Essen. Seit 125 Jahren feiert die Arbeiterbewegung den Tag der Arbeit. Doch ein Riss zwischen Industrie- und Dienstleistungsgewerkschaften belastet ihn.

Jubiläen sind per se traditionsbeladen, Gewerkschaften auch. Feiert die Arbeiterbewegung selbst ein rundes Datum, kann sich das gute alte Brauchtum innigster Pflege sicher sein. Wenn also nun die Gewerkschaften im 125. Jahr den 1. Mai zum Tag der Arbeit deklarieren, dann fehlt es nicht an Ritualen, dann beschwört einmal mehr die Internationale die Geschlossenheit der Arbeiterbewegung.

Und spricht damit der Wirklichkeit Hohn, die hinter den Kulissen herrscht. Denn die unter dem DGB-Dach organsisierten Gewerkschaften waren selten so zerstritten wie heute.

Kampf gegen die eigenen Partner

Jede Gewerkschaft kämpft für ihre Interessen, ihre Klientel – und damit zuweilen gegen einen ihrer Partner im Zweckbündnis namens DGB. Und der tut sich schwer, die Rolle des Schlichters auszufüllen. Der gar nicht mehr so neue, aber noch immer eher blasse DGB-Chef Reiner Hoffmann war in seinem ersten Amtsjahr vor allem als Diplomat gefragt denn als Vordenker.

Der tiefste Graben verläuft zwischen den Industriegewerkschaften und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Sie trennen grundverschiedene Kulturen, Strukturen und Strategien. Wer bei Veranstaltungen der IG Metall oder der IGBCE das Gespräch auf Verdi-Chef Frank Bsirske lenken will, blickt auf hochgezogene Augenbrauen und hört lautes Schweigen oder leise Worte offener Abneigung. Bsirske gilt den Industriegewerkschaften als ein Haudrauf, der für seine Wiederwahl im Herbst einen Streik nach dem andern anzettelt in den vielen Branchen seines Gemischtwarenladens.

Wetzels IG Metall strotzt vor Selbstbewusstsein

Umgekehrt kann man bei Verdi wenig anfangen mit der ihrer Meinung nach zu arbeitgeberfreundlichen IGBCE unter ihrem Chef Michael Vassiliadis. Und der so feingliedrige wie feinsinnige IG-Metall-Chef Detlef Wetzel wirkt auf Verdi-Funktionäre zu elitär. Ihn und Bsirske trennen Welten, die Chefs der beiden größten Einzelgewerkschaften sind charakterliche Gegenpole. Wetzels IG Metall strotzt vor Selbstbewusstsein, sie gewinnt seit Jahren Mitglieder hinzu und hat zuletzt die höchsten Tarifabschlüsse erzielt. Im Wissen um die eigene Stärke pflegt Wetzel die leisen Töne. Seine Autorität ergibt sich aus seinen Erfolgen.

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Bsirske dagegen ist der personifizierte Klassenkampf, also jener Typus Gewerkschafter, den die Modernisierer der IG Metall aus ihren eigenen Reihen verdrängt haben. Auch Bsirskes Rolle ergibt sich aus der Lage seiner Gewerkschaft, Verdi hat es ungleich schwerer als die IG Metall, weil in vielen Dienstleistungsberufen wie dem Handel Gewerkschaften wenig Tradition besitzen und ihre Macht erst erringen müssen.

Sagt Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger ein falsches Wort zum Stahl, stehen die Arbeiter am nächsten Tag mit roten IG-Metall-Fahnen vorm Werkstor — ohne dass Wetzel sie anstacheln muss. Wer dagegen für Erzieherinnen kämpft, muss sich erst einmal Gehör verschaffen. Im Kampf um Anerkennung und Mitglieder setzt Bsirske auf Lautstärke.

In der Sache ist der Streit viel profaner – es geht um Machtbereiche. IG Metall und Verdi werfen sich gegenseitig aggressives Abwerben von Mitgliedern vor. Der Streit eskalierte, als erst die IG Metall und dann Verdi einen eigenen Tarifvertrag im Bremer Logistik-Betrieb Stute abschlossen. Dies ist umso bemerkenswerter, als dass die DGB-Gewerkschaften sich ansonsten gegen konkurrierende Verträge in einem Betrieb verwahren – damit bisher aber die Spartengewerkschaften meinten.

Aber zuerst feiern die Streithähne den 1.Mai

Es ist ein Grundsatzkonflikt. Wetzel sieht Verträge für gesamte Wertschöpfungsketten als Ideal an, er will vor allem für die Logistik bei Industrieunternehmen zuständig sein. Verdi dagegen reklamiert solche Tätigkeiten für sich. Derlei Zuständigkeits-Zwist gibt es unter vielen Gewerkschaften, auch zwischen Verdi und IGBCE und zwischen IGBCE und IG Metall. Letztere haben aber nun eine Vereinbarung getroffen, an der auch die IG BAU und die Eisenbahngewerkschaft EVG teilnehmen, um solche Konflikte künftig zu lösen.

Nur: Verdi ist nicht dabei. Dass vier von acht DGB-Gewerkschaften sich einigen, sehen viele eher als weitere Abgrenzung der Industrie- zu den Dienstleistungsgewerkschaften. Unterm DGB-Dach ist der Hausfriede gebrochen, Reiner Hoffmann zum Schlichter degradiert. Aber zuerst feiern die Streithähne den 1.Mai – jeder für sich.