Berlin. Fast neun Monate gilt der Mindestlohn - die Arbeitgeber sehen die Wirkungen kritisch. Und die Linke kritisiert, zur Bewältigung der Flüchtlingskrise würden Abstriche bei den Kontrollen gemacht.
Ein Dreivierteljahr nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland haben die Arbeitgeber eine negative Bilanz gezogen. "So ist die Zahl der Minijobs seit Inkrafttreten des Mindestlohns um über 120.000 gesunken", sagte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer unmittelbar vor einer großen DGB-Veranstaltung zum Thema in Berlin. An diesem Dienstag geht der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in Berlin der Frage nach, ob der seit Januar geltende Mindestlohn von 8,50 Euro überall angekommen ist.
Kramer sagte, es lasse sich nicht belegen, dass die entfallenen Minijobs in reguläre Arbeitsplätze umgewandelt wurden. Die Beschäftigung sei seit Jahresbeginn nur wenig stärker gewachsen als in den Jahren zuvor. "Vielmehr ist zu befürchten, dass zahlreiche Arbeitsplätze verlorengegangen sind." Der Mindestlohn wirke sich bei denen negativ aus, die auf zusätzliche Tätigkeit angewiesen seien.
Dokumentationspflicht nur gelockert
Weitere negative Auswirkungen des Mindestlohns auf die Beschäftigung seien zu erwarten, auch wenn Probleme am Arbeitsmarkt derzeit durch die gute Konjunkturlage mit niedrigem Ölpreis, niedrigem Eurokurs und niedrigen Zinsen überdeckt würden, sagte Kramer.
Trotz Nachbesserung kritisierte Kramer die Regeln zur Aufzeichnungen der Arbeitszeiten. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte die umstrittenen Dokumentationspflichten zur Jahresmitte gelockert. Komplett entfiel die Gehaltsschwelle von 2958 Euro nicht. Danach sind die Arbeitszeiten in neun für Schwarzarbeit anfälligen Branchen aufzuzeichnen. Bei längeren Arbeitsverhältnissen müssen Arbeitgeber die Arbeitszeit aber nicht mehr aufzeichnen, wenn der regelmäßige Lohn 2000 Euro brutto übersteigt und die letzten zwölf Monate auch tatsächlich bezahlt wurde.
Leiden unter bürokratischen Auflagen
Kramer forderte: "Es wäre für alle Beteiligten viel einfacher, die Aufzeichnungspflichten bei einem Stundenverdienst von mehr als zehn Euro enden zu lassen." Bei Minijobs sollte die Aufzeichnung der Dauer der wöchentlichen statt täglichen Arbeitszeit genügen.
Der Chef des Parlamentskreises Mittelstand der Unionsfraktion, Christian von Stetten (CDU), sagte, dass es weiter viele Beschwerden der Firmen gebe. Viele Unternehmen und Vereine würden unter bürokratischen Auflagen leiden. "Ohne eine Gesetzesänderung werden wir die Probleme beim Mindestlohn nicht beseitigen können." Bewege Nahles sich hier nicht, werde der Parlamentskreis Mittelstand die Probleme im Oktober in der CDU/CSU-Fraktion thematisieren.
Zoll muss sich auch noch um Flüchtlingsfrage kümmern
Linke-Fraktionsvize Klaus Ernst warf der Bundesregierung vor, die Kontrolle des Mindestlohns vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise schleifen zu lassen. "Das ist wie eine Einladung an Lohndrücker, gegen das Gesetz zu verstoßen", sagte er. "Besonders perfide ist es, Benachteiligte am Markt gegeneinander auszuspielen, wie Wolfgang Schäuble dies macht."
Für die Kontrolle des Mindestlohns ist der Zoll verantwortlich. Die Bundesregierung hatte dafür 1600 zusätzliche Stellen bewilligt. Bundesfinanzminister Schäuble hatte im Bundestag Anfang des Monats angekündigt, die zusätzlichen Stellen auch kurzfristig zur Bewältigung der Flüchtlingsfrage zu nutzen - und den Ausbau der Mindestlohnkontrollen zu verlangsamen. (dpa)