Berlin. Ein amerikanisches Magazin hat drei deutsche Start-ups zu den neuen Sternen am Wirtschaftshimmel erkoren. Mit dabei: eine Berliner Firma.
Wo in den Firmenzentralen der großen DAX-Unternehmen ausladende Sofas in kühlen Marmor-Lobbys stehen, sitzen Besucher und Mitarbeiter bei Foodpanda auf bunten Würfelkissen. Zwar ist ein Empfang ausgeschildert, doch Hilfe bekommt man am schnellsten in der Küche. Dort lagern nicht nur kühle Mate-Limonade und Vitamin-versetztes Wasser, an der Türe hängen Dutzende Polaroid-Fotos des Teams. Der Mitarbeiter des Monats wird nicht im Holzrahmen, sondern im hippen Retro-Look verewigt. Geschätzte eine Milliarde US-Dollar Unternehmenswert sehen hier nach einem ironischen Augenzwinkern in Richtung „Old Economy“ aus.
Das amerikanische Wirtschaftsmagazin “Business Insider” hat elf europäische Start-ups zu den nächsten „Unicorns“ (deutsch: Einhörner) gekürt. Als Einhörner bezeichnet man in der digitalen Wirtschaft Unternehmen, die es zu einem Firmenwert über eine Milliarde US-Dollar gebracht haben. Foodpanda verdient sein Geld mit Essenslieferungen auf den Straßen der indischen Megacity Mumbai, in den Gassen russischer Metropolen und im Getümmel von Singapur, wo der Dienst 2012 startete. Das Unternehmen mit Sitz in Berlin ist ausschließlich in 40 Schwellenländern aktiv. Es stellt Restaurants eine Software für Bestellungen, die Abrechnung und den Kontakt mit den Boten zur Verfügung. Dafür verlangt die Firma eine Gebühr.
Neben dem Lieferdienst Foodpanda listete der Business Insider auch den Musik-Streaming-Dienst Soundcloud sowie den Rezept- und Zutatenlieferanten Hello Fresh auf. Mit Hello Fresh haben das Magazin und Analysten der Investment-Bank GP Bullhound Recht behalten. Seit der Prognose Mitte Juli dieses Jahres hat Hello Fresh weitere 75 Millionen Dollar von Investoren eingesammelt und wird nun mit 2,6 Milliarden US-Dollar bewertet.
Das Verhältnis zwischen Kunde und Produzent verschiebt sich
Fast allen Start-ups gemein ist, dass sie auf so genannten zweiseitigen Märkten agieren. Sie stellen nicht nur ein Produkt bereit und verkaufen es an den Kunden, sie definieren das Verhältnis von Kunde und Produzent neu. Soundcloud etwa verlangt nicht vom Hörer Geld dafür, dass er Musik konsumiert, sondern lässt die Künstler und Plattenfirmen für das Ausspielen der Musik bezahlen. Hello Fresh versendet Kochzutaten mit passenden Rezepten und nimmt dem Kunden dabei die Suche in Kochbüchern ab.
Anders als Soundcloud, das seinen Service weltweit bereitstellt und Hello Fresh, die ihren Dienst in westlichen Industrienationen anbieten, konzentriert sich Foodpanda auf Schwellenländer. „Ich selbst bin Informatiker und habe mich immer viel mit dem Internet und der Internettechnologie beschäftigt“, sagt Firmengründer Ralf Wenzel im Gespräch mit unserer Redaktion. Zwar seien manche Schwellenländer aus Sicht der Informatikers in einzelnen Belangen auf dem Stand Deutschlands vor etwa 15 Jahren, „dort findet aber die Internet- und besonders die mobile Revolution wesentlich rasanter statt”, sagt Wenzel. Gleichzeitig habe ihn gereizt, dass gerade in asiatischen Ländern Essenslieferung einen großen Teil der Essenskultur ausmachen. „In Berlin gibt es zahlreiche Restaurants an tollen Straßen, in Mumbai gibt es teilweise nicht mal Bürgersteige. Da kann man nicht flanieren und sich etwas aussuchen“, sagt Wenzel.
Foodpanda erklärt in Asien das Internet
Er will auf diesen Märkten nicht nur Essen ausliefern, sondern als Internetentwickler Vorreiter sein. Der Plan scheint zu sein: Wenn eine Generation von 15- bis 35-jährigen Asiaten den ersten Kauf im Internet tätigt, soll dies eine Essensbestellung über Foodpanda sein und nicht etwa ein paar Schuhe aus dem Sortiment der etablierten Versandhäuser.
