Bethlehem . Jeder dritte Mensch in Jesus Geburtsstadt lebt vom Tourismus. Doch wegen der Terrorgefahr im Nahen Osten sinkt die Zahl der Besucher.
Vom Fenster aus sieht man über die Altstadt, die Judäische Wüste und bis hin zu den jordanischen Bergen hinter dem Toten Meer – der Ausblick an diesem kalten Wintertag ist herrlich. Wenn bloß die wirtschaftlichen Aussichten annähernd so freundlich sein könnten. An der Wand hinter dem Schreibtisch von der palästinensischen Tourismusministerin Rula Maayah hängen die obligatorischen Porträts von Jassir Arafat und Mahmud Abbas, daneben ein Banner mit dem Festtagsmotto in diesem Jahr: „All I want for Christmas is justice“ – alles, was ich will, ist Gerechtigkeit.
In dem Ort, wo Jesus geboren wurde, ist Weihnachten auch immer politisch. Doch vor allem ist es wirtschaftlich wichtig, denn Bethlehem lebt vom Tourismus. „5000 Menschen sind in dem Gewerbe beschäftigt“, sagt Rula Maayah. Die Existenz eines Drittels der 30.000 Einwohner hängt davon ab. Gleich dreimal wird hier Weihnachten gefeiert. Nach den evangelischen und katholischen Christen am 24. Dezember sind die griechisch-orthodoxen am 7. Januar dran, die Armenier kommen am 18. Januar.
Angespannte Sicherheitslage führt zu vielen Stornierungen
Wie viele Gäste in der Stadt erwartet werden, will man im Ministerium nicht verraten. Aber schon jetzt ist klar, dass es in diesem Jahr deutlich weniger als die vier Millionen Besucher sein werden, die im gesamten Vorjahr noch rund 420 Millionen Euro in Bethlehem ausgegeben haben.
Als Christin gehört Rula Maayah, die auch Mitglied der Fatah-Partei von Palästinenserführer Mahmud Abbas ist, zu einer Minderheit. Noch 1947 glaubten rund 80 Prozent der Bethlehemer an Jesus, heute sind es nur noch 15 Prozent in Stadt und Umgebung. Doch die Islamisierung ist nicht der Hauptgrund für den Abschwung. Weit schädlicher für den Pilgertourismus, der vier Fünftel aller Reisen in die palästinensischen Gebiete ausmacht, ist die angespannte Sicherheitslage. Seit Anfang Oktober wird das Heilige Land von einer Terrorwelle erschüttert, die manche Experten schon als Dritte Intifada bezeichnet haben.
Verzicht auf festliche Weihnachtsbeleuchtung
Immer wieder kommt es auch in den Bethlehemer Flüchtlingslagern und auf der Zufahrtsstraße zu Ausschreitungen. Wer in diesen Tagen von Jerusalem kommend den Checkpoint an Rachels Grab überquert, wird von einer Flotte leerer Taxis begrüßt. „Mister, I show you Banksy“, ruft Khalid, der den Reporter in die Stadt kutschiert. Auf die festliche Weihnachtsbeleuchtung hat die Stadt in diesem Jahr weitgehend verzichtet. Stattdessen will der Fahrer nun das Werk eines britischen Straßenkünstlers präsentieren, das auf der acht Meter hohen Betonmauer zwischen Israel und dem Westjordanland prangt. Katastrophentourismus statt Besinnlichkeit.
Noch im vergangenen Jahr kamen alleine an Heiligabend 15.000 Menschen in die Stadt. Die Vorbereitungen auf die Heilige Messe, die in der Katharinenkirche neben der Geburtskirche stattfindet, beginnen Anfang des Monats. „Wir haben auch in diesem Jahr kein Problem, die Kirche zu füllen“, sagt Franziskanerbruder Ricardo. Bereits vor zwei Wochen hatte das Organisationsbüro 3000 Anfragen für 800 Karten erhalten. Doch ein einziger erfolgreicher Geschäftsabend reicht nicht, um die schlechte Bilanz des ganzen Jahres auszugleichen.
Flaute im Mativity Store neben der Geburtskirche
Während auf dem Krippenplatz vor der Geburtskirche die 15 Meter hohe Plastiktanne in der Sonne funkelt, palästinensische Flaggen durch Lichterketten ersetzt werden und sich Sicherheitsleute vor dem Krippenspiel mit ihren Handys fotografieren, herrscht im Nativity Store neben der Geburtskirche Flaute. „Dieses Jahr spüren wir Weihnachten gar nicht“, klagt der 34-jährige Rony Tabash, der den Laden in dritter Generation führt. Er sagt: „2013 haben wir doppelt so viele Kunden gehabt.“ Sein Großvater Epiphanios hatte das Geschäft mit dem Verkauf von Perlmutt 1927 begründet. Heute vertreiben Rony und sein Vater Victor auch Rosenkränze, Kühlschrankmagneten, Seife aus Nablus und vor allem Olivenholzschnitzereien in allen Größen.
In Beit Sahour, einem christlichen Vorort, sind 135 Werkstätten mit deren Herstellung beschäftigt; auch sie leiden unter der schlechten Wirtschaftslage. Händler Ahmed Kheir, der das Geschäft von Rony Tabash beliefert, sagt: „Letztes Jahr hatten wir um diese Zeit das Dreifache verkauft.“ Als Toni Anastas im Sommer das „Saint Michael Hotel“ in der Altstadt übernahm, rechnete er noch fest mit einem guten Weihnachtsgeschäft. Doch dann begann im Oktober die Terrorwelle. „Bisher haben wir erst 20 Prozent Buchungen für Weihnachten“, sagt er, „80 Prozent haben storniert. Rumänen, Indonesier, Italiener, einfach alle.“
„Viele Hotels versuchen es mit Dumpingpreisen“
Mit 120 Dollar für ein Doppelzimmer gehört Anastas’ Herberge zur teuren Kategorie in Bethlehem. „Aber viele der 50 Hotels versuchen es längst schon mit Dumpingpreisen“, sagt Raed Saadeh, Vorsitzender der Palästinensischen Hotelgesellschaft: „In einem Dreisternehotel kann man schon für 30 Dollar im Doppelzimmer mit Halbpension übernachten. Das ist ruinös.“
Saadehs eigenes Hotel liegt in Ost-Jerusalem; auch auf dieser Seite der Mauer ist der Pilgertourismus wichtig. 197 Euro geben die religiösen Besucher in Israel täglich im Durchschnitt aus – 38 Euro mehr als die säkularen. An Ostern etwa würden Händler und Hoteliers davon auch in Tiberias oder Jerusalem profitieren, sagt Saadeh. In Nazareth gebe es auch einen Weihnachtsmarkt und einen Umzug. „Aber Jesus wurde nun mal nur in Bethlehem geboren“, sagt der Hotelier.
Um den Pilgern zumindest an Heiligabend weniger Schwierigkeiten zu bereiten, will die israelische Regierung wie jedes Jahr den Checkpoint öffnen. Ein bisschen Normalität also. Zur Feier des Tages.