Washington. Wegen eines Konstruktionsfehlers sind Airbags des japanischen Produzenten Takata lebensgefährlich. Das Problem wurde jahrelang verschwiegen.
Gurjit Rathore war über Weihnachten 2009 auf dem Weg in ihr Haus in Richmond im US-Bundesstaat Virginia, als ein Post-Transporter ihren Honda Accord rammte. Vorschriftsmäßig füllte sich der Airbag. Aber anstatt die junge Mutter zu schützen, wurde der Luftsack für die 33-Jährige zur Splitterbombe. Messerscharfe Metallteile, ausgelöst durch die Explosion des Airbag-Zünders, verletzten Rathore an Kopf und Brust so schwer, dass sie vor den Augen ihrer drei Kinder verblutete.
Nach Angaben der amerikanischen Regierung gehen weltweit mindestens sechs Todesfälle und über 100 teils schwere Verletzungen auf Konstruktionsfehler des japanischen Produzenten Takata zurück, der global jeden fünften Airbag herstellt und seit Jahren die Automobil-Industrie in Atem hält.
Rückrufaktion dauert schätzungsweise zehn Jahre
Die Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA hat den Konzern jetzt zu einem beispiellosen Schritt gedrängt. Insgesamt 34 Millionen Pkw von rund zwölf namhaften Herstellern, darunter Fiat Chrysler, Ford, General Motors, Honda, Mazda, Mitsubishi, Nissan, Subaru, Toyota und BMW, müssen zurück in die Werkstätten und nachgerüstet werden.
Die größte Rückrufaktion in der amerikanischen Automobilgeschichte kann nach Einschätzung von Analysten in der Auto-Hochburg Detroit „mindestens zehn Jahren dauern“ und Takata fünf Milliarden Dollar kosten. Die Aktie der Firma, die weltweit 36.000 Menschen in 20 Ländern beschäftigt, darunter auch in Deutschland, stürzte nach der Bekanntmachung durch US-Verkehrsminister Anthony Foxx um mehr als zehn Prozent ab. Dagegen legte der schwedische Airbag-Hersteller Autoliv um vier Prozent zu.
Kontruktionsfehler wohl seit 2004 bekannt
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Takata, ein Pionier der Verkehrssicherheit, der bereits in der 50er Jahren Sicherheitsgurte entwickelte und dessen deutsche Tochterfirma Petri in Aschaffenburg 1981 die ersten Airbags überhaupt konzipierte, hatte das Problem mit den luftigen Lebensrettern lange vertuscht.
Nach Recherchen der New York Times, die mit ehemaligen Angestellten sprach, wusste das Unternehmen schon 2004, dass mit seinen Airbags etwas nicht stimmt. Nach dem ersten tödlichen Unfall in Alabama sollen Takata-Ingenieure in einem Labor des US-Hauptquartiers in Auburn Hills/Michigan damals 50 Airbags geprüft haben. Dabei seien Zünderkapseln mit den bekannten Begleiterscheinungen - Splitter! - explodiert. Das Management ließ die Untersuchungs-Protokolle vernichten, so die „Times“. Weder Behörden noch Kunden seien gewarnt worden. 2008 behauptete Takata, das Problem gerade erst frisch festgestellt zu haben. Aber auch danach wurde „abgewiegelt“, wie Auto-Experten gegenüber US-Medien erklärten.
Takata behauptete, die besagten Airbag-Generatoren seien vor allem in feucht-heißem Klima anfällig, wie es in südlichen Bundesstaaten wie Florida herrscht. Damit sollte die Zahl der Auto-Rückrufe (seit 2013 knapp 17 Millionen) regional eingegrenzt werden. Als auch aus nördlichen Bundesstaaten Zwischenfälle gemeldet wurden, erhöhten die US-Behörden den Druck. Anfang dieses Jahres verhängte die NHTSA ein Strafgeld von 14.000 Dollar pro Tag.
Takata hat nicht genügend Ersatzteile auf Lager
Wie Minister Foxx vor Journalisten in Washington sagte, stellt der Umfang des Rückruf-Debakels eine logistische Herausforderung dar. In den USA können sich Autobesitzer via Internet anhand der Identifizierungsnummer informieren, ob ihr Fahrzeug betroffen ist. Der Austausch der defekten Generatoren soll „nach Dringlichkeit“ erledigt werden. Wobei Fachleute einräumen: „Ersatzteile im erforderlichen Umfang hat Takata gar nicht auf Lager.“ Minister Foxx verbarg seine Enttäuschung nicht darüber, dass der Konzern die Wurzel des Übels nicht kennt. „Takata hat die Ursache des Defekts noch immer nicht identifiziert“, sagte er.
Unklar blieb gestern, in welchem Maße auch deutsche Autofahrer betroffen sein könnten, da Takata fast 22 Prozent Weltmarkt-Anteil bei der Airbag-Produktion hat. Vor kurzem war zu hören, dass knapp 150.000 Halter von Toyota-Fahrzeugen in Deutschland vom Kraftfahrtbundesamt vorbeugend in die Werkstätten gerufen werden. Das Takata-Debakel fügt sich in Untersuchungen des in Bergisch-Gladbach ansässigen „Center of Automotive Management (CAM)“. Danach wurden in den USA 2014 insgesamt fast 63 Millionen Autos wegen sicherheitsrelevanter Probleme zurück in die Werkstätten gerufen - mehr als doppelt so viele wie im bisherigen Rekordjahr 2004.