 120.000 Beschäftigte.
18 neue Schiffe hat Carnival geordert. Man hätte gern mehr bestellt, aber auf den Werften der Welt sind nicht mehr Kapazitäten frei. Im Augenblick wird gerade die „AIDAprima“ in Nagasaki bei Mitsubishi Heavy Industries ausgerüstet, die vom April an von Hamburg aus wöchentlich zu den Metropolen Westeuropas schippert.
Spritsparend dank neuer Luftbläschen-Antriebstechnik
Wegen der eher schwierigen Wetterbedingungen haben die Designer vor allem darauf geachtet, dass auch bei Regen und im Winter Sommerfeeling aufkommt. Deshalb erhält der schiffseigene „Beach Club“ ein UV-durchlässiges Foliendach, auf das sich am Abend bei Bedarf auch ein Sternenhimmel und Lasershows projizieren lassen. Eine Schlittschuhbahn und einen Klettergarten gibt es ebenfalls.
Mehr als solche technischen Spielereien hebt man bei der Muttergesellschaft Carnival die neue Antriebstechnologie der „AIDAprima“ hervor. Ein von Mitsubishi entwickeltes Verfahren soll das Schiff auf einem Teppich aus Luftbläschen gleiten lassen, was den Treibstoffverbrauch verringert. Erstmals kommen auch Hybridmotoren zum Einsatz, die nicht nur mit Schiffsdiesel, sondern auch mit dem weniger umweltschädlichen Flüssiggas (LNG) betrieben werden können.
Für Carnival-Chef Donald ist LNG der Treibstoff der Zukunft. Er könne sich durchaus vorstellen, künftig alle neuen Schiffe mit Flüssiggas zu betreiben, sagt der mächtigste Mann der weltweiten Kreuzfahrtindustrie. Vier weitere Aida- und Costa-Schiffe, die der Konzern auf der Papenburger Meyer Werft und bei Meyer Turku in Finnland geordert hat, werden ausschließlich über einen LNG-Antrieb verfügen. Mit 6600 Passagieren werden die Costa-Schiffe der sogenannten Helios-Klasse, die 2019 und 2020 ausgeliefert werden, noch größer als die im Bau befindlichen neuen Modelle des Konkurrenten Royal Caribbean.
Das große Problem bei Flüssiggas allerdings ist die Verfügbarkeit in den Häfen der Welt. Mit Hochdruck ist Carnival derzeit dabei, entsprechende Vereinbarungen mit europäischen und amerikanischen Ports zu treffen. Dass die LNG-Technologie zuerst bei den deutschen Aida-Schiffen zum Einsatz kommt, ist kein Zufall. Die deutschen Passagiere gelten als besonders umweltbewusst, in den USA spielen solche Erwägungen eine kleinere Rolle. Weltweit ist der deutsche Kreuzfahrtmarkt der zweitgrößte.
Die größten Wachstumsraten erwarten alle Konzerne allerdings in China. Carnival hat Ende Oktober ein Gemeinschaftsunternehmen mit der staatlichen China State Shipbuilding Corporation gegründet, um eine nationale Kreuzfahrtmarke im Reich der Mitte aufzubauen. Die Tochter Aida wird 2017 ein Schiff ausschließlich für diesen Markt in Betrieb nehmen – mit Restaurants und Unterhaltungseinrichtungen, die speziell auf den chinesischen Geschmack zugeschnitten sind.
Das Milliardenvolk ist gerade erst dabei, den Urlaub auf dem Meer für sich zu entdecken. Der Wettlauf um die neue Zielgruppe hat begonnen.