Bis dahin sind aber noch einige Probleme auszuräumen. Medien in Indien hatten etwa über einen Fall aus dem Jahr 2014 berichtet, bei dem Kunden sich mehrfach Gutscheine erschlichen hatten und damit kostenlos Essen bestellen konnten. Mehrere Mitarbeiter einer Firma hatten demnach wiederholt bei einem geschlossenen Restaurant bestellt. Foodpanda wusste dies nicht und hat einen technischen Fehler vermutet und deshalb stets Gutscheine ausgegeben. Solche Fehler sollen in Zukunft Mitarbeiter vor Ort und ein umfassendes Logistiksystem ausschließen. Die Software verbindet Kunden, Restaurants und Fahrer miteinander.
Ralf Wenzel spricht in neon-orangen Laufschuhen über Ideen, Innovationen. In einer Ecke des Büros lehnt sein Sportrad an der Wand. Wenzel spricht auch über die Zukunft von Foodpanda, in der sein Fahrrad wohl bleibt, die Auslieferung in den Schwellenländern aber vom Zweirad auf die Drohne wechseln könnte. Zudem denkt das Unternehmen an weitere Liefermöglichkeiten. In der Branche wird beispielsweise spekuliert, ob nicht mit der Essensbestellung gleichzeitig Einkäufe aus dem Supermarkt zu transportieren sind. Beobachter glauben zudem, dass frei verkäufliche Medikamente wie Aspirin demnächst von den Essenslieferanten zugestellt werden könnten.
Wie kommt es zu den hohen Firmenbewertungen?
So innovativ die Dienste von Foodpanda auch sind, der Firmenwert lässt sich anhand von Ideen nur schwer festmachen. Eva Lutz ist Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und forscht auch zu Start-up-Unternehmen. Eine Bewertung von vielen Start-ups sei nur schwer möglich: „Selbst Venture-Capitalisen schaffen es nur sehr selten”, sagt Lutz. Einige Investorengruppen würden mittlerweile sogar offen damit werben, dass sie auf einige erfolgreiche Unternehmen nicht gesetzt hätten.
Neben der Tatsache, dass viele Start-ups keine klassischen Produktionsgüter vorweisen können, sind sie – wie der Name schon sagt – meist in einer frühen Phase des Unternehmertums stecken. So liegen noch keine Bilanzen aus vergangenen Jahren vor. „Man kann also nur den Gewinn der kommenden Jahre anhand des aktuellen Umsatzes schätzen oder aber vergleichend auf ähnliche Unternehmen schauen, deren Wert bereits bekannt ist”, sagt Lutz.
Aus Datenabfall wird kein glänzendes Gutachten
Eine dritte Möglichkeit wäre es, zu analysieren, wie Investoren auf das Unternehmen reagieren. Vor allem die erste Berechnungsvariante werde laut Lutz „despektierlich auch als „garbage in, garbage out“ (deutsch: Müll kommt rein, Müll auch wieder raus) bezeichnet. Wenn man keine verlässliche Grundlage habe, könne auch kein verwendbares Ergebnis herauskommen.
Dennoch werden hohe Bewertungen von Start-ups immer wieder medienwirksam präsentiert. „Wenn es um „Unicorns“ geht, hat man schon den Eindruck, dass hohe Bewertungen als Marketinginstrument genutzt werden“, sagt Wissenschaftlerin Lutz.
Standort Berlin als Wettbewerbsvorteil
„Wir beschäftigen uns nicht damit, welcher Wert uns zugesprochen sind oder welche Zahl dahinter steht“, sagt Ralf Wenzel. „Uns ist es wichtig, technologischen Fortschritt in die Schwellenländer zu bringen, Begeisterung bei Endkunden auszulösen und neue Ideen voranbringen.“ Den Fortschritt in den Schwellenländern treibt das Unternehmen vor allem von Berlin aus voran. Hier ist der Hauptsitz des Start-ups. Doch die Sprache im Büro ist ein Englisch, das Einflüsse aus allen Teilen der Welt vereint.
Informatiker und andere Fachkräfte sind in Deutschland Mangelware. Nach Informationen der „Berliner Morgenpost“ arbeiten mittlerweile 30 Prozent aller Erwerbstätigen Berliner in so genannten Zukunftsbranchen. Dazu zählen vor allem Internetunternehmen und Start-ups. Um internationale Bewerber ans Unternehmen zu binden, werben die Start-ups mit gemeinsamen Team-Events, Vergünstigungen in Fitness-Studios oder Talent-Wettbewerben.
Eine unerreichte Werbebotschaft ist allerdings die begehrte Bewertung mit über einer Milliarde US-Dollar.