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Wer im Streit um die Braunkohle welche Fäden zieht, ist bemerkenswert: Der sozialdemokratische Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel plant eine Klimaabgabe für alte Kohlekraftwerke und zieht sich damit den Zorn der Wirtschaft sowie der seiner Partei wohlgesonnenen Gewerkschaft IGBCE zu. Und den Zorn des Verdi-Chefs Frank Bsirske, der sich wiederum ob seiner Lobbyarbeit für die Kohle als Grünen-Mitglied des Unverständnisses seiner Partei sicher sein darf.

Der grüne Staatsminister

Zudem macht die NRW-SPD Front gegen die Gabriel-Pläne, dies in voller Eintracht mit großen Teilen der CDU, also jener Partei der Klimakanzlerin Angela Merkel, die im Grundsatz zu Gabriel steht, ihm aber die konfliktträchtige Detailarbeit überlässt. Gabriel, in Merkels erster Amtszeit Umweltminister, überlässt die Details wiederum seinem grünen Staatssekretär Rainer Baake, der schon zu rot-grünen Zeiten unter Jürgen Trittin dieses Amt bekleidete. Dass ausgerechnet ein grüner Klimaexperte die Energiepolitik der schwarz-roten Koalition entwerfen soll, schmeckt in den Kohleländern weder CDU noch SPD und ist aus Sicht der Konzerne die Ursache allen Übels.

Freilich hat Baake den Auftrag von oben, zusätzlich 22 Millionen Tonnen CO2 im Energiesektor einzusparen, damit Deutschland seine Klimaziele erreicht und letztlich Merkel auf internationalem Parkett in Sachen Klimaschutz nicht ihre Glaubwürdigkeit verliert.

Nachdem nun wochenlang der Streit offen ausgetragen wurde, am heutigen Samstag die Gewerkschaften das Regierungsviertel mit ihrer Kritik beschallen werden und gleichzeitig Umweltschützer eine Menschenkette in Garzweiler II planen, gibt es erste Bemühungen, die Wogen zu glätten. Baake selbst brachte eine Abschwächung seines Modells ins Spiel. Die Strafabgabe für alte Kohlekraftwerke könne an den jeweiligen Strompreis gekoppelt werden. Braunkohlekraftwerke würden dann weniger belastet, wenn der Strompreis und damit der Ertrag niedrig bleibt, entsprechend stärker, wenn der Strompreis steigt.

Die Preisprognose, die Baakes Modell zugrunde liegt, ist der Hauptangriffspunkt der Kritiker. Sie geht von einem deutlichen Anstieg der Preise aus, weshalb laut Ministerium die meisten Kraftwerke trotz der Abgabe rentabel blieben. Das Gutachten der IGBCE behauptet das Gegenteil: Weil der Strompreis kaum steige, sei die gesamte Braunkohle-Industrie in Gefahr. Dass Baake sein Modell modifizieren will, reicht der IGBCE nicht. Sie lehnt es rundheraus ab, weil eine Abgabe, die sich ständig ändere, für die Unternehmen nicht planbar sei. NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) sieht das genauso.

„Vorher wird nichts entschieden“

Doch auch Gabriel selbst bewegt sich, dem Vernehmen nach lässt er sein Modell noch einmal gründlich nachrechnen. Den Gewerkschaftschefs Michael Vassiliadis (IGBCE) und Frank Bsirske (Verdi) versicherte er in einem Brief: „Vorher wird nichts entschieden.“ Sollten sich ihre Befürchtungen eines Strukturbruchs in den Braunkohlerevieren bestätigen, werde er „selbstverständlich die bisherigen Vorschläge zum Erreichen des Klimaschutzziels ändern“, schreibt Gabriel.

Auch Merkel lässt angeblich nachrechnen – aber die Konzerne selbst. Das berichtet Spiegel Online. Die Wirtschaftsprüfer von RWE, Vattenfall und Mibrag sollten auf ihren Wunsch hin ausrechnen, ob Gabriels Pläne zur Gefahr für die deutsche Braunkohle werden könnten. Stimmt das, dürfte die Antwort von RWE schnell kommen. Mit dem „sofortigen Aus“ für einen Großteil der Braunkohleindustrie rechnet RWE-Chef Peter Terium.

Merkel versicherte unlängst vor Wirtschaftsführern in Berlin, sie habe „auch die Arbeitsplätze“ im Blick. Die offenen Fragen sollten in den nächsten „zwei, drei Monaten“ geklärt werden. Am Sonntagabend beim Koalitionsgipfel also noch nicht. Dort sind Gabriels Pläne eines von vielen Themen. Die SPD-Spitze will der Kanzlerin aber mindestens ein Bekenntnis zu den gemeinsamen Klimaschutzzielen abringen. „Ich wünsche mir, dass sich die Union zur eigenen Politik bekennt“, sagte Gabriel im Vorfeld. Er will nicht mehr allein den Buhmann abgeben für Gewerkschaften, Konzerne und die Genossen im Stromland Nummer eins – NRW.