Essen. . Die Wirtschaft an Rhein und Ruhr klagt über bürokratische Hürden, wenn es darum geht, Arbeitsplätze für Flüchtlinge zu finden.

Bevor ein Unternehmen ei­nen Flüchtling beschäftigen darf, muss es einige Hürden nehmen. Wer als Flüchtling nach Deutschland kommt, darf zunächst drei Monate überhaupt nicht arbeiten. Danach ist in aller Regel eine sogenannte Vorrangprüfung durch die Agentur für Arbeit erforderlich. Dabei wird ermittelt, ob sich nicht auch ein geeigneter Bewerber mit deutschem oder EU-Pass für eine Stelle findet. Erst nach 15 Monaten Aufenthalt in Deutschland fällt diese Prüfung weg.

Die Politik in Deutschland diskutiert derzeit, die Vorrangprüfung zeitlich zu reduzieren oder abzuschaffen. Jörg A. Linden von der Industrie- und Handelskammer Mittleres Ruhrgebiet in Bochum gibt zu bedenken, kaum ein Unternehmer werde jemanden einstellen oder in Ausbildung nehmen, von dem er nicht wisse, ob das Asylverfahren erfolgreich abgeschlossen werden könne: „Wenn es nicht erfolgreich abgeschlossen wird, ist der Mitarbeiter oder Auszubildende nämlich wieder weg.“ Auch Martina Behrens von der Niederrheinischen IHK betont: „Der gesicherte Aufenthaltsstatus ist Grundvoraussetzung, damit ein Unternehmen überhaupt mit einer Arbeitskraft planen kann.“

Wolfgang Schmitz, Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbandsgruppe in Duisburg, spricht von „vielen bürokratischen Hürden“, die es etwa bei der Vermittlung von Ausbildungsplätzen gebe. „Die Unternehmen brauchen vor allem Gewissheit darüber, ob ein Flüchtling, den sie beschäftigen, langfristig in Deutschland bleiben wird“, fordert Schmitz. Er gehe davon aus, dass die Betriebe dann auch zunehmend in die Ausbildung von Flüchtlingen investieren.

Martina Behrens spricht sich für „zügige und unbürokratische Schritte“ aus: „Wir benötigen zum Beispiel eine Drei-plus-zwei-Regegelung – das heißt, ein Flüchtling bekommt einen eigenen Aufenthaltstitel für die komplette Ausbildungszeit von in der Regel drei Jahren und eine anschließende Beschäftigung von mindestens zwei Jahren. So erhalten Betriebe und junge Flüchtlinge Sicherheit.“

Skeptischer äußert sich Ulrich Kanders vom Essener Unternehmensverband (EUV). Die von der Bundesagentur für Arbeit vorgeschlagene Aussetzung der Vorrangprüfung für zwei Jahre sei zwar hilfreich für eine schnellere Integration von Asylsuchenden in den Arbeitsmarkt. „Allerdings dürfen die Erwartungen nicht zu hoch aufgehängt werden“, sagt Kanders. „Durch eine entfallende Vorrangprüfung erhalten die Asylbewerber nicht automatisch die nötigen Sprachkenntnisse und Qualifikationen, die oftmals die eigentliche Hürde für eine rasche Beschäftigungsaufnahme sind.“ Zugleich sehe er das Risiko, dass ein Ungleichgewicht bei der Arbeitsvermittlung entstehe: „Eine grundsätzliche Verlagerung unseres Fokus ausschließlich auf Asylsuchende birgt die Gefahr, dass wir unsere nach wie vor vorhandenen Problemfälle wie zum Beispiel Langzeitarbeitslose aus den Augen verlieren.“

„Zu wenige Kinder in Deutschland“

Dass die Flüchtlinge die deutschen Arbeitskräfte verdrängen, sei nicht zu befürchten, urteilt indes Wolfgang Schmitz. Er verweist auf Prognosen, denen zufolge allein in NRW bis zum Jahr 2020 zwischen 600 000 und 700 000 Fachkräfte fehlen. „Wenn uns die Integration und Qualifizierung der Flüchtlinge gelingt, werden wir alle profitieren“, betont Schmitz. „Wir dürfen bei allen aktuellen Herausforderungen nicht vergessen, dass wir in Deutschland zu wenige Kinder und zu wenig Nachwuchs haben, um unseren Wohlstand langfristig zu sichern.“