Attendorn. Ganz Südwestfalen beobachtet den Start einer neuen Attendorner Online-Plattform. 30 Einzelhändler schließen sich zu einem Web-Kaufhaus zusammen.

Verkauf nur im Laden oder ausschließlich online - das ist für den inhabergeführten Einzelhandel in Südwestfalen keine Frage. Weder das eine noch das andere funktioniert für sich allein. Nicht mehr, muss es korrekt heißen, seitdem die Kundschaft massenhaft Internet-Shopping betreibt. Das eine ist Vergangenheit, das andere bedeutet wegen des hohen Aufwandes nicht die Zukunft.

Die Zukunft - das könnte eine Verzahnung beider Elemente sein - kommunal unterstützte Web-Kaufhäuser. Ausgerechnet die 25 000-Einwohner-Stadt Attendorn macht es vor - und nicht die Oberzentren Hagen oder Siegen. Start des Web-Kaufhauses in der Hansestadt mit Vertretern aller Branchen soll im Herbst sein. Das Beispiel soll Schule machen in Südwestfalen. Bis jetzt ist die Region ein weißer Fleck. Alle Augen richten sich nun auf Attendorn.

Start mit 30 Teilnehmern

„Wir sind der Pionier der kleineren Städte“, sagt Kristin Meyer (24) von der Stabsstelle Stadtteilmanagement und Demografie der Stadt Attendorn, künftige City-Managerin und so etwas wie die Mutter des Projekts. „Wir haben bis jetzt 30 teilnehmende Einzelhändler, unsere Erwartungen wurden damit schon übertroffen. Die Verträge werden gerade unterschrieben.“ Eines ist ihr wichtig: „Attendorn ist ein wirtschaftlich starker Standort. Wir möchten klar machen, dass die Innovationskraft nicht nur bei den starken heimischen Industrieunternehmen liegt, sondern auch im Einzelhandel.“

Das Geschäftsmodell gleicht dem der Online-City Wuppertal, Pionier unter den größeren Städten und bundesweit bekanntestes Web-Kaufhaus, das im Oktober 2014 an den Start gegangen ist: Einzelhänder schließen sich unter Führung eines darauf spezialisierten Online-Dienstleisters zu einem Web-Kaufhaus mit gemeinsamer Plattform zusammen, die Kommune moderiert und schießt im Verbund mit lokalen Sponsoren notfalls für eine Übergangszeit Geld zu und die regionalen Industrie- und Handelskammern bilden die Händler weiter. Profitieren können alle davon.

Die Stadt Attendorn zahlt zunächst drauf: Ihr Partner, der Internet-Dienstleister Atalanda aus Bad Reichenhall, der auch in Wuppertal tätig ist, verlangt nach Angaben von Geschäftsführer Roman Heimboldt von jedem Händler 20 Euro im Monat plus acht Prozent Umsatzbeteiligung und will mindestens 1000 Euro im Monat einnehmen. Bei 50 Teilnehmern würde sich das selbst tragen.

Nach Angaben von Kristin Meyer schießt die Stadt Attendorn die Differenz von rechnerisch 9600 Euro bei zweijähriger Laufzeit nicht allein zu, sondern die „Projektgemeinschaft“, zu der auch zu Sponsoren aus der Unternehmerschaft gehören. Sie schätzt aber, dass die Stadt in diesem Zeitraum „einen vierstelligen Betrag“ selbst stemmen muss. „Das Thema Attendorn ist für uns durch“, bestätigt Heimboldt und formuliert auch gleich seine Erwartungen: Minimum-Laufzeit zwei Jahre, eine engagierte Händlerschaft und einen Portalmanager aus der Umgebung der Stadtverwaltung - in Attendorn Kristin Meyer.

Was bedeutet das für die teilnehmenden Händler und ihre Kunden in der Stadt? Der Kunde bestellt bis 17 Uhr online und bekommt die Produkte für 5,90 Euro Zustellgebühr am selben Tag geliefert. Oder er holt sie selbst ab. Das ist das Fernziel. „Wir erhoffen uns zunächst eine bessere Wahrnehmung. Anfangs wird es so sein, dass das Webkaufhaus als Schaufenster genutzt wird. Erst im Lauf der Zeit wird es sich als Shop etablieren“, erwartet der Chef der 120 Mitglieder zählenden Attendorner Werbegemeinschaft, Christian Springob, als Apotheker selbst mit dabei. Er zeigt sich glücklich über seine 29 Mitstreiter: „20 waren das Ziel, wir wären aber auch mit 10 gestartet.“ Vorteil: Die Händler haben den ersten Schritt bereits vor einem Jahr gemacht: die eigene Webplattform unter www.einkaufen-in-attendorn.de. Die Adresse soll bleiben.

Attendorner Einzelhändler, die sich dem Web-Kaufhaus nicht anschließen wollten, waren zu einer Stellungnahme nicht bereit. Nachfolgeprobleme, abwartende Haltung, fehlenden Mut und unzureichende technische Ausrüstung, vermuten Meyer und Springob. Manche hätten noch nicht einmal eine E-Mail-Adresse. Auf die Teilnehmer kommt einiges zu: Die Händler sollten Internet-affin sein, ihre Ware einpflegen, Fotos selbst ins Netz hochladen können. „Ein Online-Shop ist vom Aufwand her wie eine zweite Filiale“, beschreibt Kristin Meyer die Probleme. Atalanda will mit dem Rezept punkten, das das Unternehmen auch in der Wuppertaler Online City angewandt hat: Taggleiche Lieferung. Nicht ganz erfolglos, wie es scheint. „Es gab viele kritische Stimmen, aber in Wuppertal ist der Anteil der Online-Umsätze deutlich gestiegen“, sagt Marco Butz von der IHK Siegen, die das Projekt begleitet.

Viele kleine Pflänzchen

Ein Modell für andere Städte? Atalanda spricht laut Heimboldt mit 130 Städten bundesweit über ein Web-Kaufhaus, an den Start gehen demnächst Göppingen und Wolfenbüttel. Vielerorts sprießen kleine Pflänzchen, die noch ordentlich gegossen werden müssen. Rainer Gallus, Geschäftsführer beim Einzelhandelsverband NRW, zählt auf: Mönchengladbach wird mit Ebay kooperieren, Mettmann bietet Apps als Produktfinder an, Bocholt und Wesel machen sich auf den Weg zu eigenen Plattformen. Hamburg und Salzburg sind schon seit Jahren im Einzelhandel online unterwegs.

Und in Westfalen? Die Stadt Olpe hat laut Kristin Meyer schon mit Atalanda gesprochen - das bestätigt Heimboldt. Auch in Siegen „sind wir parallel daran“, so Marco Butz. Und der Rest? Interessenbekundungen, mehr noch nicht. Alle Augen richten sich auf Attendorn.