Berlin. Beim “The Good Food“-Supermarkt und “Restlos Glücklich“-Restaurant finden Lebensmittel Verwendung, die eigentlich im Abfall landen sollten.
Nachhaltigkeit verleitet zu frischen Ideen in der Lebensmittelbranche: Nach veganen Fairtrade-Supermärkten und packungsfreien Lebensmittelgeschäften soll es bald auch Ladenlokale und Restaurants geben, bei denen dreifüßige Karotten und fast abgelaufener Reis im Topf oder im Regal landen.
Die Philosophie hinter den neuen Geschäftsmodellen: Zu klein geratene Kartoffeln, die keiner Großmarkt-Norm entsprechen, sind nicht weniger gutes Essen als kerzengerade Gurken. "The Good Food" nennt sich deswegen das Kölner Start-Up, das in seinem Supermarkt ausschließlich Lebensmittel verkaufen möchte, die andernfalls der Schweinetonne geweiht wären. Rettungseinkäufe, die das Portemonnaie schonen: "Wir glauben, dass viele Leute bei uns einkaufen würden, wenn die Lebensmittel 30 Prozent günstiger sind als im normalen Supermarkt", erklärt Unternehmensgründerin Nicole Klaski (32).
Da ansetzten, wo das Ehrenamt an Grenzen stößt
Klaski gehört zu den Menschen, die beim Blick auf die nackten Zahlen nicht mehr weitermachen wollen wie bisher: 313 Kilo Lebensmittel, so schätzt die Umweltorganisation WWF, werden pro Sekunde in Deutschland weggeworfen. Das sind etwa 18 Millionen Tonnen jährlich. Im Verein Foodsharing setzt sich Klaski deshalb seit vielen Jahren für den nachsichtigen Umgang mit Lebensmitteln ein. Über den Verein kann jeder, ob Privatperson oder Händler, überschüssige Waren anbieten oder abholen. Mit "The Good Food" will Klaski gemeinsam mit ihrer Kollegin Ines Rainer (30) noch einen Schritt weiter gehen.
"Wir möchten da ansetzten, wo das Ehrenamt an seine Grenzen stößt", erklärt Klaski. Bisher engagieren sich die meisten frewilligen Lebensmittel-Retter, indem sie überschüssige Waren von Betrieben abholen, die bereit sind, etwas abzugeben. Allerdings scheitere das laut Klaski gelegentlich an den verfügbaren Personen wie auch an der Logistik.
Will ein Bauer etwa einen Teil seiner überschüssigen Ernte abgeben, aber hat sein Feld weit auswärts der Stadtgrenze, wird es schwierig, jemanden zu finden, der die Ware abholen kann. Zwar soll auch "The Good Food" mit gemeinnützigem Gedanken geführt werden, allerdings sollen Angestellte für den Transport, Verkauf und das Ernten der Lebensmittel angemessen bezahlt werden.
Gemüseboxen bis vor die Haustür
Bis die erste Filiale mit Reste-Lebensmitteln eröffnet, wird es allerdings noch etwas dauern. Ines Rainer und Nicole Klaski arbeiten erst seit Ende 2014 an der Umsetzung ihrer Geschäftsidee, die passende Räumlichkeit für ihr Geschäft müssen sie noch finden. Bisher haben die beiden ihre Waren bei Straßenfesten oder auf Märkten angeboten.
Bei Gesprächen mit ihren Marktkunden haben die beiden Jungunternehmerinnen gemerkt: Statt einen Supermarkt wünscht sich manch einer lieber einen Lieferservice für übriggebliebene Lebensmittel. Geboren war die Idee der Gemüsekisten: Kiloweise Restgemüse auf Bestellung. Die ersten Kisten haben Klaski und Rainer schon per Lastenrad bis vor die Haustür einiger Kunden gebracht, "The Good Food" soll im besten Fall Ladenlokal und Lieferdienst in einem sein.
Um all das in die Realität umzusetzen, planen Rainer und Klaski, das Startkapital für ihr Unternehmen per Crowdfunding zu sammeln. Eine Idee, die sich für ein anderes Startup mit ähnlicher Geschäftsidee bereits nach wenigen Tagen ausgezahlt hat.
Restaurant tischt Menüs aus Reste-Essen auf
Über 10.000 Euro hat das Berliner Startup "Restlos Glücklich" in weniger als einer Woche gesammelt. Bis zum 25. September sollen weitere 40.000 Euro über die Crowdfunding-Plattform "Start Next" zusammenkommen. Und wenn bis dahin auch eine passende Räumlichkeit gefunden ist, dann kann es eröffnen: Das erste Reste-Restaurant Deutschlands.
Was eigentlich für die Tonne bestimmt war, kommt bei "Restlos Glücklich" auf die Menükarte: Täglich wollen die sechs Berliner andere Gerichte für Preise zwischen 7 und 14 Euro anbieten. Das Angebot richtet sich danach, ob das Team nun am Zoll gestrandete Edel-Schokolade aus Ecuador gerettet, einen Spirituosenhandel nach einer Weinverkostung von seinen angebrochenen Flaschen befreit oder wieder mal einen Sack alter Brötchen vom Bäcker ergattert hat. "Backwaren sind so ein Ding", sagt Projektmanagerin Leoni Beckmann, "die werden in Unmengen weggeworfen. Da müssen wir in der Küche dann wirklich kreativ sein".
"Viele Großhändler zeigen sich offen"
Weniger erfinderisch mussten Beckmann und ihr Team dagegen bei der Suche nach Betrieben sein, die ihre überschüssigen Ware teilen: "Viele Großhändler und Lebensmittelproduzenten haben sich recht offen gezeigt", erzählt Beckmann. Viele Unternehmer seien nachhaltigen Projekten gegenüber positiv eingestellt, nur sei es für viele eben nicht profitabel genug, weniger verschwenderisch zu wirtschaften. "Restlos Glücklich" dagegen ist nicht auf den großen Gewinn aus: Ähnlich wie der "The Good Food"-Markt soll das Lokal als Non-Profit-Unternehmen geführt werden. Der Ertrag soll vor allem in Bildungsprojekte gesteckt werden.
Bei Schulbesuchen wollen die Jungunternehmer über eine nachhaltige Lebensweise aufklären und mit den Kindern den Weg der Lebensmittel vom Feld bis auf Teller nachverfolgen. In Kochkursen wollen sie Erwachsenen zeigen, wie man aus den Resten im Kühlschrank ein leckeres Menü zaubern kann. "Bei uns steckt hinter dem Thema Nachhaltigkeit viel persönliche Begeisterung", sagt Beckmann. Vorher waren sie und ihre Freunde bereits als Lebensmittel-Retter bei Foodsharing unterwegs. Für Gleichgesinnte, die sich über Foodsharing hinaus für die Lebensmittel-Rettung engagieren wollen, soll "Restlos Glücklich" ebenfalls eine Adresse sein.
Dänisches Vorbild
"Das Gemeinschaftsgefühl wird bei uns großgeschrieben", sagt Leoni Beckmann. "Wer mitmachen will, der kann auch mitmachen," Besonders die Bedienung will das Startup ehrenamtlich organisieren. So machen es auch andere Reste-Restaurant auf der Welt, wie etwa das "rub&stub" in Kopenhagen, das Vorbild von "Restlos Glücklich": Team-Mitglied Anette Keuchel (38) hatte einen Artikel über das dänische Pendant gelesen und direkt eine Reise dorthin gebucht. Von der Geschäftsidee war sie so begeistert, dass sie direkt dachte: So etwas muss es auch in Berlin geben.
Übrigens: Weggeschmissen soll von den Reste-Gerichten natürlich so wenig wie möglich. "Wir wollen kleine Portionen anbieten", sagt Beckmann. "Und wer noch mehr haben will, der kann sich einfach einen Nachschlag holen."